Violette Schatten

Der Fall Hamilton

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"Es ist schrecklich, mit Hässlichkeit geschlagen zu sein". Sam Obeysekeres Selbstwahrnehmung lässt ihn nicht nur bei den englischen Mädchen "mit ihrem kleinen englischen Lächeln" abblitzen. Zuerst und zuallerletzt macht sie ihn zum Misanthropen, zum steifen Poseur, zum verklemmten Sadisten. Nein, Sam ist kein angenehmer Mensch, doch wir halten es mit ihm aus, auch wenn wir lieber mehr von seinen wundervoll exzentrischen Eltern lesen würden. Sams Mutter, eine große Schönheit und Schützin ist in der tamilisch-singhalesischen Oberschicht Ceylons ebenso eine Legende wie sein "unbekümmerter, übermäßig genußsüchtiger" Vater, der den Champagner immer zu zwölf Dutzend kauft.

In seinen Erinnerungen bringt Sam nicht viel mehr als kalte Verachtung auf für seinen Erzeuger, der nichts lieber tat, als alles zu verschenken:

Die Gesellschaft bietet keinen Raum für Anwandlungen dieser Art - man denke nur, wo das hinführen würde; insofern war es vom Standpunkt meines Vaters aus betrachtet ein Glück, daß es ein gesellschaftlich anerkanntes Ventil für seine Schwäche gab. Die Pferde kamen aus Irland und Arabien, aus Kapstadt und Kalkutta, schöne Tiere mit feinem Fell, angespannt wie Violinsaiten. Während der Saison in den Bergen und in Colombo das ganze Jahr über war Pater, eine Gardenie im Knopfloch und seinen Ring aus punziertem Silber mit dem glücksbringenden Mondstein am kleinen Finger, damit beschäftigt, sich meines Erbes zu entledigen. Hin und wieder konnte er es nicht vermeiden, auch einmal zu gewinnen. Bei solchen Gelegenheiten wirkte er sichtlich bedrückt.

Es gab auch Hunde, streng nach Lifebuoy-Seife riechende deutsche Doggen, die wie Jagdtrophäen herumlagen. Pater mochte die Rasse, vielleicht weil sie ihn an Pferde erinnerte. Er gab ihnen immer mit Gentleman's Relish bestrichene Toasts aus der Hand zu fressen. Sie lebten nie sehr lange: Denen, die nicht von den Schlangen geholt wurden, machten die Zecken den Garaus.

Bei solchen Beschreibungen erinnert Michelle de Kretsers Roman unweigerlich an Michael Ondaatjes herrliches Mosaik Es liegt in der Familie. Doch die auf Sri Lanka geborene und mit 14 Jahren nach Australien ausgewanderte Kretser hat den knochentrockenen Sam Obeysekere zu ihrem Helden auserkoren.

Und so folgen wir dem jungen Mann, einem Muster kolonial oktroyiertem Gehorsams ("Obey by name, Obey by nature") nach Oxford. Britischer als die Briten will Obey sein und so wird er ein Streber, der seine Kolonialherren idealisiert und vor Rassismus die Augen verschließt. "Überall um mich her lagen Jungen unter einem hohen, blauen Himmel, junge Götter auf einer antiken Lichtung."

Sams gedrechselter Ton, gewürzt mit gewollt coolem Understatement ist manchmal schwer zu ertragen. Was sich dahinter verbirgt, tiefe Unsicherheit und Selbsthass, macht ihn aber als Charakter zumindest interesssant. Er wird Jurist mit einer Vorliebe für Detektivromane und kehrt nach dem Tod seines Vaters in die Heimat zurück. Noch eine Woche bevor er starb, hatte der ein Fest gegeben, so ausschweifend, "daß man die Lagune auf den Champagnerkorken hätte überqueren können." Doch das Erbe ist dahin und Sam lässt sich als Anwalt nieder. Seine libidinösen Regungen "Mater" gegenüber haben sich in rachsüchtige Ressentiments verwandelt - Sie hat ihn nie genug geliebt. Die als emotionales Eigentum betrachtete Schwester heiratet Sams größten Rivalen, einen sinnlichen Charismatiker und Kämpfer für den Nationalstolz der Insel.

Und so ist er recht einsam, als er eines Abends beim Dinner vom Fall Hamilton erfährt. Ein britischer Teepflanzer wurde ermordet. Und weil Sam nach einem guten "Plot" lechzt wie andere nach Liebe, spielt er Sherlock Holmes und es scheint ihm tatsächlich die Auflösung zu gelingen. Doch der Fall Hamilton beschleunigt noch Sams eigenen Fall. Eine Geldheirat zementiert seinen moralischen Abstieg und er entwickelt sich zu einem Ungetüm, welches nichts gemein hat mit Capotes Unverdorbenen Monstern.

De Kretsers Buch ist eine dichte und deprimierende Familienchronik. Neben dem letztlich doch unlösbaren "Fall Hamilton" erzählt sie von Verbrechen, die innerhalb der Familie begangen werden. Und von einem bedauernswerten Menschen, der mit innerer Hässlichkeit geschlagen ist.

Michelle de Kretser: Der Fall Hamilton. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Klett-Cotta Verlag, 347 Seiten, 22,50 Euro

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