Verständigung mit Eingeschlossenen

Forscher konstruieren ein Gehirn-Maschine-Interface, das Augenbewegungen vorhersagen kann

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"Ich kann mir keinen Zustand denken, der mir unerträglicher und schauerlicher wäre, als bei lebendiger und schmerzerfüllter Seele der Fähigkeit geraubt zu sein, ihr Ausdruck zu verleihen." So formulierte es der französische Philosoph Michel de Montaigne im sechzehnten Jahrhundert. Für die meisten Menschen ist es ein Alptraum: Eingeschlossen zu sein im eigenen Körper, bei vollem Bewusstsein, aber ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit.

Medizinisch heißt dieser Zustand Locked-In-Syndrom. Bei der klassischen Version der Erkrankung sind keinerlei Bewegungen der Muskeln mehr möglich - bis auf vertikale Bewegungen der Augen. Das liegt an der Ursache des Syndroms: Es entsteht nach einem Infarkt in der Brücke, einem Teil des Gehirns, das Rückenmark und Mittelhirn verbindet. Der Infarkt bewirkt, dass keinerlei Signale mehr an das Nervensystem weitergeleitet werden. Die Befehle an die für die vertikalen Augenbewegungen zuständigen Muskeln werden jedoch noch etwas weiter oberhalb abgeleitet.

Optokinetic nystagmus; Bild: Student BSMU; Lizenz: CC BY-SA 3.0

Es gibt allerdings auch Patienten mit einem totalen Locked-In-Syndrom, die selbst diese Fähigkeit verloren haben. Man schätzt, dass es nach jedem 100. bis 1000. Schlaganfall zu der Erkrankung kommt. Dabei gibt es aber auch eine gewisse Dunkelziffer, denn das Wachkoma ist nur mit bildgebenden Verfahren vom Locked-In-Syndrom zu unterscheiden.

Bis zu 40 Prozent Fehldiagnosen halten Experten für möglich. In den meisten Fällen stellt die Erkrankung einen Anfangszustand dar, der sich mit der Zeit verbessert. Sie kann aber auch als Endzustand der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) auftreten. Die degenerative Muskelerkrankung ist in diesem Jahr durch die Ice-Bucket-Challenge ins Licht der Öffentlichkeit gerückt.

Zwar sind bei Locked-In-Syndrom weder Sprechen noch Schlucken möglich. Die größte Schwierigkeit besteht für die Betroffenen jedoch darin, dass Kommunikation selbst im besten Falle nur langwierig möglich ist. Hier könnte eine Technik ansetzen, die Forscher jetzt an Affen getestet haben: In den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften berichten Arnulf Graf und Richard Andersen vom California Institute of Technology darüber, wie sie mit Hilfe eines Gehirn-Computer-Interfaces Augenbewegungen vorhersagen konnten.

Die Forscher griffen dazu die Erregungszustände einer Gruppe von Neuronen ab. Nach einer kurzen Lernphase waren die Versuchstiere in der Lage, rein über diese Neuronen Belohnungen zu aktivieren. Im praktischen Einsatz könnte die Technik zum einen Menschen helfen, die über keinen einzigen Kommunikationskanal mehr verfügen. Zum anderen würde sie in allen anderen Fällen motorischer Lähmung einen zusätzlichen Kanal eröffnen, der die Genauigkeit der Prognose erhöht.