Viereinhalb Stunden mit Wladimir Putin
Der russische Präsident hielt seine 15. Pressekonferenz für Journalisten aus dem In- und Ausland ab. Der Kreml-Chef warb für Kompromisse, im Land und weltweit. Angriff auf FSB-Gebäude am Abend
Auf der alljährlichen Pressekonferenz für Journalisten beantwortete Wladimir Putin fast viereinhalb Stunden über 60 Fragen. 1.895 Journalisten hatten sich für die Pressekonferenz im Internationale Handelszentrum in Moskau akkreditiert. Ein großer Teil der Journalisten war aus den russischen Regionen angereist. Für russische Regionen ist die Jahrespressekonferenz (Protokoll auf Englisch) des Präsidenten eine Möglichkeit, ein brennendes Problem an Putin persönlich heranzutragen und ihn um Unterstützung zu bitten. Die Versprechen, die der russische Präsident in Einzelfällen auf den Pressekonferenzen abgibt, hält er in der Regel ein.
Die Journalisten versuchten auf alle erdenkliche Weise auf sich aufmerksam zu machen, mit originellen Plakaten, mit Rufen oder mit auffälliger Kleidung und Kopfbedeckungen. Putins Pressesekretär wachte über den Ablauf. Gelegentlich forderte er auf, nicht laut zu werden. Die Glücklichen, die das Wort erhalten hatten, forderte er auf, aufzustehen und sich vorzustellen.
Klima-Krise wegen verschobener Erdachse?
Einigermaßen überraschend war, dass gleich zu Beginn der Veranstaltung ein Journalist des Radiosenders Majak wissen wollte, welche Schäden Russland in Folge des Klimawandels zu erwarten habe. Dass diese Frage gleich zu Anfang kam, war wohl kein Zufall. Für Putin war es ein gutes Einstiegsthema.
Der Präsident sagte, Russland sei nur für sechs Prozent des ausgestoßenen Kohlenstoffdioxids verantwortlich. An der Spitze lägen China und die USA mit 16 Prozent. Den Grund des Klima-Wandels kenne Niemand. Es habe in der Geschichte der Erde immer wieder dramatische Klimawandel gegeben. Wahrscheinlich hänge das mit Veränderungen im Weltall zusammen. Schon eine kleine Veränderung der Erdachse und eine Veränderung der Umlaufbahn um die Sonne, hätten in der Vergangenheit schon zu Klimaveränderungen auf der Erde geführt.
Wie die Menschheit genau den Klimawandel beeinflusse, sei sehr schwierig zu messen. "Aber nichts zu tun ist auch falsch." Auf jeden Fall müsse man "maximale Anstrengungen unternehmen, damit sich das Klima nicht dramatisch verändert". Die Folgen für Russland seien ernst. Der Temperaturanstieg sei in Russland zweieinhalb Mal höher als im weltweiten Durchschnitt. Viele Städte im hohen Norden seien auf ewigem Eis gebaut. Wenn der Boden jetzt auftaue, habe das sehr ernste Folgen.
Die Waldbrände in Sibirien hingen nicht nur mit den Holzfällern, sondern auch mit dem Klimawandel zusammen. Einige Gegenden in Russland könnten sich in Wüsten verwandeln.
Eine Journalistin aus der sibirischen Region Krasnojarsk schilderte den rauen ökologischen Alltag in der Großstadt Krasnojarsk. Im Sommer litten die Städter wegen der ständigen Waldbrände am Rauch. Dazu komme als Dauerbelastung ein giftiger Smog von zahlreichen Großbetrieben. Putin erklärte, man habe einen Plan aufgestellt, in dem 300 Betriebe festgehalten sind, die ihre Abgase und Abwässer filtern und zurückführen müssen. Doch welche Fristen den Unternehmen gesetzt werden und wie die Umrüstung der Fabriken finanziert werden soll, sagte der Präsident nicht.
Wohlstands-Fond als Währungsstabilisator
Putin hatte Antworten auf alle Fragen. Zu den Fragen, wo sich schon lange Unmut angestaut hat, wie in der Gesundheitsversorgung oder der sinkenden Kaufkraft, holte der Präsident weit aus, schilderte verschiedene positive Änderungen oder Probleme, welche die Regierung zusammen mit örtlichen Beamten noch lösen müsse.
Einfache Lösungen - so die Devise von Putin - gebe es nicht. Alle Probleme müssten auf dem Weg des Dialogs und dem Austarieren von Interessen gefunden werden.
Auf die Frage, was denn mit Milliarden geschehe, die im russischen Wohlstandsfond angespart wurden, ob man die nicht zur Stimulierung der Wirtschaft und Investitionen einsetzen könne, meinte Putin, nein. Der Präsident erklärte, es sei falsch, das im Wohlstandsfond angesparte Geld "einfach zu verteilen". Ein Fünftel des Geldes aus dem Wohlstandsfond sei bei einzelnen Wirtschafts- und Infrastrukturprojekten investiert.
Der Fond sei das Sicherheitspolster, wenn die Preise für Öl und Gas sinken. Die im Fond angesparte Geldmenge habe sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Sie entspreche sieben Prozent des russischen Bruttoinlandproduktes. Die Tatsache, dass eine große Menge Geld im Wohlstandsfond gesammelt wurde, stabilisiere den Rubel. Die Inflationsrate in Russland liege bei nur 3,5 Prozent.
Der Kreml-Chef erklärte, es sei ein Irrglaube, dass seit der Sowjetunion eigentlich nichts an Infrastruktur und Industriepotential geschaffen wurde. Seit 2000 - also seit Putin mit einer Unterbrechung im Amt ist - seien 75 Prozent der weiterverarbeitenden Industrie in Russland geschaffen worden. Das durchschnittliche Alter der Maschinen in der weiterverarbeitenden Industrie liege bei zwölf Jahren. Drei neue Flughäfen und zwölf neue Bahnhöfe seien gebaut worden. Die Zahl der Fernstraßen im erneuerten Zustand habe sich verdoppelt.
Zu Sowjetzeiten habe man noch Getreide im Ausland einkaufen müssen. Heute sei Russland die führende Exportnation für Getreide, vor den USA und Kanada.
Gesundheitsversorgung soll besser werden
Eine zentrale Frage auf der Pressekonferenz war die russische Gesundheitsversorgung, die in den letzten sieben Jahren komplett reformiert wurde. Ein Journalist des Internetportal Ura.ru klagte über lange Wartezeiten und große Lohnunterschiede bei den Beschäftigten in Gesundheitsbereich. Warum gibt es trotz zahlreicher Reformen keine positive Wirkung, fragte der Journalist.
Der Kreml-Chef gestand ein, dass es Probleme gebe. Aber die Löhne im Gesundheitsbereich seien höher als in anderen Bereichen. Dass die Gehälter der Chefärzte und der Chirurgen sehr unterschiedlich seien, stimme. Dieses Problem müsse man lösen.
Putin erklärte, geplant sei, für den Gesundheitsbereich 7,8 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben. Die Regierung plane 10.000 medizinische Einrichtungen zu modernisieren oder neu zu bauen, 37.000 neue Fahrzeuge und 20.000 neue Geräte anzuschaffen. Die Bürger würden diese Änderungen hoffentlich bald spüren.
"Lenin legte eine Bombe unter Russland"
Auch die Geschichte Russlands spielte auf der Pressekonferenz eine Rolle. Der Kreml-Chef kritisierte die Resolution des Europa-Parlaments, in der Faschismus und Kommunismus gleichgesetzt werden. Er wies darauf hin, dass die Westmächte Hitler mit dem Abkommen von München 1938 erlaubt hatten, die Tschechoslowakei zu besetzen, und dass sich Polen an der Aufteilung der Tschechoslowakei beteiligte. Putin erklärte, die Sowjetunion sei der letzte Staat in Europa gewesen, der mit Hitler-Deutschland einen Nichtangriffsvertrag schloss und dass Stalin ein Treffen mit Hitler scheute.
Ein Reporter des liberalen Moskauer "Kommersant" wollte wissen, warum Lenin nicht endlich aus dem Mausoleum herausgeholt und beerdigt werde, wo der russische Präsident doch gerade erst wieder gesagt habe, dass Lenin mit seiner Nationalitätenpolitik "eine Bombe" unter Russland gelegt habe.
Putin erklärte, dass die Einrichtung von autonomen Gebieten und Republiken den russischen Staat geschwächt hätten. Außerdem sei es ein Fehler gewesen, das Schicksal Russlands an eine Partei - die Kommunistische Partei eben - zu binden. Was Russland brauche, sei nicht eine Ideologisierung, sondern "Patriotismus im weitesten Sinne". Aber Lenin zu beerdigen, sei auch falsch, so lange es in Russland Menschen gäbe, die mit seiner Person positive Erinnerungen an die Sowjetunion verbinden.
Während der Pressekonferenz ging es noch mehrere Male um Nationalitätenfragen und da zeigte sich dass der Kreml-Chef den Nationalitäten in Russland Entwicklungsmöglichkeiten geben will. Als eine Journalistin aus Gorni-Altai um Unterstützung bat, damit endlich eine Schule gebaut werden könne, in der die Altai-Sprache unterrichtet werden kann, versprach der Präsident zu helfen. Putin zeigte, dass er sich auskennt. Die Altai-Sprache sei die Basis aller Turk-Sprachen, weshalb man diese Sprache pflegen müsse, sagte der Präsident.
Opposition und Internet
Vieles läuft auf den Jahres-Pressekonferenzen nicht spontan. Auffällig ist, dass Putins Pressesekretär, Dmitri Peskow, aus der großen Menge der Journalisten immer die auswählt, die auf jeden Fall drankommen müssen. Dazu gehören nicht nur die Vertreter der großen russischen Fernsehkanäle und Nachrichtenagenturen, sondern auch die Korrespondenten aus Ländern, zu den Russland gute Beziehungen unterhält oder sich zumindest um gute Beziehungen bemüht. Zu Wort kamen Journalisten aus Estland, Deutschland, der Ukraine, China und Journalisten der BBC.
Auffällig war, dass dieses Mal keiner der bekannten Vertreter der liberalen Opposition, wie Ksenia Sobtschak, zu Wort kam. Dass Klima zwischen dem Kreml und der liberalen Opposition ist seit den Straßenprotesten im Juli und zahlreichen Festnahmen und Verurteilungen von Demonstranten sehr angespannt.
Für neuen Ärger bei der Opposition sorgt das Gesetz zu "ausländischen Agenten", dass Wladimir Putin Anfang Dezember unterschrieb. Nach dem neuen Gesetz müssen sich Privatpersonen als "ausländische Agenten" registrieren, wenn sie Geld aus dem Ausland erhalten und als Blogger Informationen verbreiten. Der Autor des Gesetzes, Leonid Lewin, erklärte, das Gesetz solle nicht angewandt werden, um einzelne Blogger zu bestrafen. Viele Blogger befürchten aber gerade das.
Der Kreml-Chef erklärte, mit dem neuen Gesetz wolle man "ausländische Einmischung in die inneren Angelegenheiten" Russlands verhindern. Die Einflussnahme könne beispielsweise so laufen, dass Privatpersonen in Russland Geld aus dem Ausland bekommen und dieses Geld dann an russische zivilgesellschaftliche Organisationen weiterleiten, ohne dass das den russischen Behörden mitgeteilt wird. Im Gegensatz zu den USA, wo Marina Butina als angebliche russische Agentin ins Gefängnis kam, werde man in Russland nur eine Geldstrafe verhängen.
Der Kreml-Chef erklärte, in der juristischen Praxis müsse man dafür sorgen, dass das neue Gesetz "nicht weiträumig ausgelegt wird". Denn "unter innenpolitischer Tätigkeit kann man alles verstehen, ökologische Arbeit und auch humanitäre Arbeit im Bereich der Gesundheitsversorgung".
Die Töchter des Präsidenten
Eine Journalistin des russischen Dienstes der BBC fragte, wann der Präsident sich endlich "zu seinen beiden Töchtern bekennt". Eine Tochter - Katerina Tichonowa - sei Gründerin einer Einrichtung an der Moskauer Universität. Die zweite Tochter, Maria Woronzowa, baue jetzt mit dem Geld des Unternehmens "Sogas" eine Klinik im Leningrader Gebiet. Freunde des Präsidenten würden den beiden Töchtern bei ihren Berufen helfen.
Die erste Frage überging der Präsident. Die zweite Frage beantwortete Putin, indem er die Nützlichkeit dessen beschrieb, womit seine Töchter sich beschäftigen. Putin mag es nicht, wenn seine Familie an die Öffentlichkeit gezerrt wird. Die Fragen westlicher Korrespondenten sind nicht einfach nur Neugier. Man möchte dem russischen Präsidenten gerne nachweisen, dass sich seine Töchter nur wegen Beziehungen des Vaters beruflich entwickeln und Geld verdienen.
Schießerei vor dem Gebäude des FSB
Der Donnerstag begann für Putin erfolgreich, endete aber dramatisch. Am Donnerstagabend um 18:30 Moskauer Zeit wurde das Gebäude des russischen Geheimdienstes (FSB) am Lubjanka-Platz im Moskauer Stadtzentrum angegriffen. Wie das Internetportal Gaseta.ru berichtete, versuchten drei Bewaffnete in das Gebäude einzudringen. Ein Mitarbeiter des FSB starb. Zwei Angreifer wurden getötet, einer entkam, wurde dann aber überwältigt. Fünf Menschen wurden verletzt. Kaffees und Restaurants in dem betroffenen Innenstadtbezirk wurden geschlossen.
Der Angriff könnte mit der Pressekonferenz des Präsidenten und dem alljährlichen Feiertag der Mitarbeiter des FSB am 20. Dezember zusammenhängen. Im Kreml fand am Donnerstagabend ein feierlicher Empfang für Geheimdienstmitarbeiter statt, an dem auch Wladimir Putin teilnahm. Der Pressesprecher von Putin, Dmitri Peskow, erklärte, dem Präsident werde ständig über die operative Lage berichtet.
Im November 2015 hatte der Performance-Künstler Pjotr Pawlenski eine Eingangstür des FSB-Gebäudes angesteckt (Kunstaktion gegen russischen Geheimdienst FSB). Das war meiner Erinnerung nach der einzige gewalttätige Zwischenfall vor dem Gebäude, seit dem Sturz des Feliks-Dserschinski-Denkmals auf dem Lubjanka-Platz, im August 1991.
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