Vom Pharma-Marketing ins Kompetenzteam
Auch wenn das Ressort offiziell unbesetzt blieb, hat die SPD eine Weichenstellung in der Gesundheitspolitik vorgenommen
Als der SPD-Kanzlerkandidat Frank Walter Steinmeier in der letzten Woche sein "Kompetenzteam" vorstellte, da blieb das Ressort Gesundheit unbesetzt. Als Grund wurde angegeben, dass man das Ende der Affäre um den in den Urlaub nachbestellten Dienstwagen der aktuellen Gesundheitsministerin Ursula Schmidt abwarten und den Platz deshalb freihalten wolle. Tatsächlich aber erfolgte auch ohne die Besetzung dieses Ressorts eine Weichenstellung in der Gesundheitspolitik - nämlich durch die Nominierung von Carola Reimann für den Bereich Forschung.
Derzeit ist Carola Reimann gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. In ihren veröffentlichten Lebensläufen gibt sie an, von 1998-1999 als "Referentin im Bereich Public Health" und 2000 als "Projektleiterin medizinisches Marketing" gearbeitet zu haben. Erst auf Nachfrage erfährt man, was sich hinter diesen eher kryptischen Bezeichnungen verbirgt: Genauer arbeitete Reimann für den Pharmakonzern Baxter (der unter anderem durch einen Skandal um verunreinigtes Heparin auf sich aufmerksam machte) und für die auf Marketing für Pharmafirmen spezialisierte Firma Dres. Schlegel und Schmidt. Es überrascht deshalb wenig, dass ihre Kontakte zur Arzneimittelbranche unter Kollegen als - vorsichtig formuliert - relativ gut gelten.
Tatsächlich konnte die Pharmaindustrie während Reimanns Amtszeit als gesundheitspolitische Sprecherin alle Gefahren abwehren, die zu Anfang der großen Koalition noch drohten: Damals veröfftentliche Transparency International ein Jahrbuch Korruption 2006, in dem die NGO feststellte, dass im deutschen Gesundheitswesen medizinische Studien manipuliert, Behörden beeinflusst, Risiken verschwiegen und Selbsthilfegruppen wie der Deutsche Diabetiker Bund unterwandert wurden.
Das Agieren der Pharmaindustrie, die Transparency International als Hauptverantwortlichen für die Missstände benannte, führte den Erkenntnissen der NGO nach dazu, dass das deutsche Gesundheitssystem für die dritthöchsten Kosten weltweit nur mittelmäßige Leistungen bot. Rumänien erhielt von Transparency International eine ähnliche Bewertung seines Gesundheitssystems und musste dafür seinen EU-Beitritt nach hinten verschieben. In Deutschland blieb der Bericht bis jetzt praktisch völlig ohne Folgen.
Den vielfältigen Formen des Pharma-Marketings wurden in den seit seiner Veröffentlichung vergangenen Jahren keine wirksamen Schranken auferlegt. Immer noch bekommen Ärzte Software von Pharmafirmen kostenlos zur Verfügung gestellt, die sich entsprechend weit verbreitet. Und immer noch zeigen solche Programme bei einer Diagnoseeingabe als erstes die teuren Medikamente der Herstellerfirma an. Häufig erlauben sie keine direkten Preisvergleiche und es ist nur mit Mühe möglich, die kostengünstigeren Medikamente anderer Hersteller aufzurufen. Kein Wunder also, dass manche Ärzte alleine aus Zeit- und Geduldsgründen ganz überwiegend die überteuerten Medikamente verschreiben.
Auch der von Transparency International aufgebrachte Fall, in dem ein Softwareentwickler, der an der Gesundheitskarte arbeitete, von der Pharmaindustrie bestochen worden war, hatte keine strukturellen Konsequenzen. Die immer noch nicht fertige Gesundheitskarte wird weiterhin als proprietäres System und nicht als quelloffene und allgemein überprüfbare Lösung entwickelt. Und immer noch liefern Apotheken Daten aus den Patientenrezepten, die bei ihnen eingehen, an Pharmaunternehmen, die damit feststellen, welche Ärzte "zu billige" Präparate von Konkurrenten verschreiben. Solche Ärzte lassen sich dann gezielt mit Besuchen von Pharmavertretern bombardieren.
Allerdings ist es nicht in erster Linie die Gesundheits-, sondern mehr noch die Forschungs- und Patentpolitik, mit deren Hilfe sich die Pharmaindustrie in den letzten Jahrzehnten Monopolrenditen sichern konnte. So kritisierte etwa der Transparency-Experte Peter Schönhöfer, dass lediglich sieben der etwa 450 von 1990 bis 2006 auf den Markt gebrachten "neuen" Medikamente echte Innovationen waren. 25 waren Schrittinnovationen, der Rest ohne relevanten therapeutischen Mehrwert.
Das Argument der Befürworter einer breiten Patentierbarkeit von Medikamenten lautet, dass Pharmakonzerne nur durch hohe Monopolgewinne die notwendige Forschung betreiben konnten, um innovative Medikamente wie das von Glaxo-Welcome patentierte Anti-Aids-Medikament AZT erfinden konnten. Tatsächlich beweist aber gerade die Geschichte dieses Medikaments das Gegenteil: Jerome Horowitz synthetisierte es bereits 1964 mit einem Forschungsstipendium der staatlichen National Institutes of Health. Eine Glaxo-Tochter kaufte ihm die Formel ab um sie als Medikament für Katzen einzusetzen. 1984 wurde der HIV-Virus in einem Labor der National Institutes of Health entdeckt. Das staatliche Labor startete einen Rundruf an alle Pharmafirmen, damit diese Proben ihrer Anti-Retrovirus-Medikamente abgeben sollten und investierte einige Millionen in Tests mit diesen Medikamenten. Nachdem erste Tests vielversprechende Ergebnisse mit AZT ergeben hatten, forderte das National Institute of Health Glaxo auf, das Medikament weiter zu testen - doch der Pharmakonzern weigerte sich.
Jetzt führte Hiroaki Mitsuyama am National Institute of Health mit einer Menge öffentlicher Gelder die Tests zuende. Als das National Institute of Health schließlich Glaxo die Wirksamkeit des Medikaments bei Aids mitteilte, reagierte der Konzern und meldete ein Patent auf das Medikament an - ohne die Arbeit der Regierungsstellen überhaupt nur zu erwähnen. Anfang des 21. Jahrhunderts verkaufte Glaxo das Medikament für das zwölffache der Herstellungskosten. Nach öffentlichen Protesten ließ sich der Konzern dazu herab das Medikament in Afrika "nur" für das dreifache der Herstellungskosten zu verkaufen - der gleiche Preis zu dem auch brasilianische Generika-Hersteller das Medikament anboten.
AZT ist kein Einzelfall. Ein Bericht einer Sonderkommission der WHO legte 2006 ausführlich dar, wie Patentmonopole nicht nur den Zugang zu existierenden, sondern auch die Entwicklung neuer Medikamente erschweren. Und Untersuchungen aus dem USA ergaben, dass eine breitere Patentierbarkeit in der Praxis nicht zu einem Ausbau der Forschungsabteilungen, sondern zu einer Vergrößerung der Rechtsabteilungen führte: Es wurde nicht mehr Geld für Studien, sondern mehr für Rechtsstreitigkeiten aufgewendet.