Veruntreuen Verwertungsgesellschaften Gelder der Urheber?
Interview mit Dr. Martin Vogel, dem Kläger in einem Musterprozess gegen die VG Wort
Am Donnerstag verhandelt das OLG München über die Berufung der VG Wort gegen ein Urteil des Landgerichts München. Das hatte einer Klage von Dr. Martin Vogel Recht gegeben und entschieden, dass zwei wesentliche Bestimmungen der Verteilungspläne Wissenschaft der VG Wort rechtswidrig sind und deshalb bei der Berechnung seiner Vergütung nicht zugrunde gelegt werden dürfen.
Herr Dr. Vogel, worum geht es in dem Prozess den Sie führen?
Dr. Martin Vogel: Zunächst geht es darum, dass die VG Wort 50% des Aufkommens aus der Vergütung für die Privatkopie verlegter Werke - nach meiner Auffassung ohne Rechtsgrundlage - an die Verleger dieser Werke ausschüttet. Dabei werden den Urhebern von der VG Wort jährlich ca. 30 Mio Euro vorenthalten.
Ferner habe ich eine Vorschrift der Verteilungspläne Wissenschaft der VG Wort angegriffen, nach der drei, vorher vier, Berufsverbände wissenschaftlicher Autoren jährlich insgesamt 240.000 Euro (bis vor ca. drei Jahren 280.000 Euro) erhalten - ohne eine nach den Statuten der VG Wort gebotene Werkmeldung und entgegen dem Abtretungsverbot des § 63a des Urheberrechtsgesetzes.
Diese Praxis wurde von der staatlichen Aufsichtsbehörde, dem Deutschen Patent- und Markenamt, gebilligt, obwohl es sich dabei um eine reine Gefälligkeitszahlung handelt, mit der sich die VG Wort unter den Mitgliedern dieser Verbände und ihren Vertretern im Aufsichtsrat Freunde schafft.
Mitglieder der in der VG Wort vertretenen Berufsverbände der Autoren, namentlich der Gewerkschaften ver.di und Deutscher Journalistenverband haben sie persönlich und das Urteil des LG München scharf angegriffen. Dasselbe tat die VG Bild-Kunst. Die GEMA reagierte aufgeschreckt. Wie ist das zu erklären?
Dr. Martin Vogel: Auf die Falschverteilung, die meines Erachtens letztlich eine Veruntreuung in großem Ausmaß darstellt, habe ich schon vor zehn Jahren und seither fortlaufend, freilich erfolglos, hingewiesen. Man hat mir nicht abgenommen, dass ich wie angekündigt letztlich klagen würde. Endlich hat der Deutsche Journalistenverband noch versucht, die Klage abzuwenden, indem er mir als seinem Mitglied den gebotenen Rechtsschutz für dieses Verfahren verweigerte, um weiterhin vor seinen Mitgliedern zu verheimlichen, dass auch er dafür gesorgt hat, dass die rechtswidrigen Bestimmungen über die Verlegerbeteiligung und über die Zahlungen an die Berufsverbände nicht aufgehoben werden.
Bei GEMA und VG Bild-Kunst ist die Rechtslage ähnlich wie bei der VG Wort. Der frühere Vorstand der VG Bild-Kunst hat wohl ebenfalls geglaubt, eine Klärung der aufgeworfenen Fragen durch eine Hetzkampagne gegen mich verhindern zu können. Natürlich ist es nicht schön, unter Umständen gerichtlich bescheinigt zu bekommen, Veruntreuungen in Millionenhöhe begangen zu haben, schon gar nicht, wenn man vorher so nachdrücklich auf die Rechtswidrigkeit der derzeitigen Verteilungspraxis hingewiesen worden ist, wie dies in dieser Auseinandersetzung geschehen ist.
Sie tun gerade so, als wäre ihre Rechtsauffassung die einzig richtige.
Dr. Martin Vogel: Jedenfalls habe ich auch im laufenden Rechtsstreit keine andere Rechsauffassung kennengelernt, die ernsthaft vertretbar wäre. Die VG Wort trägt hartnäckig vor, Interessenvertreterin von Urhebern und Verlegern zu sein. Damit überschreitet sie ihre Kompetenzen. Sie ist nicht Interessenvertreterin, sondern Treuhänderin, d.h. sie muss an diejenigen und nur an diejenigen, die ihr Rechte an ihren Werken übertragen haben, anteilsmäßig ausschütten. Wer ihr keine Rechte übertragen hat, kann auch nichts bekommen. So einfach ist das.
Verleger können einer Verwertungsgesellschaft seit dem Inkrafttreten des Urhebervertragsgesetzes von 2002 keine Rechte mehr übertragen, weil seither Vergütungsansprüche des Urhebers im Voraus nur noch einer Verwertungsgesellschaft übertragen werden können, also nicht an einen Verleger.
Dasselbe gilt praktisch zeitgleich nach Unionsrecht, wie der Europäische Gerichtshof in seinem national durch den laufenden Rechtsstreit berühmt gewordenen Luksan-Urteil entschieden hat. Nationales Recht ist im Lichte Europäischen Rechts auszulegen. Daran führt kein Weg vorbei. Daran konnte auch eine Novellierung des § 63a Urheberrechtsgesetz im Jahre 2007 nichts mehr entscheidend ändern.
Trotzdem ist ihre Zuversicht erstaunlich. Beruht sie nicht angesichts ihres persönlichen Kostenrisikos eine gute Stück weit auf Zweckoptimismus?
Dr. Martin Vogel: Nein, ich habe mir das Prozessrisiko vor Einreichung der Klage sehr gut überlegt und bin bis heute von meinen rechtlichen Überlegungen überzeugt. Genauso wie ich davon überzeugt bin, dass diese Klage eingereicht werden musste. Es gibt in Deutschland inzwischen genügend gesetzwidrige Praktiken zugunsten privater Taschen. Auch wenn und gerade weil die Urheber und die Funktionäre ihrer Verbände aus naheliegenden Gründen nichts dagegen getan haben kann dies im Interesse einer rechtsstaatlichen Rechtskultur in der Bundesrepublik nicht hingenommen werden.
Warum war für sie denn die Klageerhebung so zwingend notwendig?
Dr. Martin Vogel: In den letzten fast 25 Jahren habe ich mich sehr oft ehrenamtlich in den Dienst der Verbesserung der Rechtsstellung der Kreativen gestellt, wissenschaftlich und politisch, insbesondere aber auch durch die Erarbeitung von Gesetzesentwürfen, die als spätere Gesetze nicht zuletzt den Verwertungsgesellschaften viel Geld in die Kassen gespült haben.
Umso mehr war ich betroffen, als die VG Wort ebenso wie die GEMA und die VG Bild-Kunst die 2002 in Kraft getretene Vorschrift des § 63a , nach der zukünftig - unabhängig von einer bereits vorher häufig praktizierten Vorausabtretung - Urheber keine Vergütungsansprüche mehr an Verleger abtreten konnten, einfach ignorierten; und das, obwohl sie doch Treuhänder derjenigen und nur derjenigen sind, die ihnen Rechte übertragen haben.
Das heißt, sie sind diesen Berechtigten gegenüber namentlich bei der Verteilung der eingenommenen Gelder zur Beachtung von Gesetz und Recht verpflichtet sind. Was sich entgegen dieser Treuhandverpflichtungen seither in der VG Wort abgespielt hat, hatte mit einer treuhänderischen Rechteverwaltung nichts mehr zu tun, sondern war unzulässige Interessenvertretung.
Aber die Verwertungsgesellschaften berufen sich auf die mehrere Jahrzehnte unangefochtene Verlegerbeteiligung und auf ihnen günstige Stimmen in der einschlägigen juristischen Literatur.
Dr. Martin Vogel: Das sind bloße Nebelkerzen. Die VG Wort ist im Jahre 1958 gegründet worden. Damals verwaltete sie nur Nutzungsrechte der Urheber und Verleger, weil es gesetzliche Vergütungsansprüche noch nicht gab. Unter diesen Umständen war eine hälftige Teilung der Vergütung gesetzlich durchaus zulässig und faktisch auch geboten.
Diese Verteilung wurde bei Einführung gesetzlicher Vergütungsansprüche im Jahre 1965 beibehalten, obwohl der satzungsmäßige Grundsatz der hälftigen Teilung bei gesetzlichen Vergütungsansprüchen keine Anwendung finden durfte, weil diese originär dem Urheber zustehen und der Verleger sie zur Ausübungen seiner verlegerischen Tätigkeit im Unterschied zu den ihm eingeräumten Nutzungsrechten nicht braucht. Die Vergütungsansprüche haben also mit der Einräumung des Verlagsrechts nach nahezu ganz herrschender Meinung nichts zu tun. Die hälftige Verteilung an die Verleger ist insoweit also rechtswidrig. Aber die Satzung der VG Wort lässt sich seit ihrem Bestehen nicht gegen die Stimmen der Verleger ändern.
Anderer Meinung sind im Wesentlichen diejenigen Vertreter der Wissenschaft, die dies in zweifellos gut bezahlten Parteigutachten für Verwertungsgesellschaften niedergelegt haben. In meinem Rechtsstreit hat die Gegenseite (bzw. die Verwertungsgesellschaften mit Verlegerbeteiligung) mittlerweile sechs Gutachten eingeholt.
Dabei hat sie kein finanzielles Problem. Denn ihr stehen aus dem Aufkommen der Urheber unbegrenzte Mittel zur Verfügung, sich bei der Verteidigung der Verlegerinteressen mit wissenschaftlichen Gutachten und mit juristischem Rat zu versorgen. Auch Wissenschaftler ohne Gutachtenaufträge halten sich aus welchen Gründen auch immer mit kritischen Äußerungen zurück. Nicht anders verhält es sich mit den Rechtswissenschaftlern im Verwaltungsrat und im Vorstand der VG Wort, die es eigentlich besser wissen müssten.
"Es ist eben manchem politisch nicht opportun, eine Entscheidung zu treffen, die den Interessen der Verleger zuwider läuft."
Aber sehen sie ihre Kritik nicht dadurch relativiert, dass die staatliche Aufsicht über Verwertungsgesellschaften, die das Deutsche Patent- und Markenamt ausübt, trotz ihrer deutlich vertretenen Rechtsaufassung keinen Grund zum Einschreiten gesehen hat?
Dr. Martin Vogel: Sie hätten Recht, wenn man davon ausgehen könnte, dass die staatliche Aufsicht nicht politische Interessen verfolgen würde, nämlich die des ihr übergeordneten Justizministeriums, an dessen Weisungen sie sich gebunden fühlt. Die Aufsicht besteht seit einigen Jahren zwar aus sage und schreibe zwölf Beamten des höheren Dienstes, die maßgeblichen Entscheidungen werden aber vom Justizministerium getroffen, und dieses folgt nicht dem Legalitäts-, sondern dem Opportunitätsprinzip.
Es ist eben manchem politisch nicht opportun, eine Entscheidung zu treffen, die den Interessen der Verleger zuwider läuft. Da lässt man - in der Hoffnung, es wird doch nicht geklagt - den Martin Vogel in das erhebliche Kostenrisiko einer Klage bis zum Bundesgerichtshof laufen, um sich so einer bindenden Verpflichtung zur Intervention zu entziehen. Jedenfalls kann man dann behaupten, nicht das Ministerium, sondern der klagende Vogel ist schuld an der Änderung der Verteilung.
Warum soll denn dieses Verhalten der Aufsichtsbehörde anstößig sein?
Dr. Martin Vogel: Anstößig ist es deshalb, weil der Aufsichtsbehörde eine eigenständige gesetzliche Verpflichtung obliegt zu prüfen, ob die Verwertungsgesellschaften ihren treuhänderischen Pflichten nachkommen. Ist das nicht der Fall, muss sie einschreiten. Denn die Aufsicht ist dafür eingerichtet, die finanziell schwachen Urheber davor zu bewahren, unter Übernahme eines erheblichen, in den meisten Fällen nicht zu stemmenden Kostenrisikos selbst klagen zu müssen.
Dieser gesetzlichen Verpflichtung kommt die Aufsicht aber nicht nach, wenn sie trotz der ihr seit zehn Jahren (dem Inkrafttreten des § 63a am 1.7.2002) bekannten, eindeutigen Rechtslage zusieht, wie die VG Wort die Hälfte der den Urhebern zustehenden Vergütung an eindeutig nicht berechtigte Verleger überweist. die Verleger bekommen bei der VG Wort Vergütungsanteile, ohne auch nur ihre Berechtigung behaupten zu müssen. Dies ist eine Veruntreuung, der die Aufsicht nicht tatenlos zusehen darf. So steht es nun einmal im Gesetz. Trotzdem tut sie es.
Wie erklären sie sich das?
Dr. Martin Vogel: Die Nichtbeachtung des Gesetzes ist der Amtsleitung des DPMA und dem Justizministerium aus politischen Gründen gerade recht, und zwar nicht erst seit der derzeitigen Ministerin und der derzeitigen Patentamtspräsidentin, auch bei ihren jeweiligen Vorgänger(inn)en war das nicht anders. Das ist nicht hinnehmbar. Deshalb ist meine Klage erforderlich.
Aber sie werden sehen: Die Aufsicht, die meine Schriftsätze an das Gericht von Beginn an von der VG Wort erhält, weiß, dass die von ihr unterstützte Rechtsposition der Verwertungsgesellschaften zugunsten der Verleger nicht mehr lange zu halten sein wird. es ist deshalb zu erwarten, dass die Aufsicht alsbald eine Einhundertachtzig-Grad-Wende vollzieht, um eigenständig auf der obsiegenden Seite zu stehen und sagen zu können, aus eigenem Antrieb im Interesse des Rechts tätig geworden zu sein. Davon lasse sich blenden, wer wolle.
Wäre dann nicht alles in Ordnung?
Dr. Martin Vogel: Nein, denn wer ersetzt den Urheber den Schaden, den sie in den vergangenen Jahren aufgrund der Untätigkeit der Aufsicht erlitten haben? Ingesamt beläuft sich dieser Schaden, d.h. alle Falschausschüttungen bei GEMA, VG Wort und VG Bild-Kunst in den letzten zehn Jahren zusammengenommen, auf kaum weniger als 500 Mio Euro. Aber vielleicht sind Veruntreuungen in dieser Größenordnung wie so oft nur noch kleine Verfehlungen.
Eigentlich müsste die Aufsicht dafür sorgen, dass all diejenigen in den Gremien der Verwertungsgesellschaften, die für diese Schädigung der Autoren verantwortlich sind, ihren Sessel räumen. Denn nach dem Urheberrechtswahrnehmungsgesetz muss sie die Zuverlässigkeit der in den Verwertungsgesellschaften verantwortlichen Personen ständig prüfen und unter Umständen Sanktionen ergreifen. Aber wie will sie das tun, wenn sie selbst das System mitgetragen hat, das die Falschverteilung der Vergangenheit zu verantworten hat?
Wie geht es nun weiter?
Dr. Martin Vogel: Egal wer vor dem OLG München obsiegt, der Rechtsstreit wird beim BGH landen, wenn nicht gar auch beim Europäischen Gerichtshof. Die Gegenseite denkt sogar darüber nach, unter Umständen das Bundesverfassungsgericht anzurufen.
Viel Spaß!
Dr. Martin Vogel: Ganz so lustig ist die Sache nicht.