Virtuell Guggenheim

Interview mit Hani Rashid vom New Yorker Architekturbüro "Asymptote Architects"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Asymptote Architects (Hani Rashid and Lise Anne Couture) konzipierten die virtuelle New Yorker Börse, gestalteten für die 7. Architektur-Biennale von Venedig den amerikanischen Pavillon und arbeiten derzeit an dem Projekt Virtual Guggenheim. Der an der Columbia University in New York lehrende Hani Rashid gilt international als einer der wichtigsten Theoretiker computergenerierter Architektur.

Wie kommt man auf die Idee, ein virtuelles Museum zu entwerfen ?

Hani Rashid: Das Projekt wurde von Museumskuratoren initiiert, die schon seit langem mit Medien und Bildern experimentieren, vor allem mit Fotografie, und die der Frage nachgingen, welche künstlerischen Darstellungsmöglichkeiten die neuen Medien eröffnen. Sie hatten schon seit einigen Jahren Internetkunst, digitale Kunst und generell Kunst gesammelt, die in Computersystemen und Netzwerken produziert worden war. Und immer wieder trat das Problem auf, wie neue Kunst in ein Museum integriert werden könnte. Wie kann man im Internet ein Museum installieren? Die Frage lag auf der Hand, denn die weißen Wände einer Galerie sind angesichts digitaler Kunst obsolet geworden. Eine weitere Frage ist: Wer wird ein Museum im Internet besuchen? Keiner von uns, die wir das "Virtual Guggenheim" konzipiert haben, hat einen technologischen Hintergrund. Wir haben alle mit Architektur zu tun. Gerade das war so reizvoll.

Ihr wolltet also keine New Yorker Brücken, Strassen und Gebäude mehr entwerfen, sondern ein globales Bildschirmmuseum?

Hani Rashid: Ja, und wir dachten, der erste Schritt bestünde in der Konzeption eines mehrdimensionalen virtuellen Raumes. Wenn der erst einmal besteht, dann kann man zur Kunst weitergehen: wie auf einem richtigen Weg, den man vom Computer aus beschreiten kann, um dann ins Museum zu gelangen. Und entstanden ist ein wirkliches Museum: es existiert in Form von Pixeln im Internet.

Das "Virtual Guggenheim" existiert bislang nur als Probe-Webseite als Teil von www.guggenheim.org, zumindest in seiner öffentlich zugänglichen Form. Was wird man im fertigen virtuellen Guggenheim sehen können?

Hani Rashid: Wir haben für den Start 15 Künstler angefragt, um für das virtuelle Museum Kollektionen herzustellen. Zur Zeit machen wir einen Probelauf mit Kunstwerken, die wir aber nicht online stellen werden. Die Kollektionen, die zu sehen sein werden, wurden vom Guggenheim ausschließlich für das virtuelle Museum in Auftrag gegeben. Das virtuelle Museum enthält also nicht das, was man tatsächlich an einer Museumswand im Guggenheim sieht, sondern es befindet sich in einer ganz anderen Räumlichkeit.

Das "Virtual Museum" ist eines von mehreren Guggenheim-Museen - es gibt zwei in New York sowie jeweils eines in Berlin, in Bilbao und in Venedig.

Das Virtuelle Museum ist genauso aufgebaut wir die herkömmlichen. Die Baustelle war natürlich anders, aber die Treffen der Architekten und Techniker, das Konzept, das Baumaterial - es funktioniert im Prinzip wie ein Bauwerk außerhalb des virtuellen Raums. Es sind dieselben Fragen: Wie zeigt man die Kunst, wie geht man mit Licht, dem Grundstück, dem Zugang und Kuratoriums-Fragen um. Das Tolle ist, dass die Zahl der Besucher weit über die realer Museen hinausgehen wird. Für Architekten ist eine echte Herausforderung.

Was unterscheidet das Virtual Guggenheim von anderen Museen, die im Internet vertreten sind ?

Hani Rashid: Wir haben es als mehrdimensionale Räumlichkeit konzipiert und nicht als Webseite wie die anderen, die man einfach umblättert. Das herkömmliche Internetmodell hilft nicht weiter, wenn man dem Ganzen einen Erlebnischarakter verleihen will. Wir wollten ein architektonisches Erlebnis schaffen. Man geht durch die Eingangstür hinein, schaut sich Kunst ganz genau an; man kann einzelne Kunstwerke sogar untersuchen. Es gibt eine Audiotour, und natürlich ist rund um die Uhr geöffnet. Wir präsentieren visuelle Kunst. Ich fing 1994 an der Columbia University an, mich damit zu befassen, als ich mir den Louvre in Internet ansah. Damals wartete ich 20 Minuten am Computer, bis sich ein Rembrandt langsam aufbaute.

Wenn die Online- und Offline-Welten immer mehr verschwimmen, können Sie überhaupt voraussagen, wie weit Sie Ihr Projekt entwickeln werden?

In den Bereichen, in denen es im "Virtual Guggenheim" avantgardistisch wird, könnten wirklich neue Formen von Kunst entstehen. Heutzutage ist der Grossteil der Internetkunst gefangen zwischen dem alten Paradigma und der Faszination des Internet als soziales Element. Wir wollen etwas Neues schaffen, sozusagen eine neuen Körper. Denn man kann Kunst oft nur im Rahmen normaler Webpages sehen. Das "Virtual Museum" hat verschiedene Schichten, die sich bewegen und entfalten. Es gibt Plattformen und eine Cybermedia-Mauer, aber auch ganz normale Verwaltungsräume und ein Atrium. Man lernt den architektonischen Raum kennen, als würde man eine neue Stadt kennen lernen

Oder als befände man sich auf einer Reise durch ein Gehirn ...

Hani Rashid: ...man kann sich permanent weiterbewegen. Und dieses endlose Grundstück bauen wir immer weiter. Besucher können sich übrigens auch zu den anderen Guggenheims durchklicken, zu einer Lernkette für Kinder, zu Media on Demand, zu Zusatzinfos über die Künstler und zu virtuellen Architekturgalerien. Von überall nach überall.

Haben Sie sich beim Bauen und Konstruieren darin schon verirrt?

Hani Rashid: Bis mich Kollegen gefragt haben, ob ich eine Pizza will. Im Ernst - das Guggenheim in Bilbao ist auch ein toller Bau. Aber es ist statisch und deshalb ein Relikt des 20. Jahrhunderts. Wir dagegen können die Schichten ändern, die Türen versetzen, Dinge durchsichtig machen, Farben ändern. Wir machen Architektur flüssig und dynamisch. Das Ziel ist, ein reales Gebäude zu kreieren, aber von verschiedenen Blickwinkeln aus. Besucher können zum Beispiel in den Raum hineinfliegen - click and move. Die Aufmerksamkeitsspanne wird immer geringer. In der Realität verbringt man eine Menge Zeit, um von A nach B zu kommen, sich hinzusetzen und sich zu treffen. Im Internet ist das nur ein Click - wir sprechen, click, wir sind woanders, click.

Weshalb wird das Virtual Guggenheim immer wieder angekündigt, und nichts passiert ?

Hani Rashid: Die Verspätungen erfolgten vor allem wegen der Kuratoriums-Verhandlungen. Noch sind die Rechte nicht geklärt, und alle Interessen müssen berücksichtigt werden. Aber dieses Projekt wird nie beendet sein. Es gibt zur Eröffnung keine rote Schleife zu durchschneiden. Ich nehme nicht einmal an, dass es mit großartiger Werbung ins Netz gestellt wird. Es funktioniert mit einem 56K-Modem und mit downloadbaren Standard-Plug-Ins.