Viel Lärm um Sami(r) A.

Seite 2: Warum nicht auch Kritik an den Gerichten?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn überhaupt, dann müsste man fragen, warum dieser Samir A. Privilegien hatte, von denen beispielsweise kurdische und türkische Linke nur träumen können. Samir A. konnte auch deshalb in Deutschland nicht der Prozess gemacht werden, weil die islamistischen Aktivitäten im Ausland verübt worden.

Nun gibt es in Deutschland den berüchtigten Paragraphen 129b, der genau dafür gemacht sein soll, um solche Aktivitäten auch in Deutschland zu sanktionieren. Linke aus der Türkei und Kurdistan werden nach diesem Paragraphen für an sich völlig legale Tätigkeiten wie das Sammeln von Spenden und das Organisieren von Konzerten zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Es ist völlig richtig, die Abschaffung dieses Paragraphen zu fordern. Aber es ist auch zu fragen, warum es ausgerechnet gegen Islamisten wie Samir A. stumpf bleibt? Warum kann das Organisieren eines Grup Yorum-Konzerts nach dem Paragraph 129 b zu hohen Haftstrafen führen, nicht aber salafistische Aktivitäten?

Die Sache wird noch besonders brisant, wenn man weiß, dass Deutschland historisch immer wieder als "Schutzmacht des Islams" aufgetreten ist, wie es der Historiker David Motadel in seinen Buch "Für Prophet und Führer" darlegt. Es ist schon eine Überlegung wert, sich zu fragen, ob die Unfähigkeit in Deutschland Islamisten wie Samir A. zur Verantwortung zu ziehen, an diesen historischen Gründen liegt.

"Schutzmacht für Islamisten"?

In den Prozessen gegen türkische und kurdische Linke jedenfalls gibt es eine gute Kooperation mit der türkischen Justiz, die auch nicht beeinträchtigt war, als die Türkei wegen Erdogans Deutschland-Schelte heftig in der Kritik stand.

Nachdem nun in der autoritären Republik der Ausnahmezustand überflüssig wurde, werden sich die Beziehungen normalisieren. Erste Schritte auf ökonomischem Gebiet sind schon gemacht worden. Tunesien ist heute allerdings nicht mit der autoritären Türkei zu vergleichen.

Es gab dort 2011 eine Revolution und daraus ist ein einigermaßen funktionierender bürgerlicher Staat geworden. Dafür wurden Vertreter des Landes - ein Dialogquartett - gar 2015 mit dem <Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Wie in allen bürgerlichen Staaten ist dort natürlich Ausbeutung und Unterdrückung nicht abgeschafft.

Gesellschaftliche Minderheiten wie Homosexuelle sind in Tunesien noch immer vielfältigen Gefahren in dem Land ausgesetzt, worauf die Grünen mit Recht hinweisen. Doch bei Samir A. handelt es sich um einen mutmaßlichen Islamisten, der eine Bedrohung für solche Minderheiten ist.

Warum weigert sich nun ein deutsches Gericht seit Jahren, einen tunesischen Staatsbürger, an das zuständige Land auszuliefern? Wenn schon die deutsche Justiz nicht in der Lage ist, soll dann Samir A. auch vor den tunesischen Gerichten geschützt werden? Deutschland also noch immer eine Schutzmacht für Islamisten? Diese Frage wurde selten gestellt bei der Kritik an der Abschiebung. Wie überhaupt die Rolle der Justiz weitgehend außerhalb der Kritik blieb. Dabei ist die berühmt-berüchtigte 3. Gewalt ein wichtiger Teil der ideologischen Staatsapparate des bürgerlichen Staates.

Deren Entscheidungen sollten genau so kritisiert und infrage gestellt werden können wie die der anderen Gewalten. Es ist aber ein Kennzeichen bürgerlicher Ideologie, Kritiker von Justizentscheidungen fast schon als Feinde der Demokratie und des Rechtsstaates hinzustellen.