Vom Brexit und Brexodus
Polen und Litauer im Vereinigten Königreich
Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki rief letzte Woche via Twitter dazu auf, einen harten Brexit zu vermeiden, und forderte die britische Regierung auf, der EU weitere Vorschläge anzubieten.
Gleichzeitig hat der Druck, den ein möglicher Austritt der Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne Regelung erzeugt, zur Folge, dass der polnische Politiker einen patriotischen Appell an die eine Million Polen im Vereinigten Königreich richtete, wenn es auch erst einmal formal eine Aufforderung an die Briten waren, die diese festzuhalten schienen.
"Gebt uns unsere Landsleute zurück!", so beendete der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki kürzlich ein Interview mit der BBC. Polen hat eine niedrige Arbeitslosenquote, das Wachstum des Bruttoinlandprodukts wird für 2019 mit 3,6 Prozent vorhergesagt.
Auch im "Polish Express", der wichtigsten Zeitung für Polnischstämmige auf der Insel, stimmen in den Umfragen 65 Prozent für das Bleiben, bezeichnenderweise ist der Online-Text mit zwei Anzeigen der Skandinavischen Fluglinie SAS unterbrochen - Island, Norwegen, Dänemark und Schweden gelten als gute Adresse für polnische Arbeitsmigranten.
Polen wollen bleiben
Einen "Brexodus", eine massive Auswanderung, kann Krzysztof Kotowski, der seit 2016 in Peterborough als Psychotherapeut lebt, bislang nicht ausmachen. Wenn auch im letzten halben Jahr mehr Polen weggezogen seien, als gewöhnlich. Er kennt auch polnische Familien, die erneut wieder nach England zurück migriert seien, da sie es in Polen nicht mehr ausgehalten haben. Die meisten seiner Patienten würden sich jedoch sagen, dass es mit dem Brexit "noch irgendwie gut für sie hier ausgeht".
Peterborough im Osten England ist eine der Städte, die die meisten Migranten aus dem östlichen Europa angezogen haben. Zwanzig Prozent der kleinen Großstadt sollen sie ausmachen. Hier leben konservative Wähler, die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt - hier werden Menschen gebraucht, die im Niedriglohnbereich anpacken wollen.
"Noch heute bekommt bei uns jeder innerhalb von einer Stunde eine Arbeit", sagt der Therapeut, der aufgrund der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau nach England ausgewichen ist. Arbeit, die viele Briten nicht verrichten würden, wäre das, auf dem Feld, in Großschlachtereien.
Viele Polen seien mittlerweile aber auch aufgestiegen. Direkt in den Management-Bereich einsteigen konnte in Cambridge vor 13 Jahren eine studierte polnische Ökonomin mit dem Vornamen Marta. Auch sie will bleiben. "Ich habe mir hier zu viel aufgebaut, aber mein Mann und mich plagt eine düstere Stimmung." Sie leben in Suffolk auf dem Land, dort haben die Menschen für den Austritt gestimmt und würden Polen offen angehen, sie sollten doch ihre Sachen packen. Ihr Sohn sei mittlerweile nach Polen zurückgekehrt, weil er sich seit der Brexit-Entscheidung einfach nicht mehr wohl fühlt - trotz seiner gut dotierten Arbeit in Cambridge.
Auch Litauer zieht es nicht zurück
Eine litauische Lehrerin im ostenglischen Boston, die sich für Integration engagiert, will eigentlich gar nicht zu Brexit befragt werden, sie will ihr Image in der Stadt, wo mit 75 Prozent eine Rekordanzahl für den Ausstieg aus der EU stimmten, nicht verderben. Doch so viel sagt sie: Sie kenne keine Litauer, die die Stadt verlassen wollten, zu viel habe man hier investiert.
Auch der litauische Premierminister Saulius Skvernelis forderte die 150.000 Litauer zurückzukehren. Das Land leidet stark an der Auswanderung von qualifizierten Kräften in westliche Länder. Doch es werden, so eine litauische Analyse, vor allem die älteren, schlecht qualifizierten Menschen zurückkehren, die Arbeitnehmer in Litauen nicht brauchen, zumal jüngere und weniger anspruchsvolle Ukrainer auf den Niedriglohnmarkt drängen.
Zurück in die Vergangenheit
Für die Regierungen in Warschau hatte die Arbeitsmigration nach dem EU-Beitritt 2004 immer Vorteile wie Nachteile. Die Flucht stellte dem wirtschaftlich aufstrebenden Land ein "Armutszeugnis" aus, Akademiker, die lieber besserverdienende Fliesenleger in Manchester als schlecht verdienende Dozenten in Krakau wurden, waren kein Imagegewinn. Vor allem da Polen, im Gegensatz zu den baltischen Ländern, von der Finanzkrise 2008 fast nicht getroffen wurde. Gut ausgebildete und motivierte junge Kräfte fehlten dem polnischen Aufschwung. .
Dennoch waren die Regierungsinitiativen, die Menschen zurückzuholen, eher zahnlos, die dortigen Behörden bei Journalistenanfrage bezüglich Zahlen und Fakten wortkarg und geheimniskrämerisch. Nicht ohne Grund - der Abzug der Arbeitswilligen bescherte eine Schwemme an Geld für die Zurückgebliebenen, jährlich werden von Großbritannien rund acht Milliarden Pfund an die Weichsel transferiert, oft um darbende Familienmitglieder zu stützen. Zudem wird die Arbeitslosenstatistik deutlich nach unten frisiert.
Doch welche Aussichten hätten Rückkehrer? Als größtes Handicap gilt das Geld. In Polen liegt der Durchschnittslohn bei etwas mehr als umgerechnet 1000 Euro brutto, in Großbritannien bei umgerechnet 2760 Euro brutto.
Im Niedriglohnbereich, wo kaum jemand hinmag, müssten sie ebenfalls mit Ukrainern konkurrieren, die mittlerweile eine Million der 39 Millionen Menschen in Polen ausmachen. Sorgenfalten bereiten Unsicherheiten um die Rente - bei einem harten Brexit kann es sein, dass die Einzahlungen der EU-Mitglieder in die britischen Rentenkassen nicht übertragen werden, wenn diese zurück aufs Festland wollen.
Zudem hat sich in Polen das gesellschaftliche Klima verändert, die Rechtssicherheit ist angeknackst, die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) hat mittels umstrittener Justizreformen viele wichtigen Richterposten mit parteinahen Juristen besetzt. Dies stößt vor allem auf, wenn Polen lange in einer Dienstleistungsgesellschaft gelebt haben, wo man selbst auf der Polizeistation sehr freundlich empfangen wird. Die Rückkehr nach Polen, wo das Rechtssystem ein Instrument des Staates ist, wo die Menschen wieder Angst vor den Behörden haben, ist eine Reise in die Vergangenheit.
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