Vivaldi-Koalition in Belgien
Sieben Parteien einigen sich auf eine Regierung, die sich in Flandern nur auf eine Minderheit der Wähler stützen kann
Die nächste Regierung in Belgien wird von einer "Vivaldi-Koalition" gestützt, die aus sieben Parteien besteht: Den wallonischen und den flämischen Grünen (Ecolo und Groen), den wallonischen und den flämischen Sozialdemokraten (PS und SPA), den flämischen Christdemokraten (CD&V) sowie den wallonischen und den flämischen Liberalen (MR und Open VLD). Die Farben dieser Parteien - Grün, Rot, Orange und Blau - prägen die Natur in den vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter, nach denen der italienische Komponisten Antonio Vivaldi sein bekanntestes Werk benannte.
Jetziger Finanzminister wird neuer Ministerpräsident
Neuer belgischer Ministerpräsident wird der Flame Alexander De Croo von den Open VLD, die bei den Wahlen im letzten Jahr 1,3 Punkte einbüßten und auf achteinhalb Prozent kamen. Im aktuellen Übergangskabinett Wilmès fungiert der Mann von der Guy-Verhofstadt-Partei als Finanzminister. De Croo setzte sich gegen den wallonischen Sozialdemokraten Paul Magnette durch, der in Deutschland vor allem durch seine Blockade des CETA-.Abkommens bekannt ist (vgl. CETA: Was hat die Wallonie eigentlich konkret erreicht?).
Die neue Regierung steht vor der Aufgabe, die Coronakrise in einem Land zu bewältigen, das in den Covid-19-Todesstatistiken pro Kopf nach San Marino an weltweit zweiter Stelle steht. Allerdings rechnet das belgische Gesundheitsinstitut Sciensano dabei (anders als viele andere Behörden in anderen Ländern) auch mutmaßliche Covid-10-Sterbefälle in Alters- und Pflegeheimen dazu. So kommt man auf über 10.000 Tote. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Zahl der Sars-CoV-2-Positivtests zunimmt - alleine gestern um 1.762 auf 117.115.
Demonstrationen in Flandern
Das neue Regierungsbündnis hatte sich bereits am Wochenende abgezeichnet, worauf hin es in Flandern zu Demonstrationen kam. Obwohl die flämischen Parteien den Ministerpräsidenten stellen und in der neuen Koalition mit vier von sieben in der Mehrheit sind, vertreten sie nämlich weniger als die Hälfte der Wähler im Landesteil Flandern. Dort bevorzugten die Bürger die Nieuw-Vlaamse Alliantie (die mit 16 Prozent belgienweit die stärkste Partei wurde) und den Vlaams Belang (der mit zwölf Prozent belgienweit auf dem zweiten Platz landete).
Die Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) hat sich im EU-Parlament der konservativen EKR-Fraktion angeschlossen, die nach dem Brexit nicht mehr von den britischen Tories, sondern von der polnischen Regierungspartei PiS dominiert wird. Bart de Wever, der Vorsitzende der N-VA, will Belgien in eine Konföderation umwandeln, in der die einzelnen Landesteile den Großteil der staatlichen Aufgaben regeln. Langfristig schwebt ihm ein "Verdampfen" des Landes vor. 2014 wurde er zeitweise an der Regierung beteiligt, nachdem die N-VA in der Wahl davor mit 20 Prozent belgienweit stärkste Partei wurde.
Die vier Prozentpunkte, die die N-VA heute weniger hat, scheinen vor allem dem Vlaams Belang zugute gekommen zu sein: Er legte 2019 um 8,3 Punkte zu. Im EU-Parlament gehört er zur Fraktion Identität und Demokratie (ID), in der Matteo Salvinis Lega und Marine Le Pens Rassemblement National die stärksten Parteien sind. Auch der Vlaams Belang plädiert für eine möglichst umfassende Selbständigkeit des Landesteils, der lange Zeit der benachteiligte war und in dessen Schulen bis 1921 (ebenso wie in der Verwaltung) nur Französisch gesprochen werden durfte. Der Strukturwandel der 1970er und 1980er Jahre kehrte die wirtschaftliche Situation um: Seitdem ist die im 19. Jahrhundert industrialisierte Wallonie auf Transfers aus dem vormals bäuerlichen Flandern angewiesen.
Diese Transferabhängigkeit könnte einer der Hintergründe sein, warum Paul Magnette der Zeitung La Libre Belgique 2010 sagte, sein "Plan A" sei zwar eine Reform Belgiens, aber wenn es zu einer Teilung käme, dann sähe er die Wallonie lieber als Teil Deutschlands, denn als französische Provinz - auch wenn Deutsch nur in den nach dem Ersten Weltkrieg übernommenen Ostkantonen gesprochen wird. Offiziell begründete er das mit der "politischen Kultur" und mit dem "System der sozialen Verständigung" in Deutschland.
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