Vom Hacker zum Cracker?
Die russische Wirtschaftskrise bedroht und verführt auch Computerspezialisten
Rußlands Wirtschaftskrise wirkt sich natürlich auch auf die Computerbranche aus. Für die Computerexperten gibt es weniger oder keine Arbeit mehr, für die Studenten sinkt die Aussicht, in der Heimat einen Job finden zu können. Und wer noch Arbeit hat, der sieht sich mit sinkenden Arbeitslöhnen konfrontiert. Diese Situation könnte zu einem weltweiten Problem werden, wenn die Computerexperten zu Crackern in gut bezahlten Auftragsdiensten werden oder auch nur immer mehr Raubkopien von Programmen auf den Markt werfen. Rußland steht hier sowieso fast an der Spitze. Fast 90 Prozent der in Rußland verwendeten Software sind Raubkopien (siehe den Bericht der SPA).
Das Problem ist schon älter, denn mit den vielen gut ausgebildeten Wissenschaftlern und Technikern, die etwa mit der Herstellung von nuklearen und biologischen Waffen beschäftigt waren, gab und gibt es immer wieder Befürchtungen, daß sie aus Not ihre Dienste an Rüstungsindustrien oder gar an Terroristen verkaufen könnten. Erst kürzlich ging eine, dann allerdings vom Iran dementierte Meldung der New York Times um, daß der Iran in Rußland nach Wissenschaftlern für die Waffenproduktion Ausschau halte und ihnen viel Geld anbiete. In der ehemaligen Sowjetunion gab es auch ein groß angelegtes Programm zur Entwicklung von biologischen Waffen. Zwar hatte Boris Jeltzin 1992 bekannt gegeben, daß dieses Programm vom russischen Militär eingestellt worden sei. Ein Großteil der Laboratorien, in denen dies stattfand, wurde bereits von westlichen Experten überprüft. Hilfsprogramme wurden entwickelt, um sie für andere Zwecke zu nutzen. Und die USA zahlen aufgrund eines Kooperationsabkommens auch bereits Gehälter an ehemalige Wissenschaftler, damit sie nicht von Terroristen und feindlichen Staaten wie dem Irak angeworben werden.
Allerdings blieben Zweifel bestehen, ob das russische Militär nicht doch heimlich weiter an der Herstellung biologischer Waffen arbeite (wobei man nie weiß, ob solche Gerüchte möglicherweise auch geschürt werden). Die US-Regierung hat deswegen das Budget für das Kooperationsprogramm von 14 Millionen Dollar auf 7 Millionen heruntergefahren, aber auch um Moskau dafür zu bestrafen, daß Technik für Nuklearwaffen und Raketen an Iran verkauft wurde.
Im Dezember kam es jedoch zu ersten Verhandlungen zwischen Experten vom Pentagon und der russischen Militärakademie für die radiologische, chemische und biologische Verteidigung. Es geht um die Möglichkeit, die bislang noch verschlossenen militärischen Stützpunkte etwa in Swerdlowsk oder Kirov für westliche Besucher erstmals zu öffnen. Die Chancen seien gut. Immerhin arbeiteten an der Entwicklung biologischer Waffen angeblich über 60000 Wissenschaftler in der ehemaligen Sowjetunion. Natürlich stand die Lieblingswaffe Anthrax ganz hoch im Kurs, es wurde aber auch mit dem tödlichen Marburg-Virus und an Bioregulatoren gearbeitet, mit denen sich womöglich die Stimmung, der Herzrhythmus oder die Schlafmuster beeinflussen lassen könnten. Igor Domaradskij, ein Wissenschaftler, der an der Entwicklung biologischer Waffen beteiligt war, berichtete kürzlich, daß man an Substanzen gearbeitet habe, die das Verhalten oder die Stimmung eines Menschen plötzlich verändern und Angst oder sehr hohen Blutdruck bewirken. Wahrscheinlich war man nicht erfolgreich, aber der Wissenschaftler ist überzeugt, daß sich derartiges realisieren ließe.
Jetzt allerdings könnten die russischen Computerexperten, denen es bislang einigermaßen gut erging, in eine ähnliche Lage geraten. Aladdin Software Security, die russische Filiale von Aladdin Knowledge Systems prophezeite unlängst, wie Nando Times berichtet, daß bis zum Ende des Jahres 50 Prozent aller russischen Softwarefirmen pleite sein würden, und fragte rhetorisch, was die hochqualifizierten Menschen dann wohl machen werden, wenn sie auf der Straße sitzen. Gerade weil Rußland sich in einer Wirtschaftskrise befinde und kaum mehr jemand sich Software leisten könne, würden sich viele ihr Einkommen mit dem Knacken von Software und dem Vertrieb von Raubkopien verdienen. Angeblich habe sich bereits die Zahl der russischen Websites, von denen man sich Raubkopien und Programme zum Hacken herunterladen könne, sprunghaft vermehrt. Allein Aladdin habe 1998 15 solcher Websites aufgespürt und zu deren Schließung beigetragen.
Michail Salnikov, Herausgeber der russischen Zeitung Compulog meint, daß vor einiger Zeit Programmierer noch gute Gehälter für ihre Arbeit erhalten haben: "Zur Zeit ist es schwer, eine ehrliche Arbeit zu finden, mit der man Geld verdienen kann." Möglicherweise also ist der Weg von einem Hacker, der lediglich zum Beweis seines Könnens in Computersysteme eindringt, zu einem Cracker, der im Auftrag von anderen vertrauliche Informationen beschafft oder Betrügereien begeht, in Zeiten der Armut nicht sehr weit.