Vertrauen Sie den Medien?
Forschungsergebnisse der Langzeitstudie "Medienvertrauen" zeigen: Sowohl Vertrauen als auch Misstrauen in die Berichterstattung etablierter Medien wachsen
Schon sechs Jahre ist es her, dass "Lügenpresse" zum Unwort des Jahres gekürt wurde. Mittlerweile seltener skandiert, doch scheint der Vorwurf, dass die öffentliche Meinung von den Medien systematisch manipuliert wird, ein fester Teil der öffentlichen Meinung geworden zu sein. Misstraute im Jahr 2008 noch jeder Zehnte den Medien, ist es heute schon jeder Vierte.
Das findet die Forschungsgruppe "Medienvertrauen" der Uni Mainz in ihrer Langzeitstudie heraus, die jährlich 1200 Bürgerinnen und Bürger ab 18 Jahren telefonisch zu ihrer Einstellung gegenüber den Medien befragt. Dahinter steht die Absicht herausfinden zu wollen, wie ein grundlegendes Vertrauen in die Medien sich auf die politische Willensbildung in einer Demokratie auswirkt.
"Das Medienvertrauen ist auch im Jahr 2019 insgesamt recht stabil, jedoch ist eine wachsende Polarisierung erkennbar", lautet einer der Befunde der Studie. Auf die Frage, ob man den Medien, ohne näher zu bestimmen, um welche es sich dabei handelt, bei wichtigen Themen wie Umweltproblemen, Gesundheitsgefahren und politischen Skandalen vertrauen könne, antworteten demnach 43 Prozent zustimmend. Ein Wert, der vier Jahre in Folge konstant bleibt.
29 Prozent der Befragten wollten sich hingegen nicht eindeutig festlegen. Das sei ein neuer Tiefstwert in der Langzeitstudie. Eine ambivalente Haltung scheint immer seltener zu werden. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 machte diese Gruppe noch 63 Prozent aus. Bei nahezu allen anderen Fragen schrumpft die Zahl der Unentschiedenen. Die Forschungsgruppe deutet: "Offenbar sehen sich immer mehr Menschen angesichts einer sich immer weiter polarisierenden Debattenkultur dazu veranlasst, auch selbst Position zu beziehen."
"Stabiles Vertrauen" genießen laut Studie das öffentlich-rechtliche Fernsehen als auch regionale Zeitungen mit jeweils über 60 Prozent Zustimmung. Knapp über die Hälfte der Befragten halten auch überregionale Tageszeitungen für vertrauenswürdig. Doch jeder Fünfte konnte nicht beurteilen, ob die überregionalen Presse vertrauenswürdig ist, sie antworteten "weiß nicht". Die Forscher schlußfolgern, dass "viele Menschen überregionale Zeitungen nicht (mehr) aus eigenem Lesen und Erleben kennen." Doch fast ebensoviele konnten auch die Vertrauenswürdigkeit von Boulevardzeitungen nicht einschätzen.
Aussagen über demographische Faktoren will die Forschungsgruppe erst in den kommenden Monaten veröffentlichen. Nikolaus Jackob von der Forschungsgruppe sagt: "Es gibt keine signifikanten Zusammenhänge zwischen Alter und Medienvertrauen, d.h. Ältere und Jüngere unterscheiden sich nicht in besonderem Maße hinsichtlich der Frage, ob sie den Medien im Allgemeinen vertrauen oder nicht."
Das Vertrauen in die Medien bleibt jedoch nicht über alle Themen hinweg gleich groß. Beim Thema "Wohnungsnot" halten 55 Prozent die Berichterstattung für vertrauenswürdig, 16 Prozent nicht. Beim Klimawandel haben 48 Prozent Vertrauen in die Medien, 23 Prozent nicht. Der Berichterstattung über die Kriminalität von Flüchtlingen vertrauen 33 Prozent, 27 Prozent nicht. Letztes Jahr war es noch anders herum: 24 Prozent vertrauten ihr, 35 Prozent dagegen nicht.
In etwa gleich große Lager geteilt sind die Befragten, wenn es um die Berichterstattung über die Partei geht, die nicht selten selbst zur "Lügenpresse"-Keule greift, der AfD: 36 Prozent der Befragten vertrauen der Berichterstattung der etablierten Medien zur AfD, 32 Prozent dagegen nicht.
Lügenpresse & Zukunftsangst
Besonderes Augenmerk richtet die Studie auf den Lügenpresse-Vorwurf, dieser bleibe weiterhin verbreitet: Ein Viertel der Befragten halten die Medien in der Bundesrepublik für "ein Sprachrohr der Mächtigen". Fast ebensoviele unterstellen den Medien "Hand in Hand mit der Politik zu arbeiten, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren." Für fast jeden Fünften gelten die Aussagen "Die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen" und "Die Medien untergraben die Meinungsfreiheit in Deutschland" als zutreffend.
Dennoch sei beobachtbar, dass immer mehr Befragte den "Lügenpresse"-Vorwurf ablehnen: "Insgesamt weisen mehr Menschen als in den vergangenen Jahren Aussagen zurück, die den Medien absichtliche Manipulation vorwerfen." Demnach lehnten 2016 44 Prozent die Aussage ab, dass die Bevölkerung systematisch belogen wird. 2019 waren es 58 Prozent.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass das Medienvertrauen zwar nicht weiter erodiert, aber ein Kern an Kritikern sich herausgebildet hat, der die etablierten Medien pauschal verurteilt. Das hänge auch zusammen mit dem Bildungsgrad. Menschen, die gegenüber den etablierten Medien zynisch eingestellt sind, fänden sich überdurchschnittlich häufig am rechten Rand des politischen Spektrums. Sie seien formal niedriger gebildet, deutlich politikverdrossener und sie hätten Angst, dass sich ihre wirtschaftliche Situation in der Zukunft verschlechtern wird.
"Der einzige demographische Faktor, der überhaupt eine große Rolle spielt (auch in den meisten anderen Studien), ist die Bildung: Mit steigendem Bildungsgrad wächst auch das Medienvertrauen an", sagt Nikolaus Jackob. "Das kann einerseits sein, weil Menschen mit hoher Bildung viele positive Vertrauenserfahrungen gemacht haben und generell besser situiert sind, was die Zufriedenheit steigert. Andererseits führen lange und erfolgreiche Bildungskarrieren dazu, dass man lernt, 'dem Vertrauen zu vertrauen' - als ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität und als Ressource."