Versöhnung ist kein Kinderspiel
Die israelisch-palästinensisch-jordanische Sesamstraße wird von Hass und Terror belastet
Nicht nur beispielsweise Peter Gabriel oder Herbert Grönemeyer haben der Hoffnung in ihren Liedern Games without Frontiers oder Gebt den Kindern das Kommando Ausdruck verliehen. Der Hoffnung, dass neue heranwachsende Generationen es besser machen und der Sehnsucht nach Frieden auf Erden endlich Taten folgen lassen mögen. Auch in einem der brisanten weltweiten Krisenherde, dem Nahen Osten, setzt man seit Jahren auf die erzieherische Macht der Medien, um Vorurteile aus Kinderköpfen auszumerzen und damit perspektivisch Krieg und Leid zu beenden. Ein Joint Venture-Ableger der Sesamstraße aus israelischen, palästinensischen und jordanischen Mitarbeitern soll dabei helfen, gerät dabei aber insbesondere seit der zweiten Intifada im September 2000 unter wachsenden Druck.
Im Sommer 2002 kommt es einem vor wie ein Märchen aus uralten Zeiten, aber: Anfang der 90er Jahre gab es wirklich einmal berechtigte konkrete Hoffnung auf Frieden und Versöhnung in dem biblischen Land, um das seit der Gründung Israels 1949 zwischen Juden und Arabern erbittert gekämpft wird. Der Abschluss der Verträge von Oslo 1993 eröffnete den Palästinensern erstmals die Aussicht auf einen eigenen Staat Palästina in friedlicher Koexistenz mit einem Israel in gesicherten, international anerkannten Grenzen. Der Jude Itzhak Rabin und der Araber Jassir Arafat erhielten zusammen dafür den Friedensnobelpreis. Es schien sich endlich zum Guten zu wenden.
Durch das positive Klima ermuntert begannen Medienvertreter des Senders Israel Educational TV gemeinsam mit palästinensischen Kollegen damit, eine TV-Kinderserie zu konzipieren, die israelische und palästinensische Kinder gleichermaßen ansprechen und gegenseitige Vorurteile spielerisch abbauen sollte. Die weltweit beliebte Sesamstraße, die unter dem hebräischen Titel Rechov Sumsum seit 1982 in Israel ausgestrahlt wird, schien das passende Medium zu sein. Es wurden 70 halbstündige Shows produziert, die zeigen wie benachbarte jüdische und arabische Sesamstraßencharaktere friedlich zusammenleben.
1998 begann die Ausstrahlung der Sendungen unter dem jüdisch-arabischen Doppeltitel Rechov Sumsum - Shara'a Simsim, die unter den kindlichen Zuschauern beider Völker sehr beliebt waren. Untersuchungen ergaben, dass der Konsum insbesondere bei israelischen Kindern tatsächlich feindliche Einstellungen gegenüber den Arabern spürbar milderte.
Leider erlitten Hoffnung und Optimismus nach dem Vertragsschluss von Oslo bald wieder Rückschläge durch neue Gewaltausbrüche. Rabin wurde im November 1995 von einem jüdischen Fundamentalisten ermordet, sein mittelbarer reaktionärer Nachfolger Benjamin Netanjahu verschleppte bewusst die Umsetzung der palästinensischen Autonomie. Und Arafat, der (wie Scharon) nur militärisch aber nicht politisch denken kann, muss man vorwerfen, dass er auch nie wirklich konsequent gegen palästinensische Hardliner vorging.
So kam es nach dem provokativen Besuch Ariel Scharons auf dem Jerusalemer Tempelberg im September 2000 unter den desillusionierten Arabern zum Ausbruch der zweiten Intifada, die die Hoffnung auf baldigen Frieden wieder in weite Ferne rücken ließ. Dies konnte nicht ohne Wirkung auf das friedensstiftende Sesamstraßen-Projekt bleiben. Wie die Vizepräsidentin des Sesame Workshop (vormals Children`s Television Workshop) Charlotte Cole sagte, habe man erkennen müssen, dass das hochgesteckte Ziel Freundschaft unter den veränderten Bedingungen von neu aufgeflammtem Hass und gegenseitigem Terror unrealistisch geworden war.
Bei der weiteren Arbeit an dem idealistischen Projekt sahen sich die Mitarbeiter wachsenden Problemen gegenüber. Auch wenn sich inzwischen jordanische Redakteure der israelisch-palästinensischen Koproduktion angeschlossen hatten: Schon der Begriff Sesam-Straße war nunmehr heikel geworden. Auf welcher Straße sollten sich die Puppen, die die drei wieder offen verfeindeten Völker verkörperten, wirklich treffen können? Man änderte den Titel also in “Sesame Stories". Jede der drei Seiten produziert dabei drei bis vier von insgesamt 13 animierten Geschichten, die - unter Vermeidung politischer Inhalte - die Kultur des jeweiligen Volks widerspiegeln und gleichzeitig Respekt und Toleranz für die Anderen transportieren sollen. Die Stories werden in die getrennten Sendungen eingespeist, die auf den israelischen, jordanischen und palästinensischen Sendern gezeigt werden sollen.
Das Projekt wird unter Federführung der Charles H. Revson Foundation von insgesamt acht Organisationen finanziert, die bis auf die EU und die kanadische Kahanoff Foundation alle amerikanisch sind. Sechs von sieben Millionen Dollar, die für die Fertigstellung von je 26 Episoden der drei Partner nötig sind, sind bereits aufgebracht. Dennoch ist gegenwärtig nicht sicher, ob es zu ihrer Ausstrahlung auch wirklich kommen wird. Die Israelis wollen sie so schnell wie möglich zeigen. Palästinenser verweisen aber darauf, dass ihre Kinder unter den gegenwärtigen Ereignissen wohl wenig Verständnis für die Idee von Völkerverständigung als Puppenspiel hätten. Gerade wenn sie, wie der palästinensische Produzent Daoud Kuttab sagt, aus dem Fenster schauten und israelische Panzer vor ihrem Elternhaus erblickten.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben das Zusammenkommen der Idealisten noch einmal erschwert, palästinensische Produzenten hatten ohnehin seit der neuen Inifada nicht mehr zu Konferenzen nach Tel Aviv kommen können. Und die technische Infrastruktur der Palästinenser ist von den Israelis zu einem guten Teil zerstört. Flugreisen sind generell nicht ohne Risiko und in die USA für arabische Personen stark erschwert. Die Kommunikation über die Inhalte der Sesame Stories erfolgt daher hauptsächlich per Telefon und Email. Unlängst konnten sich Israelis, Palästinenser und Jordanier jedoch persönlich bei einem Sesame Workshop in New York treffen, um an den Kindergeschichten zu arbeiten.
Über die Inhalte der Shows wurde dort unter dem Eindruck der Erlebnisse von täglicher Gewalt und Gegengewalt ebenfalls mühselig gestritten. Wäre es schon in besseren Zeiten zu sensibel gewesen, dass israelische Puppen in einer Episodenhandlung einfach zu palästinensischen Puppen gingen ohne eingeladen zu sein (hätte zu sehr an die Landokkupation durch Siedler erinnert), so war es jetzt z.B. problematisch, wenn in einer von Palästinensern erdachten Spielhandlung ein Kind aus einem Flüchtlingslager eine weggeworfene Dose auf der Straße gefunden und beschlossen hätte, darin eine Rose zu pflanzen, um seine triste Umgebung zu verschönern. Die Israelis legten ihr Veto ein und wiesen darauf hin, dass ihre Kinder erzogen werden, generell nichts von der Straße aufzuheben, was ja auch ein getarnter Sprengkörper sein könnte.
Auch manche kulturelle Unterschiede müssen berücksichtigt werden, als etwa eine Eule nach israelischen Vorschlägen eine Protagonistenrolle in den Sesame Stories einnehmen hätte sollen. Dies lehnten die Araber ab - Eulen bedeuten in der arabischen Kultur Unglück.
Die jüdischen und arabischen Produzenten und ihre Mäzene wollen jedoch die Hoffnung nicht aufgeben, mit ihrem TV-Projekt zu einem friedlichen Zusammenleben ihrer Völker beitragen zu können. Auch wenn es derzeit schwer fallen muss, Idealist zu sein wie die Amerikanerin Shari Rosenfeld, die das Sesame Workshop-Projekt in New York leitet. Rosenfeld musste bei einem Aufenthalt 1991 in Ost-Jerusalem erleben, dass sie und ihr 18 Monate altes Kind von palästinensischen Steinewerfern erheblich verletzt wurden. Sie ging dann 1996 nach Israel, um bereits das erste gemeinsame TV-Projekt von Juden und Arabern zu unterstützen, weil sie, wie sie sagt, ihre eigenen Vorurteile überwinden wollte.