Verstöße gegen die Pressefreiheit nehmen weltweit zu

Morgen verleiht die Organisation "Reporter ohne Grenzen" ihren Menschenrechtspreis

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Michailo Kolomietz wurde erhängt, Georgij Gongadse enthauptet, Parmenio Medina erschossen. Alle waren Journalisten. Alle starben ihres Berufs wegen. Parmenio Medina war der bekannteste Radiomoderator Costa Ricas und stellte in seiner satirischen Sendung "La Patada" (Der Fußtritt) korrupte Stützen der Gesellschaft bloß. Am 7. Juli 2001 wurde er getötet. Es war der erste Mord an einem Journalisten in dem Karibikstaat seit vielen Jahren. Ein Jahr später war noch immer keiner der Attentäter verhaftet. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Ermittlungen im Fall Georgij Gongadse, einem der angesehensten Reporter der Ukraine, der vor zwei Jahren ermordet wurde, und bei Michailo Kolomietz, Leiter der unabhängigen ukrainischen Nachrichtenagentur "Ukrainski Nowini", der vor drei Wochen erhängt in einem Wald im Grenzgebiet zwischen Weißrussland und der Ukraine gefunden wurde.

Alle diese Fälle stehen auf der Agenda der Organisation Reporter ohne Grenzen weit oben, die weltweit Verstöße gegen die Freiheit des Wortes und gegen die körperliche und geistige Unversehrtheit von Journalisten recherchiert, akribisch dokumentiert und anprangert. Erst auf ihr Drängen begann die ukrainische Staatsanwaltschaft am 3. Dezember mit Mordermittlungen.

Gongadses Witwe Miroslawa, selber Journalistin, floh vor den Repressionen der Behörden mit Hilfe von "Reportern ohne Grenzen" 2001 in die USA. Dort ist sie für Radio Free Europe tätig und eine Vorkämpferin für die Einhaltung der Menschenrechte in Osteuropa. Sie und vier andere Journalisten aus China, Kuba, Haiti und Russland sind in diesem Jahr für den Menschenrechtspreis von "Reporters sans frontières" und der Fondation de France nominiert. Seit zehn Jahren wird mit diesem Preis am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, ein Journalist für außergewöhnlich mutiges Engagement ausgezeichnet.

Verstöße gegen die Pressefreiheit nehmen weltweit zu. Auf der Liste der von ROG aufgestellten Liste der größten Feinde der Pressefreiheit finden sich neben Staatsoberhäuptern wie Fidel Castro (Kuba), Jean-Bertrand Aristide (Haiti), Khamtay Siphandone (Laos), Ariel Scharon (Israel), Wladimir Putin (Russland) oder Robert Mugabe (Simbabwe), der vor wenigen Tagen den letzten ausländischen Korrespondenten des Landes verwies, auch Guerillagruppen wie Kolumbiens FARC oder militante Islamistenvereinigungen in Algerien und Pakistan oder Sicherheitskräfte wie die der Palästinenser oder der Philippinen.

Allein zwischen Januar und Anfang Dezember 2002 wurden weltweit 26 Berichterstatter im Zuge der Ausübung ihres Berufes ermordet, 110 Journalisten, 3 Assistenten sowie 37 so genannte Cyberdissidents, Herausgeber von Internetmagazinen, inhaftiert. 2001 waren es 31 Journalisten (2000: 32), die ums Leben kamen - bei 27 Fällen steht die endgültige Klärung eines Bezugs zu ihrem Beruf noch aus -, und 110 Medienvertreter saßen in Gefängnissen. Zwischen Mai 2000 und Ende April 2001 wurden 489 Journalisten inhaftiert (eine Zunahme um 60 %) und 716 Reporter bedroht, überfallen oder gezielt angegriffen (ein Anstieg um 40 %). Die gefährlichsten Länder sind Kolumbien (10 Morde), Russland (4), Mexiko und die Philippinen (jeweils 3). Die meisten der arretierten Reporter sitzen in Nepal, Eritrea, Burma, China und im Iran in Haft.

"In Ländern, die seit langem Probleme mit der Meinungsfreiheit haben, gibt es kaum oder nur wenige Fortschritte, und dort, wo ein Fortschritt auszumachen war (Namibia, West-Afrika, El Salvador, Honduras, Mexiko und Osteuropa), haben jüngste Ereignisse überdeutlich gezeigt, dass für die Medien noch ein weiter Weg zu gehen ist", schreibt der Presse-Weltverband WAN in seinem kürzlich vorgelegten Jahresbericht.

Den "Reportern ohne Grenzen" steht dagegen nur die Kraft des Wortes zur Verfügung. Im Juni 1985 gründete der französische Rundfunkjournalist Robert Ménard diese Organisation, angeregt von "Ärzten ohne Grenzen" und vom Schicksal eines Kollegen, der im Libanon verschleppt worden war. Anfangs berichtete "Reporter ohne Grenzen" über "vergessene Themen", seit 1989 tritt sie als Menschenrechtsorganisation in Erscheinung und kooperiert mit Amnesty International und anderen Gruppen.

"Engagement, selbst, wenn man sich irrt, ist die einzige Sache, die zählt."

So beschreibt Ménard, heute Generalsekretär der Organisation mit festen Büros in neun Ländern, seine Aufgabe. In der Pariser Zentrale sind 20 Rechercheure jeden Tag damit beschäftigt, die von einem weltweiten Korrespondentennetz übermittelten Informationen über Arbeitsbehinderungen und Übergriffe gegen Journalisten mittels Kontaktleuten und anderen Quellen im jeweiligen Land zu überprüfen und publik zu machen. "Reporter ohne Grenzen", die sich durch Spenden, den Verkauf eigener Publikationen, wie z.B. die Bildbände "100 Fotos für die Pressefreiheit", und durch Mitgliedsbeiträge finanzieren, investieren diese Einnahmen fast vollständig in fallbezogene Öffentlichkeitsarbeit, in Petitionen und Aktionen, in Patenschaften für Inhaftierte und in Lobbyarbeit in den Vorzimmern der Macht.

In als Brennpunkte geltende Regionen, wie etwa den russischen Verwaltungsbezirk Penza, 60 Kilometer südlich von Moskau, werden, wie im Oktober dieses Jahres geschehen, Untersuchungskommissionen entsandt, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Im Herbst 2002 wurde mit Damocles.org ein Ableger für Rechtsschutz und Rechtsberatung gegründet. Die deutsche Sektion zählt rund 400 Mitglieder. In ausgewählten Fällen bietet sie zusammen mit der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ausländischen Journalisten Schutz und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland. Der Jury, die am 10. Dezember den Preis verleiht, gehören auch Sabine Christiansen und Manfred Bissinger an.

Vielleicht findet sich in einem Jahr auf der Kandidatenliste auch der Name Isioma Daniel. In einem Artikel über die Miss-World-Wahlen in Nigeria hatte sie geschrieben, dass der Prophet Mohammed, würde er heute leben, sicherlich eine der Bikini-Schönheiten heiraten würde. Im Fernsehen sagte daraufhin der stellvertretende Ministerpräsident Mamoudou Shinkarfi: "Jeder wahre Moslem wird dafür sorgen, dass diese Frau getötet wird, egal wo sie ist." Die Ausschreitungen, die sich zuerst gegen das Gebäude der Zeitungsredaktion richteten, griffen so um sich, dass im ganzen Land mehr als 200 Menschen ums Leben kamen. Isioma Daniel hält sich heute in den USA auf.