Vom Aberglauben zum Wissenschaftsglauben

Seite 3: Aufklärung und Herrschaft

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Ihren historischen Durchbruch erfuhr die Aufklärung - das Machtwissen, das keine Schranken kennt in der "Willfährigkeit gegen die Herren der Welt" - tatsächlich aufgrund der Kollaboration mit der Herrschaft im Absolutismus, als die feudale Welt in volle Auflösung überging und der Kapitalismus zu seinem Durchmarsch ansetzte. Die "aufgeklärten" absolutistischen Herrscher des 18. Jahrhunderts, jene spätfeudalistischen Menschenschinder, die ihre Untertanen immer effizienter auszupressen suchten, erkannten die Vorteile einer aufgeklärten und "vernünftigen" Herrschaft, die ihnen Konkurrenzvorteile im ewigen europäischen Krieg verschafften.

Seit dem Absolutismus baut Herrschaft im zunehmenden Ausmaß auf instrumenteller Vernunft auf, womit Ausbeutung und Kontrolle des Menschenmaterials immer weiter perfektioniert werden konnten. Dieser Prozess ist in der Ära des Sachzwanges gewissermaßen an sein logisches Ende gelangt. Herrschaft tritt den zu Objekten degradierten Insassen des Spätkapitalismus folglich in der Maske der instrumentellen Vernunft entgegen. Und auch diese Degradierung hat gewissermaßen eine objektive wissenschaftliche Methode, wie Adorno und Horkheimer bemerkten:

Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen. Er kennt sie, insofern er sie manipulieren kann. Der Mann der Wissenschaft kennt die Dinge, insofern er sie machen kann. Dadurch wird ihr An sich Für ihn. In der Verwandlung enthüllt sich das Wesen der Dinge immer als je dasselbe, als Substrat von Herrschaft.

Dialektik der Aufklärung

Doch was ist das Wesen der Herrschaft im Kapitalismus? Es gibt keine absolutistischen Herrscher mehr, deren Militärmaschinen mit ihrem unersättlichen Geldhunger eine wichtige Initialzündung für den Takeoff des Kapitals bildeten. Im Kapitalismus herrscht das Kapitalverhältnis als gesellschaftliche Realabstraktion - damit ist die Herrschaft im Spätkapitalismus subjektlos.

Was mit dem Kapital herrscht, ist eine unbewusst von den Marktsubjekten hervorgebrachte gesamtgesellschaftliche Dynamik, die diesen in der Form einer fremden, quasi "naturwüchsigen" und blindwütige Macht gegenübertritt. Geld, das zu mehr Geld werden will - dieser widerspruchsvolle Prozess uferloser Anhäufung von abstrakten Geldwerten verheert die ganz konkrete Welt. Und das geschieht mit wissenschaftlicher Präzision. Das sich immer enger im Spätkapitalismus zusammenziehende Netz subjektloser, vermittelter Herrschaft ist gerade vermittels der Anwendung wissenschaftlicher Methoden gewoben worden - und nicht gegen sie. Der irrationale Selbstzweck uferloser, blindwütiger Kapitalakkumulation wird von der aufklärungsblinden Wissenschaft perfektioniert. Die Aufklärungsvernunft ist ein Herrschaftsmittel.