Vom (Töten im) Kriege
Über Jahrtausende hat der Mensch versucht, Tod und Leid in den Griff zu bekommen. Zeichnet sich ein Rückschritt ab? Ein Essay.
An seinem berühmten Buch "Vom Kriege" hat der preußische General Carl von Clausewitz von 1816 bis 1830 gearbeitet, beeindruckt von den strategischen Neuerungen der napoleonischen Ära. Es geht darin um Strategien, Ausstattung und Vorbereitung der Armeen und die entscheidende politische Komponente der Kriegsführung. Vom Töten ist dabei keine Rede.
Der chinesische Strategie-Klassiker des Generals Sun Tzu, "Die Kunst des Krieges", entstanden im Fünften vorchristlichen Jahrhundert, betont eher das Vermeiden von blutigen Schlachten. Die höchste Kunst sei es, den Feind zu besiegen, ohne zu kämpfen. Töten sei nur im Notfall zum eigenen Überleben notwendig. Die Militärdoktrinen unserer Zeit sind politisch-strategische Konzepte der Regierungen, normalerweise als Sicherheitskonzept zur Verteidigung formuliert.
Eine "Vorwärtsverteidigung" und entsprechende Offensivbewaffnung gehören überall dazu. Vom Töten und den damit verbundenen moralischen Problemen ist auch hier keine Rede.
Der Krieg bleibt abstrakt
Trotz aller schrecklichen Bilder in den Medien wird der Tod überwiegend in abstrakten Verlustzahlen erwähnt, Leichenbilder werden verpixelt oder nicht veröffentlicht. Offenbar gibt es für das Töten einen blinden Fleck in Gesellschaft und Medien, wenigstens soweit es um Menschen geht.
Beim Thema Tierwohl oder Veganismus wird deutlich engagierter diskutiert, etwa über die Milliarden von Hühnern, die pro Jahr weltweit geschlachtet werden. Gleichzeitig werden Video-Killerspiele immer beliebter und immer realistischer, mit Soldaten, die man per Mausklick erschießen kann und explodierenden Schiffen und Panzern.
Das Ausblenden des Tötens und gleichzeitig die Zunahme von Gewaltfantasien in Computerspielen gehören zu den sozialen Pathologien unserer Zeit. Dabei bleiben Dutzende Kriege, die in einer Parallelwelt zu toben scheinen, weitgehend unbeachtet.
Die Plagen der Menschheit: Pest, Krieg, Hunger und Tod
Seit Urzeiten hat die Menschheit zu ergründen versucht, warum die Welt so voller Übel ist und sich dazu als Kontrast ausgemalt, wie es davor einmal paradiesische Zustände oder ein goldenes Zeitalter gegeben haben könnte.
Die älteste schriftliche Quelle dazu in Europa ist die "Theogonie" des griechischen Dichters Hesiod, entstanden im siebten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung.
Sie beschreibt, wie die Götter den Titanen Prometheus dafür bestrafen, dass er den Menschen das Feuer gebracht hat. Zeus schickt ihm die schöne Pandora mit der sprichwörtlichen Büchse, die sie auf keinen Fall öffnen soll.
Die Schrecken der Menschheit
Als sie es dennoch tut, entweichen ihr die Plagen Pest, Krieg, Hunger und Tod. Aus Mitleid lassen die Götter allein die Hoffnung zurück. Die jüdische Schöpfungsgeschichte im Buch Genesis ist deutlich älter als Hesiods Dichtung, enthält aber teils ähnliche Motive wie die Versuchung von Adam und Eva im Paradies, die zu ihrer Vertreibung in eine Welt voller Mühsal führt.
Die schlimmsten Plagen werden aber erst deutlich später, Ende des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, in der Offenbarung des Johannes thematisiert, die als einziger der altjüdischen prophetischen Texte ins christliche Neue Testament aufgenommen wurde.
Hier erscheinen die apokalyptischen Reiter, die Krankheit, Hunger, Krieg und Tod symbolisieren, als Vorboten des Jüngsten Gerichts. Die vier Plagen sind eng miteinander verflochten, wobei der Tod das verbindende Element ist.
Der unbedingte Vernichtungswille
Er ist ein Teil des Lebens, das er ohnehin beendet. Durch Krankheit und Hunger kann der Tod unerträglich qualvoll werden, aber die schlimmste Plage ist der Tod im Krieg, der die Kämpfer meistens allzu jung hinwegrafft und seit jeher auch unbeteiligte Zivilisten nicht verschont hat.
Waffentechnische Fortschritte und der unbedingte Vernichtungswille moderner Kriegsparteien, die Millionen von Opfern akzeptieren, scheinen heute immer noch steigerungsfähig zu sein. Durch die zahllosen historischen Kriege, die den Großteil unserer Historiografie ausmachen, wurden oft die Lebensgrundlagen ganzer Völker zerstört und immer wieder Länder- und imperiale Reichsgrenzen verschoben.
Evolutionsbiologie, Paläontologie und Anthropologie leisten interessante Beiträge zum Verständnis von Aggression bei Tieren und Menschen.
Krieg und Territorialität
Ein Schlüsselbegriff ist dabei die Territorialität. Räuberische Landsäugetiere wie Löwen und Wölfe, die im Rudel jagen, verteidigen ihre Jagdreviere gegen Eindringlinge. Auf dem Spiel steht immer die Nahrungssicherheit. Homo sapiens und Neandertaler waren kooperative Großwildjäger und mussten kämpfen, wenn zu viele Jäger die Tierbestände reduzierten und Hunger drohte.
Die Jagdwaffen machten beide Gruppen gleichermaßen kriegstüchtig. An den gefundenen Knochenresten sind Kampfspuren sichtbar, vor allem Schädelverletzungen durch Keulen und Unterarmbrüche bei der Abwehr von feindlichen Schlägen sowie Speer- und Pfeilwunden an Knochen. Die Neandertaler starben vor 40.000 Jahren aus, aber etliche ihrer Gene haben überlebt. Mit dem Homo sapiens stimmen bis heute 99,7 Prozent der DNA überein.
Kooperative Aggression
Die phänotypischen Unterschiede waren deutlich signifikanter, als diese Zahl vermuten lässt, obwohl weniger unterschiedlich als zwischen Menschen und Schimpansen, die auch in der DNA zwischen 98 und 99 Prozent übereinstimmen. Bemerkenswert bei unseren engsten Verwandten, den Schimpansen, bleiben ihre ausgeprägten territorialen Instinkte.
Die männlichen Mitglieder tun sich fast regelmäßig zusammen, um die männlichen Mitglieder anderer Gruppen zu attackieren und zu töten. In der Evolutionsbiologie wird das als kooperative Aggression bezeichnet, die sich bei den gemeinsamen Vorfahren seit sieben Millionen Jahren herausgebildet hat und uns fortgeschrittenen Hominiden bis heute nicht erspart bleibt.
Im griechischen und römischen Altertum war im Krieg ohnehin, aber auch in der Politik und in der Justiz, das Töten von Menschen unproblematisch. Kriegsgefangene und Sklaven konnten straflos umgebracht werden. Soldaten konnten dezimiert werden, indem jeder Zehnte einer disziplinlosen oder gar meuternden Kohorte dem Schwert zum Opfer fiel.
Krieg in der Antike
Die Kriegsgötter Ares und Mars oder ihre mesopotamischen Vorgänger waren grausam-maskuline Gestalten im Gegensatz zu den weiblichen Sieges- und Friedensgöttinnen. Nach Vorstufen im alten Ägypten entwickelte sich vor rund 3.500 Jahren im Mittleren Osten der Monotheismus, aufgespalten in die drei abrahamitischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam.
In der hebräischen Thora, im Koran und in der Bibel sind die Einstellungen zum Töten nicht einheitlich. Die verschiedenen Textfassungen, Übersetzungen und Interpretationen unterscheiden zwischen Morden und Töten, was in den folgenden Jahrhunderten die Akzeptanz des Tötens im Krieg zuließ und bis ins heutige Strafrecht den Unterschied zwischen Totschlag und vorsätzlichem Mord vordefiniert hat.
Das Alte Testament beinhaltet darüber hinaus eine Reihe von Texten, in denen Gott, abweichend vom fünften Gebot, die Tötung von militärisch gefährlichen Feinden Israels nicht nur zulässt, sondern sogar anordnet.
Krieg in der Bibel
Im fünften Buch Mose, Dtn 25:17-19, wird die Vernichtung der feindlichen Amalekiter gefordert: "Dann lösche unter dem Himmel alles aus, was noch an die Amalekiter erinnert!" An einer anderen Stelle, Exodus 17:14, spricht Gott zu Moses, dass er selbst die Amalekiter auslöschen wird. Ähnliches galt für weitere Feinde wie Ammoniter, Edomiter, Moabiter, Kanaaniter oder Philister. Historisch ging es um die Besitznahme des von Gott versprochenen Landes, ein zumindest ebenso politischer wie religiöser Vorgang.
Wie in der Antike die Götter hilfreich in Kriege eingriffen, beriefen sich Herrscher und Politiker immer wieder auf göttlichen Beistand. Das folgenreichste politische Ereignis dieser Art war Kaiser Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke im Jahre 312, der die Bekehrung des Kaisers und den Siegeszug des Christentums in Europa einleitete. Jahrhunderte später segnen immer noch christliche Priester Flugzeuge, Kanonen und Panzer für den Sieg.
"Gott mit uns"
Die Koppelschlösser der Soldaten trugen in Preußen und im Ersten Weltkrieg den Text "Gott mit uns". Im Zweiten Weltkrieg wurde die Königskrone durch den Reichsadler mit Hakenkreuz ersetzt. Das "Gott mit uns" wurde 1955 zunächst von der Bundeswehr übernommen, aber 1962 beim sogenannten Großen Dienstanzug durch den Bundesadler und die Worte Einigkeit, Recht und Freiheit ersetzt. Das normale Dienst-Koppelschloss der Mannschaftsgrade ist schmucklos neutral.
Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg war Deutschland keineswegs pazifistisch geworden, sondern rüstete heimlich auf, was eindeutig gegen den Versailler Vertrag verstieß.
Das Prestige der Reichswehr wurde durch die sogenannte Dolchstoßlegende geschützt, dass das Heer im Felde nicht besiegt, sondern von Feinden im Inneren hinterrücks um den Sieg gebracht worden sei, vor allem von Sozialdemokraten und Juden. Als Kurt Tucholskys Satz "Soldaten sind Mörder" 1931 in einem Beitrag für die Zeitschrift Weltbühne erschien, war der Skandal groß.
Sind Soldaten Mörder?
Der verantwortliche Redakteur, Carl von Ossietzky, wurde wegen Beleidigung der Reichswehr angeklagt, aber freigesprochen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte der skandalöse Satz immer wieder erneut die Justiz.
Am 10. Oktober 1995 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass die Aussage als "kontextabhängige, mehrdeutige Meinungsäußerung" von der im Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit gedeckt wird. Zahlreiche Urteile unterer Instanzen, die den "Ehrenschutz bei Kollektivurteilen über Soldaten" für höherwertig gesehen hatten, mussten revidiert werden.
Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik
Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und ihre Aufnahme in die Nato waren 1955, nur zehn Jahre nach Kriegsende, erheblich umstritten. Der Aufbau der Bundeswehr verlief aber rasch und in engem Einvernehmen mit den Alliierten, innenpolitisch erleichtert durch den Ost-West-Konflikt und die atomare Bedrohung. Kriegsdienst und Wehrdienstverweigerung blieben allerdings ein besonderes Spannungsfeld.
Eine Reihe von heutigen Spitzenpolitikern verweigerte damals den Wehrdienst. Die Ostermärsche für Frieden und Abrüstung mobilisierten in den 1960er-Jahren Millionen von Menschen, unterstützt von der SPD, den Gewerkschaften und den Kirchen.
Die russische Invasion in die Ukraine 2022 hat von den Ostermärschen wenig übriggelassen, die Zeichen stehen inzwischen auf Kriegstüchtigkeit und Aufrüstung.
Allerdings klagt die Bundeswehr über Personalmangel und wenig Interesse an einer militärischen Karriere. Freiwillige melden sich kaum und Zeitsoldaten steigen vor dem Ende ihrer Verpflichtung aus. Die Wiedereinführung einer Wehrpflicht scheint damit nahezu unausweichlich.
Killology: Töten und Psyche
In den USA, wo intern die "ewigen Kriege" der Weltmacht kontrovers diskutiert werden, gibt es den Begriff "Killology" schon länger. Eingeführt hat ihn der Oberstleutnant a.D., Psychologe und West Point-Dozent Dave Grossman, als er nach 23 Dienstjahren und zahlreichen Auslandseinsätzen aus der Armee ausschied und die "Killology Research Group" gründete.
In seinem ersten Buch "On Killing, The Psychological Cost of Learning to Kill in War and Society", in erster Auflage erschienen 1995, analysiert Grossman die psychologischen Prozesse und Traumatisierungen, "wenn unsere Nation Soldaten dazu aufruft, Menschen im Kampf zu töten".
Inspiriert wurde Grossman durch S.L.A. Marshall, der als Brigadegeneral und Armee-Historiker die amerikanischen Streitkräfte vom Ersten Weltkrieg bis zum Vietnamkrieg begleitet, analysiert und beraten hatte.
In dem berühmtesten von Marshalls Büchern geht es um die natürliche Tötungshemmung beim Menschen. Grossman führt das Thema weiter und zeigt, dass bis zum Zweiten Weltkrieg nur 15 bis 20 Prozent der Soldaten direkt auf den Gegner geschossen haben.
Tötungshemmung war praktisch ausgeschaltet
Im Korea-Krieg stieg der Anteil auf 50 und im Vietnamkrieg auf 90 bis 95 Prozent. Die Tötungshemmung war praktisch ausgeschaltet. Grossman analysiert, was in der Kampfsituation beim einzelnen Soldaten und in der Gruppe psychologisch vor sich geht, wie die Tötungshemmung durch Befehlsdruck, Kameraderie und Drill überwunden werden kann und welche Folgen das für das Gewissen und die Persönlichkeit des einzelnen Soldaten hat.
Die Selbstmordraten unter US-amerikanischen Kriegsveteranen oder ihre Amokläufe und Depressionen werden gelegentlich von den Medien thematisiert, nicht aber das Ausmaß dieser Spätfolgen von Kampfeinsätzen.
Unter den Sammelbegriffen "Posttraumatische Belastungsstörungen" (PTBS) oder Posttraumatisches Stress-Syndrom (PTSS) versteht man Phobien, Depressionen, Panikattacken, Irritierbarkeit, Schlaflosigkeit, quälende Rückblende-Erinnerungen, Albträume und Amokläufe als die möglichen Folgen von Kampferfahrungen. Auf der Webseite des U.S. Department of Veteran Affairs wird die zunehmende Häufigkeit dieser Erkrankungen deutlich.
Steigende Traumata bei Soldaten
Während es im Zweiten Weltkrieg und im Korea-Krieg noch drei Prozent waren, stieg die Häufigkeit im Vietnam-Krieg schon auf zehn Prozent. Im Ersten Golfkrieg 1991 "Desert Storm" waren es schon 21 Prozent und in den folgenden Golfkriegen "Enduring Freedom" (2001-2014) und "Iraqi Freedom" (2003-2011) stieg der Anteil erkrankter Veteranen auf 29 Prozent.
Vermutlich geht die Steigerung darauf zurück, dass im Zweiten Weltkrieg mehr Soldaten überzeugt waren, dass ihr Einsatz sinnvoll und notwendig war und in den Golfkriegen längst nicht mehr. PTBS als Krankheitsbegriff wurde erst 1980, fünf Jahre nach dem Ende des Vietnam-Krieges medizinisch definiert, obwohl die Traumata von Schlachtfelderfahrungen seit jeher bekannt waren.
Aber Vietnam war eine besondere Schwelle, denn viele der drei Millionen Amerikaner, die dort eingesetzt wurden, kamen mit PTBS oder drogenabhängig nach Hause.
Schnelles Töten wird trainiert
Durch unendlich wiederholten Drill und Konditionierung sowie möglichst realistisch menschenähnliche Zielattrappen konnte die Reaktion der einzelnen Soldaten bei den Schießübungen so weitgehend automatisiert werden, dass Einzelfallentscheidungen wie Schießen oder Nichtschießen unterdrückt bleiben.
Ähnliches gilt für Polizeikräfte, die blitzschnell entscheiden müssen, ob ein finaler Todesschuss zur Rettung weiterer Menschenleben notwendig ist. Grossman nennt das "violence immune deficiency", also eine Art Gewöhnung an ungehemmte Gewaltanwendung.
Das wird auch in der Sprache deutlich. Der Feind wird nicht getötet, sondern überwältigt, ausgeschaltet, erledigt, eliminiert oder liquidiert. Auch der waffentechnische Fortschritt hilft zunehmend gegen die Tötungshemmung.
Leichter als im Nahkampf, etwa mit einem Messer, Bajonett oder einer Pistole, wird das Töten auf Distanz. Deshalb sind Luft- und Bombenkriege so beliebt, obwohl sie bisher nirgendwo wirklich kriegsentscheidend waren.
Der Krieg wird nicht mehr erlebt
Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wurden abgeworfen, nachdem Japan den Krieg bereits verloren hatte.
Die neuesten Entwicklungen im Ukrainekrieg lassen erahnen, wie weit die Drohnentechnologie das Töten auf Distanz noch weiter erleichtern wird.
In Gaza wird gerade erprobt, wie Drohnen sich auch in unterirdischen Tunnel-Labyrinthen orientieren können.
Cyberwarfare und die Militarisierung des Weltraums sind ebenfalls in der Experimentierphase und längst über das Planungsstadium hinaus.
Dave Grossmann ist seit vielen Jahren mit Vorträgen und Schulungen an Militär- und Polizeiakademien unterwegs, seine Bücher sind in West Point, beim FBI und vielen anderen Ausbildungsstätten Pflichtlektüre.
Sein Buch "On Killing" ist mehr als 500.000-mal verkauft worden; die meisten deutschen Online-Buchhandlungen führen es in der englischen Originalfassung. Ein zentrales Zitat lautet: "Der Soldat versteht, wenn die Zeit gekommen ist, dass er für die Irrtümer der Politiker kämpfen, leiden und sterben muss."
Die Reise wird an der Front enden
Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung listet in seinem letzten Konfliktbarometer von 2022 insgesamt 21 kriegerische und 21 limitierte kriegerische Konflikte auf.
Zu den weiteren 174 kleineren gewaltsamen Konflikten, davon 136 innerstaatlichen, sind die Kriege in der Ukraine und in Gaza hinzugekommen und haben höchste Priorität in den Medien.
Dabei werden die blutigen Kriege im Jemen, im Sudan, in Lateinamerika und in Afrika kaum noch erwähnt.
Die Öffentlichkeit der westlichen Wertegemeinschaft ist an Krieg, Tod und Zerstörung seit Jahren gewöhnt. Insofern wird auch kaum noch darüber diskutiert, wie gerechtfertigt manche Feldzüge und ihre vielen Opfer tatsächlich sind.
Das gilt ganz besonders für Terroristen, wie einseitig sie als solche definiert sein mögen, und zunehmend auch für Soldaten, die für diktatorische Regime kämpfen.
Das genetische Aggressionserbe der Menschheit ist somit erdrückend aktuell, wird allerdings erstaunlich weitgehend ausgeblendet. Das Internet und die weltumspannende Nachrichtenindustrie bringen die Kriegsgräuel fast rund um die Uhr auf die Fernsehschirme, ohne dabei Schockreaktionen des Publikums oder der Politiker auszulösen.
Das erinnert an die Verse aus Goethes Faust: "Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinanderschlagen."
Wie viele Deutsche die aktuellen Kriege miteinander diskutieren, mag offenbleiben.
Es fällt jedoch auf, dass eine deutliche Mehrheit von Politikern, Journalisten und Leserbriefschreibern sehr eindeutig Partei nimmt und genau zu wissen scheint, wie die Schuldigen besiegt und bestraft werden können.
Gegenmeinungen oder gar Rufe nach Friedensverhandlungen werden als untauglich abgetan. Während wehrpflichtige Ukrainer und auch viele junge Russen ihr Land verlassen haben, scheinen in Deutschland Aufrüstung und Kriegstüchtigkeit die Prioritäten der Stunde zu sein.