Verursachen psychisch Kranke finanziellen Schaden?

Seite 2: Zwang zur optimalen Effizienz

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Drittens und am wichtigsten gehen die Berechnungen aber davon aus, dass jeder von uns die Gesellschaft Geld kostet, sobald er nicht 100% arbeitsfähig ist. Bei diesen "Kosten" geht es natürlich vor allem um Arbeitsausfall. Interessanterweise zählt etwas, das vielleicht erwirtschaftet werden könnte, schon als Verlust, wenn es nicht erwirtschaftet wird (Psychisch Kranke gelten als Kostenfaktor).

Stellen Sie sich einmal vor, Sie kauften mit einem Lotterielos eine Chance auf einen zukünftigen Gewinn von 10 Millionen. Haben Sie dann einen Millionenverlust, wenn das Los eines anderen gezogen wird? Würden Gesundheitsökonomen nicht von einem 100%-Menschen, sondern realistischerweise nur von einem 95% oder gar nur 90%-Menschen ausgehen, der eben manchmal krank ist und darum nicht arbeiten kann, dann verschwände auch ein Großteil der berechneten "Kosten". Das wäre dann aber schlecht für die PR.

Stigmatisierend

Es ist nicht trivial, Menschen, die psychisch sowieso am Ende ihrer Kräfte sind, als Kostenfaktor zu stigmatisieren. Vor allem die zweite Formulierung ist darum sehr ungeschickt. Wie wir gesehen haben, passiert dieser Lapsus aber nicht nur Journalisten, sondern auch führenden Forscherinnen und Forschern. Diese reklamieren sonst eigentlich für sich, Patientinnen und Patienten helfen zu wollen.

Wenn ich solche Überschriften lese, dann muss ich jedenfalls an Quellen denken, auf die ich im Zusammenhang mit meinem Interesse am Nationalsozialismus gestoßen bin: Als "unnütze Esser" wurden dort diejenigen stigmatisiert, die vermeintlich nicht mehr produktiv waren. Als "Asoziale" konnten Menschen ins Konzentrationslager gesteckt werden, wenn sie nur ein paarmal zu spät zur Arbeit erschienen oder Anweisungen vom Chef verweigerten.

Sozialdemokratie hilft nicht

Dementsprechend war es mehr als nur ungeschickt, als der frühere Arbeitsminister Franz Müntefering noch 2010 die Hartz IV-Gesetze mit der Aussage verteidigte, "nur wer arbeitet, soll auch essen". Gut, dass man dafür die deutsche Arbeiterpartei hat! Die politisch korrekte "Lösung" in Form von Euthanasie steht hier in den Niederlanden auch psychisch Kranken zur Verfügung (Euthanasie in den Niederlanden).

Das ist alles leider kein zynischer Scherz, sondern die bittere Realität: eine Realität, in der Menschen durch die Ökonomisierung von Gesellschaft und Gesundheitswesen eben zu Kostenfaktoren werden. Doppelt bitter ist, dass viele durch eben diese Ökonomisierung überhaupt erst an den Rand gedrängt werden. Das heißt, das vorherrschende System macht manche Menschen krank - und die Schuld dafür bekommen dann die Kranken.