"Viele halten die Demokratie für eine veraltete Technologie"
Seite 2: Daten, Prognose, Rückkopplung, neue Daten, neue Prognose
- "Viele halten die Demokratie für eine veraltete Technologie"
- Daten, Prognose, Rückkopplung, neue Daten, neue Prognose
- Wir werden zunehmend von Systemen abhängig sein, die wir nicht mehr verstehen
- Auf einer Seite lesen
Worauf basiert denn KI oder anders gefragt: Woher stammt sie?
Die Geschichte der KI führt zurück in die Militärlabors des Zweiten Weltkriegs. Für die komplexen Berechnungen, die zum Bau der Atombombe nötig waren, wurde der Computer entwickelt. Um die Nazis zu bekämpfen, arbeiteten in den USA tausende Wissenschaftler verschiedener Disziplinen zusammen.
Diese Idee der Fächer übergreifenden Zusammenarbeit wurde zum Ursprung der Kybernetik, die genau diese Interdisziplinarität zum prinzipiellen Arbeitsmodus erhob. Einer ihrer Väter war der Mathematiker Norbert Wiener, der statistische Verfahren zur Prognose von Flugabwehrgeschützen entwickelt hatte. Zur Berechnung der Flugbahn deutscher Jagdflugzeuge musste er den Zeitpunkt berechnen, wo sich der Pilot zu einem späteren Zeitpunkt befinden würde. Das Zielobjekt konnte also nicht einfach angepeilt werden - dafür waren sie zu schnell -, sondern seine zukünftige Position musste berechnet werden. Dazu war ein permanenter Prozess der Rückkopplung der gewonnenen Daten zur stetigen Prognose der künftigen Flugbahn nötig. Und damit war ein sehr grundlegendes Prinzip der Kybernetik definiert: Daten, Prognose, Rückkopplung, neue Daten, neue Prognose.
Kurz: Können Sie Kybernetik genauer erklären?
Kai Schlieter: Nehmen wir ein Thermostat. Ein Thermostat versinnbildlicht die eben erwähnte Prinzip von Daten, Prognose, Rückkopplung usw. Das Gerät misst permanent die Raumtemperatur, um die Heizungsventile zu steuern, die wiederum die Raumtemperatur beeinflussen. Es beginnt ein sich selbst steuernder Prozess. Das steckt auch in der Automatisierung, die logischerweise durch KI erreicht wird. Die Kybernetiker gehen davon aus, dass diese Prozesse nicht nur für Maschinen gelten - auch Nervenzellen und biologische Prozesse basieren auf diesem Prinzipien der Selbststeuerung durch Feedback-Schleifen. Das war das Primat der Kybernetik: Maschinen und Lebewesen unterscheiden sich nicht prinzipiell in der Art, wie Informationen prozessiert werden.
Diese Gedankenwelt der Militärs des Zweiten Weltkrieg und des Kalten Krieges bildet die Grundlage für die Entstehung der KI als Forschungsfeld, das ab der Mitte der 1950er Jahren offiziell entstand. Maßgebliche Vertreter gehören zu den Begründern der Kybernetik. Nicht nur die Gedankenwelt entstammte dem Militär - sämtliche Forschung der USA wurde auch vom Militär finanziert, auch die Entwicklung der ersten Institute für Informatik, die von Leuten begründet wurden, die zugleich zu den Vätern - zumeist waren es Männer - der KI zählen.
Vor allem die DARPA war ab den 1950er maßgeblich. Sie finanzierte und koordinierte nicht nur die Entwicklung des Internets, sondern auch der KI. In den 1980er Jahren setzt diese wichtigste Forschungsbehörde des Pentagon ein gigantisches Programm zum Bau einer militärischen Super-KI auf. Daraus entwickelte sich später wichtige Programme zum Bau von Superrechnern und hier entstand auch die Fähigkeit zum Umgang mit Big Data.
Und nun durchdringt also etwas, das im militärischen Bereich erzeugt wurde, die Zivilgesellschaft. Ist das ein Problem?
Kai Schlieter: Zum Prinzip der DARPA zählte, dass die Forschung zugleich auch kommerzialisiert werden sollte. Die Forschungsprogramme sind so ausgeschrieben, dass auch Firmen kooperieren. Die Kooperationen mit der Industrie und der Wirtschaft sollte die ökonomische Vormachtstellung der USA sichern. Der militärisch-industrielle-Komplex ist eben nicht nur ein Schlagwort.
Mit der zunehmenden Verbreitung des Computers und des Internets wuchs die Rechenleistung und die Menge an Daten. Forschung, die einmal entwickelt worden war, um Flugabwehr oder die Steuerung von Raketen zu ermöglichen - mit künstlicher Intelligenz als Steuerungstechnologie -, wurde mit Google und später mit Facebook zu einem Instrument, dem sich Konzerne bedienten. Es ist daher eine logische Folge, dass wir es nicht nur mit einer globalen Überwachung durch Regierungen zu tun haben, sondern gleichzeitig auch mit einer Ausspähung durch Konzerne.
Das klingt sehr düster. Bietet KI für die Zivilgesellschaft nicht auch Chancen? Künstlich Intelligente Systeme können extrem komplexe Zusammenhänge sichtbar machen. Ohne Mikroskope existierte die mikroskopische Welt nicht. Mit KI werden auch bislang unbekannte Dimensionen berechenbar. Durch die Auswertung von diesen Massendaten entstehen Einblicke in neue Galaxien ebenso wie in das soziale Zusammenleben.
Je mehr Daten wir emittieren, umso genauer lassen sich Individuen und Gesellschaften beobachten und verstehen. Krankheiten können verstanden werden, wenn immer mehr Menschen ihre Gesundheitsdaten erheben, wenn ein permanenter Datenfluss entsteht. Immer mehr Sensoren messen immer mehr Phänomene. Der Klimawandel, die Veränderungen des Regenwaldes lassen sich so präziser analysieren und vielleicht einmal effektiv bekämpfen. Die Chancen sind riesig, die Gefahren ebenso.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.