Volksparteien ohne Volk
Wenn Politik und Journalismus versagen - Ein Kommentar
Noch nennen sie sich Volksparteien, die Parteien der großen Koalition in Berlin. Aber die dringendste Frage des Volkes, die Klimaerhitzung und ihre Folgen, interessiert sie kaum. Und auch nur wenige Journalisten beschäftigen sich damit. Selten zeigten sich Politiker und Journalisten so überfordert wie in diesen Tagen und Wochen.
In der ARD-Tagesschau und in der ZDF-Heute-Sendung sind die Karrieren einige Politiker und Politikerinnen viel wichtiger als die Überlebensfrage der Menschheit. Und wenn dann noch die SPD-Vorsitzende beleidigt aus der Politik aussteigt, brennt gleich die ganze Hütte. Der eigentliche Grund für die immer sichtbarer werdende Krise der ehemaligen Volksparteien spielt bei der Analyse der Wahlen zum Europa-Parlament nur noch eine Nebenrolle.
Dabei ist vor wenigen Tagen eine Studie erschienen, die alles erklärt. SPD-Umweltministerin Svenja Schulze legte die repräsentative Studie "Umweltbewusstsein der Deutschen" vor. Danach sind gerademal drei Prozent unserer Mitbürger und Mitbürgerinnen mit der Umwelt- und Klimapolitik der Bundesregierung zufrieden.
Ganze drei Prozent sagen, diese Regierung tue "genug" für Klima und Umwelt. Elf Prozent sagen, die Groko tue "eher genug". Aber 85% der Befragten sagen, die Groko tue "eher nicht genug" oder "nicht genug". Ein verheerendes Urteil und eine Blamage für den früheren Umwelt-Weltmeister Deutschland.
Doch die Groko und die meisten Journalisten beschäftigen sich wieder einmal viel lieber mit Personalfragen als mit den eigentlichen Ursachen der Wahlschlappen. Andrea Nahles will sich ganz aus der Politik zurückziehen, die Kanzlerin schweigt und AKK sieht die Schuld bei einem jungen Mann mit blauen Haaren und dem Künstlernamen "Rezo". Hilfloser und peinlicher geht's wirklich nicht.
Vor zwei Jahren waren in der Studie, die vom Umweltministerium und dem Umweltbundesamt in Auftrag gegeben wird, noch dreimal so viele Wählerinnen und Wähler mit der Klima- und Umweltpolitik der Bundesregierung zufrieden oder eher zufrieden.
Vor der Europawahl haben knapp zwei Drittel der Deutschen dieses Thema zum wichtigsten ihrer Wahlentscheidung erklärt. Wie groß muss der Realitätsverlust von "Volksparteien" sein, wenn sie diesen klaren Willen des Volkes total ignorieren und stattdessen nur noch die Interessen der alten Energie- und Autokonzerne bedienen? SPD und CDU haben den Kontakt zu ihren Wählerinnen und Wählern weitgehend verloren.
Immerhin spottet der "Spiegel" über das nächste Wahlziel von CDU und SPD: "drei Prozent". Sollte es tatsächlich so kommen, werden die alten Volksparteien eher die Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde fordern, als sich der Klimapolitik zu stellen. Wen wundert's noch, dass bei einer neuen Umfrage die Grünen in Deutschland erstmals die stärkste Kraft sind? Sie können ihr Glück über die Ignoranz der Altparteien kaum fassen. Man sah es ihnen am Wahlabend schon an.
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