Versteckspiel um Polizeispitzel VP01
Der Ex-V-Mann sagte zwar gegenüber dem Amri-Untersuchungsausschuss in Düsseldorf aus, seiner Vorladung durch das OLG Celle blieb er aber fern
16. September 2020, Oberlandesgericht Celle: Als die Richter des Staatsschutzsenates am Mittwochmorgen den Sitzungstag eröffneten, wussten sie nicht, was sie erwartet. Für 9:15 Uhr hatten sie einen so bekannten wie brisanten Zeugen geladen: Den ehemaligen Polizeiinformanten "VP01" des Landeskriminalamtes von Nordrhein-Westfalen (NRW).
Um es kurz zu machen: Der Mann erschien nicht. Die Umstände allerdings sind abenteuerlich und rechtsstaatlich bedenklich. Vor allem, weil der Zeuge vor vier Wochen dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtags von NRW Rede und Antwort stand, wenn auch nur audiovisuell.
Das Oberlandesgericht Celle verhandelt seit drei Jahren gegen zunächst fünf, jetzt nur noch vier gewaltbereite Salafisten, denen die Anklage vorwirft, den Islamischen Staat (IS) unterstützt zu haben. Hauptangeklagter ist Ahmad Abdulaziz A.A., bekannt als Abu Walaa, einst Prediger in der Moschee des Deutschsprachigen Islamkreises (DIK) in Hildesheim.
Von seinen ursprünglich vier Mitangeklagten wurde das Verfahren gegen den Geständigen Ahmed F.Y. abgetrennt. Er wurde im April 2020 zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, die aber durch die Untersuchungshaft verbüßt sind, und kam auf freien Fuß.
Auch Anis Amri, der angebliche Attentäter des LKW-Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Berlin, hatte Kontakt zu dem Kreis und seinen Führungsleuten. Deshalb stuften die Ermittler ihn damals als "Nachrichtenmittler" ein und hörten sein Telefon ab. Über den Ertrag dieser Überwachung weiß man bisher nichts.
Vertrauensperson 01 packt aus
Wichtigster Informant im DIK war die sogenannte "Vertrauensperson 01", kurz VP01, des nordrhein-westfälischen LKA. Sie ist im Prozess in Celle zugleich der wichtigste Belastungszeuge der Anklage. Allerdings konnte das Gericht den Zeugen bisher nicht persönlich vernehmen. Das Innenministerium von NRW hält seine Identität geheim, Begründung: Zeugenschutz.
Die Quelle wurde im Sommer 2016 abgeschaltet und befindet sich seither in staatlicher Obhut. An ihrer Stelle musste sich das Celler Gericht mit den Führungsbeamten der Quelle sowie dem Leiter der zuständigen Ermittlungskommission begnügen.
Im Frühjahr 2020 sollte der Prozess in Celle seinem Ende entgegensteuern. Doch dann veränderte ein Buch den Fahrplan. Die abgeschaltete VP01 hatte sich ein Jahr lang mit mehreren Spiegel-Redakteuren getroffen und sein Leben erzählt. Im Mai erschien das Buch mit dem Titel: "Undercover. Ein V-Mann packt aus". Die VP01 firmiert darin als "Murat Cem".
Bedeutung erhielt die Publikation vor allem dadurch, dass "Murat" ab November 2015 bis etwa Juni 2016 auch Kontakt zu Anis Amri gehabt hatte. Wenn man auf ihn gehört hätte, erklärt der einstige Polizeispitzel heute, hätte man den Attentäter stoppen können.
Eine Sicht, die man allerdings mit Fragezeichen versehen muss. Denn erstens weiß "Murat" nichts über das letzte Halbjahr vor dem Anschlag vom 19. Dezember 2016. Außerdem transportiert er zusammen mit den Spiegel-Leuten das offizielle Narrativ, das inzwischen in Zweifel steht, Amri sei der alleinige Attentäter gewesen. Wenn der aber Teil einer Tätergruppe war, relativiert sich auch das Wissen über ihn.
Wie auch immer. Das Buch lieferte eine Vielzahl von Details über den 43-jährigen Ex-V-Mann, so dass einer der Verteidiger im Prozess ihn als enttarnt sah. Es soll sich um Muhamet D. aus Wülfrath handeln. Der Anwalt beantragte, den Zeugen als Privatperson zu laden und nicht als staatlichen Ex-Informanten.
Vom Nutzen der V-Leute
Das überzeugte das Gericht und lud Muhamet D. für den 16. September zur Zeugenvernehmung im Prozess vor. Allerdings haben die Richter nie eine Rückmeldung erhalten. Mindestens sechs Mal, so ein Gerichtssprecher, habe der Senat versucht, den Mann zu kontaktieren. Schreiben kamen zurück oder wurden nicht beantwortet. Weshalb der Sitzungsbeginn am Mittwochmorgen einer Wundertüte glich: Kommt er, kommt er nicht?
Der Zeuge erschien nicht. Kurz vor Sitzungsbeginn hatte das Innenministerium in Düsseldorf per Fax an das Gericht noch einmal die Sperrerklärung bezüglich einer Vernehmung des Zeugen erneuert. Die Justiz muss sich der Exekutive beugen. Das Gericht kann auch keine Zwangsmittel gegen den Zeugen verhängen, weil es nicht weiß, wo er sich aufhält.
Das Nicht-Erscheinen kann allerdings als Indiz gewertet werden, dass es sich bei dem Geladenen tatsächlich um die "Vertrauensperson 01" handelt.
Der Fall zeigt aber auch, wie fragwürdig der Einsatz von V-Leuten ist. Denn selbst wenn sie dazu beitragen, Beschuldigte festzunehmen, heißt das noch lange nicht, dass staatliche Spitzel als Zeugen vor Gericht auftreten können. Ihr Beitrag bleibt möglicherweise wertlos.
Nach dem Untersuchungsausschuss in NRW will auch der im Bundestag den Zeugen "Murat/VP01" noch befragen. Aber nicht nur audiovisuell und räumlich getrennt, sondern im direkten persönlichen Kontakt, Auge in Auge.
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