Vom Folterlager ins Hochsicherheitsgefängnis?

Wie die Obama-Regierung das Sonderlager Guantánamo "schließen" will

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Einem Bericht der Washington Post vom Montag zufolge erwägt die US-Regierung offenbar, Häftlinge aus dem Sonderlager Guantánamo auf Kuba in ein Spezialgefängnis in den USA zu verlegen. Auch Gerichtssäle für Strafprozesse sowie Wohntrakte sollen in dem Hochsicherheitsknast vorgesehen sein, ließ die Zeitung unter Berufung auf Regierungskreise verlauten. Der Vorschlag stieß auf heftige Kritik sowohl von Bürgerrechtsorganisationen als auch von Republikanern.

Wie die Zeitung unter Berufung auf Quellen aus dem US-Justizministerium weiter berichtete, soll sich das Justizministerium darüber hinaus bereits mit Staatsanwaltschaften in den Bezirken Columbia und Virginia (Alexandria) und den südlichen und östlichen Bezirken von New York wegen der möglichen Einleitung von Strafverfahren gegen ca. 30 Häftlinge – darunter das angebliche „Hirn“ der Terroranschläge vom 11. September, Khaled Scheich Mohammed – in Verbindung gesetzt haben.

Militärtribunale und Sicherheitsverwahrung

In der Multiplex-Anstalt sollen Häftlinge interniert werden, die bislang ohne Prozess und auf unbestimmte Zeit festgehalten werden, aber auch solche, deren Unschuld als erwiesen gilt, für die aber angeblich kein Aufnahmeland gefunden werden kann. Auch Strafprozesse und sogar die Verfahren von den von der Bush-Regierung eingeführten Militärkommissionen, die grundlegenden rechtsstaatlichen Standards spotten, könnten der Washington Post zufolge in dem Gefängnis abgehalten werden. Die umstrittenen Sondertribunale wurden von der Obama-Administration im Januar suspendiert, sollen aber nach dem Willen der Regierung mit veränderten Prozessregeln fortgesetzt werden. Vor diesen Militärtribunalen könnten als gefährlich eingestufte Häftlinge angeklagt und abgeurteilt werden, die man nicht vor US-Bundesgerichte gestellt sehen will, weil dort nach jahrelanger Willkürhaft, Misshandlung und Folter juristische Debakel und Freisprüche drohen. Für einige Guantánamo-Insassen hat Obama darüber hinaus eine Art Sicherungsverwahrung ganz ohne Prozess angedeutet – eine Vorgehensweise, die in Menschen- und Bürgerrechtskreisen allerdings auf heftige Kritik stößt.

Hochsicherheitstrakt “Camp 6“ in Guantanamo (im Bau, 2006). Bild: U.S. Depatment of Defense

Das Gefängnis soll demnach von drei US-Ministerien betrieben werden. Das Verteidigungs-, das Justiz- und das Heimatschutzministerium sollen dabei für unterschiedliche Insassen zuständig sein. Als mögliche Haftanstalten nannte die Washington Post das 134 Jahre alte Militärgefängnis in Fort Leavenworth im US-Bundesstaat Kansas und ein Hochsicherheitsgefängnis in Standish im Bundesstaat Michigan. Ein namentlich nicht genannter Regierungsvertreter erklärte gegenüber der Zeitung, die Einrichtung des Gefängnisses sei von einer der von Präsident Obama eingesetzten Arbeitsgruppen zur Schließung des Gefangenenlagers auf Kuba vorgeschlagen worden. Die Idee sei der Regierung aber noch nicht offiziell empfohlen worden. Erst vor rund zwei Wochen hatten die Expertenteams aus dem Verteidigungs- und Justizministerium einen Aufschub um sechs beziehungsweise zwei Monate für die Vorlage ihrer jeweiligen Berichte beantragt und der Regierung damit sechs weitere Monate Zeit verschafft, um alle rechtlichen und politischen Fragen zu lösen. Spätestens damit war das bei Amtsantritt medienwirksam abgelegte Versprechen Obamas, das Lager Guantánamo bis zum Januar 2010 zu schließen, praktisch Makulatur geworden.

Die US-Bürgerrechtsbewegung ACLU kritisierte das Vorhaben der Regierung, Guantánamo-Häftlinge unter nahezu identischen Bedingungen auf dem Festland zu internieren, als „verfassungswidrig und unnötig“. „Die Schließung von Guantànamo wird nur eine leere Geste sein, wenn wir es lediglich auf dem Land unter einem anderen Namen wieder eröffnen“, erklärte der ACLU-Anwalt Jameel Jaffer. Mit jeder Einrichtung, die eine unbegrenzte Haft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren gestatte, bestünden die Probleme fort, die Obama ursprünglich zu einer Schließung des Lagers auf Kuba bewogen hätten.

Wachsender Widerstand im Kongress

Während aus Michigan positive Signale für die Aufnahme von Guantánamo-Häftlingen kamen, kündigten republikanische Politiker aus Kansas, darunter die Senatoren Sam Brownback und Pat Roberts und der Gouverneur Mark Parkinson, „Widerstand gegen alle Bestrebungen“ an, Guantánamo-Häftlinge nach Fort Leavenworth zu verlegen. Auch im Kongress stößt die Verlegung von Guantànamo-Häftlingen auf US-Territorium auf zunehmend erbitterte Ablehnung. Sowohl Senat als auch Repräsentantenhaus haben mit großer Mehrheit sämtliche vom Präsidenten beantragte Mittel zur Auflösung des Lagers gesperrt. Außerdem forderte der Kongress von der Regierung einen detaillierten Sicherheitsplan. Nach einer aggressiven Terror-Angstkampagne der oppositionellen Republikaner wollen auch die meisten demokratischen Abgeordneten nicht, dass Gefangene womöglich in Gefängnissen oder auf Militärstützpunkte in ihrem Wahlkreis einsitzen. Immer unwahrscheinlicher wird damit auch, dass es zur Einsetzung eines Sonderermittlers kommt, der Foltervorwürfe gegen CIA-Agenten bei Verhören von Terrorverdächtigen untersuchen soll. Gegen eine entsprechende Ankündigung von US-Justizminister Eric Holder Mitte Juli hatte sich Präsident Obama nach entsprechendem Druck aus Militär- und Geheimdienstkreisen dezidiert ausgesprochen.

In Guantánamo sitzen derzeit noch 229 Terrorverdächtige ein. Seit Beginn des Jahres wurden elf Häftlinge aus dem Lager entlassen, vier konnten in ihre Heimatländer zurückkehren, fünf an befreundete Staaten überstellt werden. Ein Terrorverdächtiger wurde an ein amerikanisches Zivilgericht in New York überstellt, wo ihm der Prozess gemacht werden soll. Schon in diesem Fall hatte sich die Regierung über eine entsprechende Resolution aus dem Kapitol hinwegsetzen müssen. Der Angeklagte wurde bei Nacht und Nebel nach Manhattan geflogen. Die Einzelfallprüfung der Unterlagen der verbliebenen 229 Gefangenen hat Berichten aus dem Pentagon zufolge ergeben, dass die Zahl jener Internierten, die nicht mehr als gefährlich gelten und mithin sofort freigelassen werden, „deutlich über 50 liegt“. Über die Zahl jener Gefangenen, welche die Regierung nach gegenwärtigem Sachstand nicht vor ein Gericht stellen, aber aus Sicherheitsgründen auch nicht freilassen will, gibt es bislang keine Angaben.

“Durchlöchert wie ein Sieb”

Was es mit der angeblichen Gefährlichkeit der Insassen des Sonderlagers Guantánamo auf sich hat, erhellt der Fall des jüngsten Guantánamo-Häftlings, der wohl Rechtsgeschichte schreiben wird. Vergangenen Donnerstag musste die US-Regierung gegenüber einem Bezirksgericht in Washington einwilligen, Mohammed Dschawad nach sieben Jahren Haft aus dem Sonderlager auf Kuba zu entlassen. Die Richterin Ellen Segal Huvelle hatte sich mutig über den Versuch der Regierung hinweggesetzt, das Verfahren künstlich am Leben zu erhalten und als Zivilprozess weiterzuführen. Schon bei der ersten Anhörung Mitte Juli hatte sie der Regierung Obama die Leviten gelesen: sie baue nur auf jene Beweismittel, die schon unter George W. Bush nicht gereicht hätten. Denn das Geständnis, in dem sich Mohammed Dschawad im Dezember 2002 selbst bezichtigt hatte, auf eine US-Patrouille in Kabul eine Handgranate geworfen zu haben, sei ganz offenbar von der afghanischen Polizei erfoltert worden – demnach ungültig und nicht verwertbar. Exakt das habe vor mehr als einem Jahr bereits ein Militärrichter verfügt. Die von der Regierung aufgebaute Anklage nannte sie “durchlöchert wie ein Sieb” („riddled with holes“).

Sehr wahrscheinlich stammten alle “Beweise” der Regierung von Geständnissen, die Dschawad unter Todesdrohungen abgepresst wurden. Derart unmissverständlich hat die dritte Gewalt in den USA die Exekutive noch selten zurechtgewiesen. Nicht die Regierung, sondern allein die Justitia entscheide, wer wann wie lange in Haft bleiben müsse, so Huvelle. Dschawad sei aus Mangeln an Beweisen zu entlassen. Und selbst der Trick der Juristen der Obama-Regierung, plötzlich ein ziviles Strafverfahren gegen den Häftling einzuleiten, dürfe Dschawads Entlassung nicht verzögern: „Dieses Gericht lässt sich nicht in letzter Minute den Teppich unter den Füßen wegziehen“, sagte die Richterin.

Seit Anfang 2003 war Mohammed Dschawad, ein paschtunischer Bauernjunge, in Guantánamo interniert. Dort wurde er geschlagen und mit Schlafentzug gequält, dies hat voriges Jahr auch ein US-Militärrichter bestätigt. 2003 hat Dschawal versucht, sich im US-Kerker das Leben zu nehmen. Afghanische Menschenrechtler glauben, der Junge sei bei seiner Festnahme im Dezember 2002 in Kabul gerade einmal zwölf Jahre alt gewesen. Das Pentagon dagegen schätzte ihn 2003 nach Knochenanalysen auf 18 Jahre – demnach für strafmündig. Für die Schuld oder Unschuld des angeblichen „feindlichen Kämpfers“ interessierte sich die Bush-Regierung nicht im Geringsten. Erst im Juni 2008 erhielt auch Dschawal, nach mehreren Grundsatzentscheidungen des US Supreme Court, endlich wieder sein Grundrecht auf Überprüfung seiner Inhaftierung (Habeas Corpus Act) durch einen unabhängigen Richter zurück.

Von rund 200 Guantánamo-Fällen haben Richterin Huvelle und ihre Kollegen am Washingtoner Bundesgericht bislang über 30 Fälle unter die Lupe genommen, wobei die Regierung gerade einmal in fünf Fällen obsiegte, in allen anderen Fällen gingen die Verfahren zu Gunsten der Gefangenen aus. Von den 26 Häftlingen, die ihre Verfahren gewonnen haben, sitzen dennoch 17 weiterhin in Guantánamo ein. Beim Großteil dieser 17 Fälle behauptet die Regierung, sie habe keine Staaten gefunden, die bereit seien, die Menschenrechte der Männer zu garantieren und zugleich den extremen Sicherheitsauflagen der USA Rechnung zu tragen. Im Falle Mohammed Dschawads dagegen hat die afghanische Regierung dessen sofortige Rückkehr verlangt.