Vertragsverletzungsverfahren: Spanien bekommt kalte Füße?

Seite 2: Die Europäische Bürgerinitiative: "Es ist an der Zeit, die Macht der Bevölkerung zu zeigen"

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Die Katalanen haben eine Initiative gestartet, um über eine Europäische Bürgerinitiative und mehr als eine Million Unterschriften die EU-Kommission zu zwingen, ein Verfahren nach Artikel 7 einzuleiten.

Spanien mache sich einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 des EU-Vertrags genannten Werte schuldig, wird kritisiert. In Artikel 2 heißt es:

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

Artikel 2, EU-Vertrag

Der Hintergrund dieser Initiative legt nahe, warum Spanien über die Staatsanwaltschaft bei dem Ausschluss der katalanischen Kandidaten nun zurückrudert: Denn ein vom Europäischen Gerichtshof bestätigter illegaler Ausschluss der Kandidaten würde manifestieren, dass Artikel 2 massiv verletzt wird.

"Es ist an der Zeit, die Macht der Bevölkerung zu zeigen", erklärte deshalb Puigdemont bei der Vorstellung der Initiative. Die Präsidentin der großen zivilgesellschaftlichen Organisation "Katalanischer Nationalkongress" (ANC) verwies darauf, dass Artikel 7 den Verlust des Stimmrechts vorsieht, wenn ein Land grundlegende Normen verletzt. Elisenda Paluzie, die für den ANC die Initiative mitträgt, beklagt den fehlenden "Respekt von Minderheiten" und die "Politisierung" der Justiz.

Dass sich eine Million Unterstützer finden, dürfte ein Leichtes sein. Allein in Katalonien waren mehr als 2,3 Millionen Menschen bereit, sich verprügeln zu lassen, um ihre Stimme abzugeben. Und die Zahl der Unterstützer in Europa wächst. Für die Einleitung der Initiative waren auch sieben Unterstützer aus sieben verschiedenen Ländern notwendig.

In Deutschland unterstützt sie der Universitätsprofessor Dr. Ulrich Hoinkes. Gegenüber Telepolis begründet er dies folgendermaßen: "Schon zu lange schweigen Deutschland und Europa insgesamt zu den demokratischen Verfallserscheinungen des spanischen Staates, auch und gerade angesichts des derzeit prominentesten Falls der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen." Was wir seit über zwei Jahren erleben, sollte uns betroffen machen, so Hoinkes: "Nach und nach werden Grundrechte der zivilen Gesellschaft beschnitten, deren Respektierung uns in Westeuropa prinzipiell indiskutabel erscheinen."

Für den Professor für Romanische Sprachwissenschaft an der Universität Kiel sind "Meinungsfreiheit, Versammlungsrecht und Selbstbestimmungsrecht derzeit in Gefahr." Auch er kritisiert massiv die "Politisierung des Justizapparats". Sie habe in Spanien auch dazu geführt, "dass allein der Ansatz zu einer Dialogbereitschaft mit den Unabhängigkeitsbefürwortern in Katalonien voll und ganz zunichte gemacht wird, stattdessen vom Staat nur noch Repressionen als Antwort auf legitime Forderungen erfolgen".

Dass der JEC die Kandidatur von Puigdemont und dessen Mitstreiter verboten hat, sei nur ein neues, aktuelles Beispiel. Es handele sich um "ein Verbot, das ohne juristische Legitimation die politischen Grundrechte der Kandidaten sowie auch die der Wählerinnen und Wähler beschneidet und das höchstwahrscheinlich dem bei einer EU-Wahl immerhin noch gegebenen demokratischen Druck nicht standhalten wird", prognostiziert er.

Auch damit werde die "Involution demokratischer Verhältnisse in Spanien immer offensichtlicher." Der Prozess gegen die katalanischen Politiker und Aktivisten, der seit Februar in Madrid läuft, richte sich nicht nur "in menschenrechtsverletzender Weise" gegen die Angeklagten, sondern de facto auch gegen all diejenigen, die am 1. Oktober 2017 in Katalonien ihr Wahlrecht wahrgenommen haben: "Die skrupellose Gewalt, die von den spanischen Sicherheitskräften gegen die friedlichen Wählerinnen und Wähler ausgeübt wurde, ist bis heute nicht offiziell geahndet worden. Von einer Entschuldigung des Spaniens ganz zu schweigen."

Dem derzeitigen Vizepräsidenten des Deutschen Katalanistenverbands e.V. fällt es schwer, tatenlos zuzusehen. "Daher empfinde ich die Gelegenheit, bei dieser wichtigen transnationalen europäischen Initiative mitzuwirken, als einen notwenigen Schritt in die richtige Richtung, als Zeichen der Solidarität mit Katalonien aus der Perspektive eines Europas, das sich bedingungslos zu den Menschenrechten bekennt."

Die Bürgerinnen und Bürger Kataloniens seien Europäer und würden es verdienen, europäischen Schutz zu genießen, wenn der spanische Staat, dem sie zurzeit angehören, ihre Minderheitenrechte missachte und dabei gegen zahlreiche internationale Verträge verstoße.

Der Kieler Professor bezeichnet sich als Verfechter einer auf Vielfalt basierenden, aber zugleich demokratisch geeinten Europäischen Union: "Als jemand, dem die demokratischen Grundwerte ein besonderes Anliegen sind, stand es für mich außer Frage dabei mitzuhelfen, diesen Mechanismus in Gang zu setzen, um Katalonien, den spanischen Staat und Europa vor Schlimmerem zu bewahren."