Vom Chaos, der Virtuellen Realität und der Endophysik
Seite 5: Endophysik und das cartesianische Experiment
- Vom Chaos, der Virtuellen Realität und der Endophysik
- Die Karamelmaschine, das Chaos und die Position des Beobachters
- Die Welt von innen und von außen
- Konstruktion einer virtuellen Welt
- Endophysik und das cartesianische Experiment
- Descates oder Physik und Fairneß
- Der cartesianische Dualismus
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Das erinnert mich an Positionen wie die von Däniken, der für die Menschheitsgeschichte ja auch überall Tips findet, die von außerhalb der Welt kommen, wodurch die Menschen erst bestimmte Dinge entdecken. Wie würden Sie denn diese doch etwas irrationale Perspektive vermeiden?
RÖSSLER: Man braucht sie gar nicht zu vermeiden, denn in dem Beispiel haben wir sie ja unter Kontrolle. Wenn Sie wollen, ist das Ganze die Paranoia zur Methode gemacht. Salvador Dali hat von der paranoisch-kritischen Methode gesprochen. Wenn man selber dummerweise in der Welt ist, muß man leider ein wenig verrückt spielen, um sie voll ausschöpfen zu können. Wenn man die Kritik hingegen auf eine Kunstwelt anwendet, dann ist das eine ganz normale naturwissenschaftliche Methode. Lediglich die armen Leute im Computer sind paranoid. Man kann ihnen durch Tips helfen, aus ihrer Paranoia herauszukommen. Wenn man genügend viele Kunstwelten durchgecheckt hat, wird man merken, daß es bestimmte Typen von Tips gibt, die für alle Kunstwelten zutreffen und die dann, wenn unsere Welt in ihrer Grundstruktur irgendwie verwandt ist, auch in unserer Welt ein Tip wären. Diesen "Tips" könnte man dann nachgehen.
Das wären die neuen Experimente, von denen wir zuvor gesprochen haben. Sie würden radikal anders aussehen; ich habe sie einmal nach einer Krankheit Blindsichtexperimente genannt. Wenn eine isolierte Störung der Sehrinde vorliegt, dann ist man blind, aber man kann beispielsweise noch einen großen, langsam fliegenden Ball fangen oder ihm ausweichen. Danach fragt man den Blinden, warum er sich zur Seite gebeugt habe, worauf der Blindsichtige sagt: Ich weiß es nicht. Ich hatte das Gefühl, da wäre etwas. Diese neuartigen Experimente wären auch so. Sie wären auf den ersten Blick so irrational, daß sie schon fast wieder an parapsychologische Experimente erinnern. Der Unterschied aber wäre, daß die Paranoia in diesem Fall kontrolliert wäre.
Das erinnert natürlich an das cartesianische Experiment, sich Gott als einen Betrüger zu denken ...
RÖSSLER: Ja, rein hypothetisch in der Hoffnung, sie widerlegen zu können. Es gehört sehr viel Vertrauen dazu, selbst diese Hiob-artige Frage zu stellen. Ich meine, daß Descartes nur deshalb der radikalste aller Zweifler gewesen ist, weil er glaubte, daß der Boden sogar dafür tragfähig genug ist.
Sie sind aber doch der Überzeugung, die Descartes auch teilte, daß gerade dadurch die Vorstellung einer Welt innerhalb derer wir Gefangene sind, die von einem Programmierer betrogen werden, möglich wird?
RÖSSLER: Ja, dann wäre er ein Sadist, aber ...
Die Hoffnung von Descartes aber war ja, etwas innerhalb auch dieser möglicherweise illusionären Welt zu finden, was Gesetzen folgt, konsistent ist und klar und deutlich erkannt werden kann. Sofern so etwas gegeben ist, können wir uns zumindest auf Teile der Welt verlassen, wobei es egal ist, ob wir beispielsweise träumen oder wach sind. Sie sprachen zuvor davon, daß wir, wenn wir etwas finden, daß in allen möglichen Kunstwelten gleich wäre, eine Einsicht in die Exowelt gewonnen haben. Entspricht diese Einsicht nicht doch wieder einer Objektivität? Wie würden Sie denn dieses Sich-Durchhaltende aus der Endophysik charaktersieren? Welchen ontologischen Status hätte es?
RÖSSLER: Wir sollten das vielleicht die kleine Objektivität nennen. Zu einer wirklich großen Objektivität im ontologischen Sinne würde das nicht vorstoßen. Bei Kant ist das alles schon vorformuliert worden. Er spricht von der Welt der Dinge an sich, also wie sie an sich selbst sind, und der Welt der Dinge, wie sie für uns erscheinen. Zunächst hat er das "An-Sich" sehr philosophisch gemeint. Später, im Opus postumum, wenn ich mich richtig informiert habe, hat er davon noch eine kleinere Version angegeben, wo beides sich auf die Welt der Erscheinungen bezieht, aber wo es immer noch den Unterschied zwischen einer wirklicheren Welt gibt, die nicht zugänglich ist, und einer mehr oberflächlichen Erscheinungswelt. Er nennt das die kopernikanische Wende, daß man sogar innerhalb der Welt der Erscheinungen noch zwischen dem unterscheiden kann, was dahinter ist, was durch die Erscheinungen gewissermaßen verdeckt wird, und den direkten Phänomenen.
Die Exo-Objektivität, von der ich wie Anaxagoras vermute, daß sie hinter unserer Welt existiert, ist dem steuernden Geist zugänglich, der dafür sorgt, daß man als Endo-Wesen vielleicht trotzdem nicht unfair behandelt wird. Ich würde bei Descartes den Begriff der Fairneß in den Mittelpunkt stellen.
Die Konsistenzhypothese, die er gemacht hat, geht davon aus, daß man, wenn man jetzt als Werkzeug in einer künstlichen Welt einer Instanz ausgeliefert ist, die das Ganze im Griff hat, daraus Hinweise dafür gewinnen kann, ob das Ganze wirklich so unfair ist, wie es auf den ersten Blick angelegt zu sein scheint. Es ist ja eine ganz gefährliche Vorstellung, die man eigentlich gar nicht akzeptieren kann, daß man so einer anderen Macht ausgeliefert wäre.
Descartes hat gewissermaßen Kriterien für den Umgang mit Göttern - heute würde man sagen: mit Programmierern auf der nächsthöheren Ebene - entwickelt. Wie kann man damit leben, daß man vielleicht so fürchterlich klein ist? Der Ausweg bestand darin, nachzugucken, ob diese virtuelle Realität, in die man als kleines Versuchskaninchen hineingesteckt ist, wenigstens konsistent, also sauber konstruiert ist. Wenn sich diese Sauberkeit der Konstruktion durchgehend feststellen läßt und solange dies der Fall ist, kann man noch nicht böse werden. Man kann die Hypothese noch nicht widerlegen, daß das Ganze vielleicht doch entschuldbar wäre. Man kann, solange alles konsistent, d.h. mit Hilfe der Mathematik beschreibbar ist, der Meinung sein, daß auch andere Wesen, vielleicht andere Menschen, die einem in dieser Welt begegnen, konsistent beschreibbar sind, bis hinunter zu den Atomen in ihrem Kopf. Dann kann ich sie als Außenstehender als "Maschinen" verstehen, so wie die ganze Welt vielleicht eine Maschine ist, die von außen kontrolliert wird.
Wenn ich in dieser Welt die Konsistenzhypothese noch beibehalten darf, dann ist auch mir als einem gegenüber diesem Nachbarn exterioren Wesen eine ähnlich unfaire Allmacht in die Hand gegeben, wie ich befürchte, daß sie mir gegenüber von außen besteht. Und dann kann ich mich jetzt rächen oder auch nicht. Ich habe jetzt eine vergleichbare Position wie die, die man mir gegenüber hat und die ich kaum ertrage.
Auch die Idee der Kunstwelt, von der wir vorhin sprachen, die ganze Endophysik beruht ja auf diesem Gedanken, in einer verkleinerten Form eine Allmacht zu besitzen. Wenn ich dieses vielleicht vorhandene, mir vielleicht auch nur einprogrammierte Gefühl von Allmacht nicht mißbrauche, dann habe ich, falls die Sache ein "schlechter Scherz" ( Descartes ) ist, demjenigen, der den Scherz eingefädelt hat, den Spaß verdorben. Die ultimative Grausamkeit dem Sadisten gegenüber, der sich das alles anguckt, wäre, nicht grausam zu sein. Das würde ihm den Spaß verderben.
In der Theorie des Bösen wird ja behauptet, daß sich das Böse gerne fortpflanzt. Das nennt man dann das "Gerechtigkeitsprinzip": Wenn einer schlecht behandelt wird, ist es nur gerecht, daß es einem anderen genauso geht. Diese Möglichkeit des Bösen verdirbt man der höheren Instanz, wenn man mit Levinas das nackte Gesicht des anderen erkennt und nicht mit dem Fuß hineintritt.