Vogelgrippe - wie ein Virus die Welt erobert
Seite 2: Viren aus "biosicheren" Mastanlagen
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Der Ausbruch des Virus verweist auch auf ein systembedingtes Problem, das tief in den politischen Strukturen wurzelt und weit über die Massentierhaltung hinausreicht, erklärt der Evolutionsbiologe und Epidemiologe Rob Wallace in seinem aktuellen Buch: Was Covid 19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur zu tun hat.
Pathogene verbreiten sich innerhalb der abgeschirmten Mastanlagen. Gleichzeitig gelangen sie nach draußen - sei es über den Abtransport Gülle, den Kontakt der Tiere zu den Beschäftigten, der Transport zwischen den Haltungen und den Schlachtbetrieben. kontaminierte Transportcontainer, Belüftungsanlagen oder Ratten und Fliegen, die Bakterien verbreiten.
So werden die Küken einen Tag nach dem Schlupf zu Vertragsbauern transportiert, wo sie im Stücklohn aufgezogen werden. Nachdem sie als erwachsene Tiere in Kontakt mit Zugvögeln waren, kommen sie zurück in die Massentierhaltungen zur Weiterverarbeitung.
Sicher lässt sich die Virulenz vor allem auf die intensivierte Geflügelzucht zurückführen. Trotzdem kann es nicht allein an den hohen Geflügeldichten liegen, glaubt der Biologe. In einigen Regionen Asiens verbreitete sich das Virus auch, obwohl vergleichsweise wenig Geflügel gehalten wird. In Thailand zum Beispiel untersuchten der Ökologe Marius Gilbert und sein Team 2006 den Zusammenhang zwischen H5N1 mit der räumlichen Verteilung von Hinterhofgeflügel - und entdeckten dabei, dass die lokalen Ausbrüche mit Enten zu tun haben mussten, die für gewöhnlich abgeerntete Reisfelder abgrasen.
Wie Satellitenbilder zeigten, gehen Reisernten mit einer hohen Enten-Dichte einher. Die freilebenden Tiere, die an diverse Formen von Influenza gewöhnt sind, kamen offensichtlich in Kontakt mit Zugvögeln und übertrugen die Viren auf das Hausgeflügel. Aus einer genialen Idee, Enten mit Reisabfällen zu füttern, wurde eine epidemiologische Gefahr.
Agrobusiness, Strukturanpassung, globale Finanzmärkte, Umweltzerstörung und Klimawandel hängen enger zusammen als gedacht. Rund 40 Prozent des bebaubaren Landes weltweit werden für die Landwirtschaft genutzt. Damit haben wir versehentlich die Schnittmenge zwischen Zugvögeln und Nutzgeflügel vergrößert, resümiert Rob Wallace.
Zugvögel als Überträger von Viren sollten daher aus landwirtschaftlichen Gegenden mit Geflügelhaltungen, ferngehalten werden, schlägt der Autor vor. Das ginge im Prinzip nur, indem natürliche Lebensräume als Feuchtbiotope wieder hergestellt werden bzw. erhalten bleiben. Das Trockenlegen von Feuchtgebieten zwecks landwirtschaftlicher Nutzung führte weltweit dazu, dass Zugvögel ihr Verhalten ändern, wie eine Studie amerikanischer und australischer Wissenschaftler bereits vor 20 Jahren feststellte.
Kleinbäuerliche Betriebe als "Brandschneisen der Immunreaktion"
Inzwischen werden Nutztierbestände weltweit regelmäßig von Krankheiten befallen. Influenza-Viren entstehen entlang eines globalen Unternehmensnetzwerkes aus Mastanlagen und Fleischhändlern. Während sich die Regionen mit Influenza-Stämmen überlappen, beschleunigt sich die Virulenz und werden anfällige Tiere von zahlreichen Virenstämme befallen.
Gensegmente werden leichter ausgetauscht, so dass immer neue Kombinationen mit pandemischen Potenzial entstehen. Treten die Krankheiten dann unerwartet in den Nutztieranlagen auf, werden tausende Tiere gekeult, Schlachtbetriebe und Lieferketten werden unterbrochen. Die Preise schwanken, ganze Betriebe stehen vor dem Ruin. Die Öffentlichkeit reagiert aufgeschreckt.
Vor diesem Hintergrund ist eine lokale bäuerliche Produktion mit vielfältigen Nutztierrassen und Kulturpflanzensorten sicher mehr als nur eine romantische Vorstellung vom Bauernhof. Zum einen könnten Millionen von Kleinbauern, die von ihrem eigenen Land vertrieben wurden, sich heute selbst versorgen und wären nicht auf industriell hergestelltes Eiweiß angewiesen.
Zum andern wird die Krankheitsvorsorge deutlich unterschätzt, die ein bäuerlicher Betrieb mit hoher tiergenetischer Vielfalt leistet. Es ist nämlich kein Zufall, dass robuste, lokale Nutztierrassen von Virenkrankheiten zumeist verschont bleiben. Die immunologische Kompetenz robuster europäischer Rinder- und Schweinerassen gegenüber Krankheitserregern wurde bereits nachgewiesen.
Kleinere Familienbetriebe müssen vor der Verdrängung durch Agrargiganten besser geschützt werden. Das gilt hierzulande wie überall auf der Welt. Den enteigneten Bauern und ihren Familien ihr eigenes Land zurückzugeben - das wäre ganz nebenbei auch eine wirksame Maßnahme im Kampf gegen den Welthunger.