Von Block zu Block in Gaza: Wie wird die israelische Invasion aussehen?

Israelische Soldaten rücken in den Gazastreifen vor. Bild: IDF
US-Brigadegeneral erklärt: Die Hamas hat den Vorteil des Häuserkampfs. Israel hat die Artillerie, die Bomben und die Zeit. Und was ist mit der Bevölkerung? Gastbeitrag.
Der israelische Einmarsch in den Gazastreifen hat begonnen, auch wenn wir noch nicht wissen, wie stark er sich ausweiten wird. Aber er erinnert uns schon jetzt daran, dass der Krieg, insbesondere der Kampf in den Städten, in der Tat die Hölle ist.
Wie wird also diese Bodeninvasion auf taktischer Ebene tatsächlich aussehen?
Der Gazastreifen selbst ist etwa 40 Kilometer lang und im Durchschnitt neun Kilometer breit. Das ist eine winzige Fläche, auf der eine großangelegte Militäroperation durchgeführt werden soll.
Die meisten modernen Artilleriegeschütze können fast die gesamte Länge des Gazastreifens treffen. Die meisten modernen Panzerabwehrraketen können die Hälfte seiner Breite abdecken. Israelische F-16-Flugzeuge können den Streifen in weniger als drei Minuten überfliegen und müssen ständig wenden, um ihre Position über Gaza-Stadt zu halten.
Das Problem der Reichweite wird durch den städtischen Charakter des Schlachtfelds noch verschärft. Auch wenn der Gazastreifen nur wenige Kilometer breit ist, ist es höchst unwahrscheinlich, dass man eine derart weite Sichtlinie hat, weil es dort von Menschenhand geschaffene Hindernisse gibt – besser bekannt als Gebäude.
Das bedeutet, dass niemand eine privilegierte Reichweite hat. Erst, wenn man es sehen kann, ist es in Reichweite. Wenn es in Reichweite ist, ist man es selbst auch.
Der größte Teil dieser Fläche ist mit Gebäuden bedeckt – Geschäfte, Büros, Schulen, Krankenhäuser und Wohnhäuser. Jedes dieser Gebäude bietet den Kämpfern Deckung und Versteckmöglichkeiten.
Die Strukturen bilden auch natürliche Kanäle, die angreifende Truppen in spezifische Feuerzonen für Hinterhalte oder über improvisierte Sprengsätze hinweg leiten.
Die israelische Panzerung kann auf diesem Schlachtfeld keinen Manöverkrieg, also einen Bewegungskrieg ohne dauerhafte Verschanzungen, führen. Ohne Infanterieunterstützung sind die Panzer leichte Beute. Die Infanterie ist für alles anfällig. Die Israelis werden Verluste erleiden, und das haben sie bereits, wie die New York Times am Mittwoch berichtete.
Städtische Gebiete stellen schwierige taktische Probleme dar. Befestigte städtische Gebiete sind noch schlimmer. In den letzten zehn Jahren hat die Hamas ein Labyrinth von Tunneln entwickelt, die buchstäblich den gesamten Gazastreifen durchziehen und miteinander verbunden sind, insbesondere in Gaza-Stadt.
Die Hamas nutzt diese unterirdischen Bauwerke für ihre Kommando- und Kontrollfunktionen, ihre Bewegungsfreiheit, ihre Logistik, ihre Unterschlupfmöglichkeiten und als Möglichkeit, den Feind zu überrumpeln und in einen Hinterhalt zu locken.
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Befestigte städtische Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte stellen die größten Herausforderungen dar. Der Großteil der Kämpfe wird in Gaza-Stadt selbst stattfinden, die eine größere Bevölkerungsdichte aufweist als New York, Chicago, Boston, Philadelphia oder San Francisco.
Mehr als zwei Millionen Menschen leben auf einem Gebiet, das etwa doppelt so groß ist wie Washington D.C. Das bedeutet, dass Zivilisten oder Nichtkombattanten überall zu finden sind. Selbst wenn die Hälfte der Bevölkerung nach Süden gezogen ist, wird das den Israelis immense Probleme bei der Zielerfassung bereiten.
Hinzu kommt, dass das dicht besiedelte Gebiet das israelische Problem der Zielidentifizierung noch verstärkt. Die Hamas vermischt sich absichtlich mit der Zivilbevölkerung.
Das Fazit für das Schlachtfeld ist, dass es der Hamas hilft und die Israelis behindert. In der städtischen Kriegsführung ist der Verteidiger, in diesem Fall die Hamas, im Vorteil. Ein Vorteil, der abgeschwächt werden kann, wenn der Angreifer über eine überwältigende Feuerkraft und den Willen verfügt, diese einzusetzen.
Wie die Hamas kämpfen wird
Die Hamas wird das städtische Terrain nutzen, um starke israelische Verluste zu verursachen und gleichzeitig die Israelis zu zwingen, aus Selbstschutz Zivilisten zu treffen. Sie wird jeden Block zu einer Festung und jede Straßenecke zu einem Hinterhalt machen.
Durch die Nutzung der "unterirdischen Flanke" werden sie aus Tunneln und Verstecken in Gebäuden auftauchen, um israelische Fahrzeuge mit Raketen zu beschießen, Granaten abzufeuern oder sogar Molotowcocktails zu werfen.
Auch wenn sie vielleicht keine Javelin-Panzerabwehrwaffen verwenden (obwohl die Gefahr, dass die Hamas über solche Waffen verfügt, nicht von der Hand zu weisen ist, wenn man bedenkt, was in der Ukraine erbeutet oder "verloren" wurde), werden ihre Waffen mehr als ausreichen, um zumindest einen Panzer außer Gefecht zu setzen und Verluste zu verursachen. Die kurze Reichweite verkürzt die israelische Reaktionszeit und erhöht die tödliche Wirkung.
Die Hamas-Kämpfer haben sich höchstwahrscheinlich absichtlich oder unabsichtlich unter die Zivilbevölkerung gemischt und werden das in vollem Umfang ausnutzen. Sie wissen, dass die Welt beobachtet, was die Israelis tun, und zählen darauf, dass der Druck sie zum Aufhören zwingt.
Noch einmal: Sie sehen diesen Krieg als existenziell an und werden daher jedes Mittel einsetzen, um zu gewinnen.
Wie die Israelis kämpfen werden
Zunächst müssen sie die Hamas-Kämpfer aufspüren und sie dann in ihren befestigten Stellungen angreifen, ohne dabei übermäßige Verluste in Kauf nehmen und Zivilisten töten zu müssen.
Um die Hamas-Kämpfer ausfindig zu machen, werden die Israelis eine Vielzahl von Mittel nutzen. Sie werden bereits das elektromagnetische Spektrum von Mobiltelefonen, Computern und Funkgeräten nach einer elektronischen Signatur durchsuchen, um ein potenzielles Ziel zu identifizieren.
Sie werden die sozialen Medien nach Erkennungsmerkmalen durchforsten und Drohnen, bemannte Flugzeuge und menschliche Aufklärungsteams einsetzen, um zu bestätigen und zu überprüfen, was sie zu wissen glauben.
All das und noch viel mehr werden sie tun, um zuzuhören, zu sammeln und sich ein Bild von Kommandozentralen, Logistikstandorten, Artilleriestellungen und der Schlachtordnung zu machen – wer wer ist, wer über was verfügt und wo es sich befindet.
Dieser Prozess wird als nachrichtendienstliche Vorbereitung des Schlachtfelds bezeichnet. Das haben die Israelis seit Beginn der Feindseligkeiten getan – in Wahrheit wurden einige ihrer Ziele höchstwahrscheinlich schon lange vor dem Angriff der Hamas festgelegt, so wie die Hamas mit Sicherheit eine solide Zielliste israelischer Ziele hatte und hat.
Der Einmarsch am Boden ändert diesen Prozess natürlich. Wenn die israelischen Panzer und die Infanterie sich dem Feind "nähern", wird das Aufspüren und anschließende Angreifen von Hamas-Kämpfern höchstwahrscheinlich zu einer bloßen Erwiderung des Feuers werden – oft ohne die Zeit dafür zu haben, herauszufinden, wie man die Zahl der zivilen Opfer begrenzen kann.
Es ist eine Sache, eine Pause einzulegen und sich in unwegsamem Gelände zurückzuziehen, aber eine andere, herauszufinden, wer auf einen schießt.
Sobald sie den Feind ausfindig gemacht haben, haben die Israelis eine Reihe von Möglichkeiten, die Hamas-Kämpfer zu bekämpfen. Aber es ist nicht einfach, zu entscheiden, welche Waffe am besten geeignet ist.
Sie müssen ihr Handeln an drei Kriterien messen: 1) Erzielt sie die gewünschte Wirkung auf den Feind? 2) Können sie die Aufgabe bewältigen, ohne zu viele israelische Soldaten zu verlieren? 3) Können sie die Zahl der zivilen Opfer begrenzen, die, wenn sie zu hoch ansteigen, für Israel zu einer schweren Bürde im Krieg werden?
Wenn zivile Opfer keine Rolle spielen würden, würden die Israelis ihre massive Feuerkraft einsetzen, um alle Ziele oder potenziellen Ziele der Hamas zu zerstören. Sie haben das Potenzial, Gaza-Stadt buchstäblich dem Erdboden gleichzumachen, indem sie die über 900-Kilo-Satellitenbomben mit verzögerten Zündern einsetzen, um die bekannten Tunnelkomplexe zu zerstören oder sie zumindest für immer zu versiegeln. Damit würde das Ziel erreicht, die Hamas zu zerstören und die israelischen Verluste zu begrenzen.
In Wirklichkeit würde dieser Ansatz jedoch zu inakzeptablen Opfern unter der Zivilbevölkerung führen. Der umgekehrte Weg wäre ein Nahkampf, bei dem man einen stärker "chirurgischen" Weg sucht. Im Nahkampf muss man die Vorteile des Verteidigers in der urbanen Kriegsführung in Kauf nehmen, und man muss mit Verlusten rechnen – mit sehr vielen Verlusten.
Die Erstürmung eines Gebäudes kann wie die Erstürmung eines Schützengrabens sein. Wir haben in der Ukraine gesehen, wie das aussieht.
Wie werden die Israelis also kämpfen? Ihre beste Option, um die Hamas zu zerstören (was oberste Priorität hat), ihre eigenen Verluste zu begrenzen (zweite Priorität) und die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung zu begrenzen (letzte Priorität), wird darin bestehen, hart zuzuschlagen, wenn sie bekannte, überprüfte Ziele vorliegen haben, vorzurücken, um mit dem Feind in Kontakt zu kommen, und dann die Waffe auszuwählen, die sie einsetzen wollen. Sie bewegen sich langsam und bedächtig, ein Block nach dem anderen.
Deswegen sagte der israelische Premierminister Netanjahu, dass es ein langer Krieg werden wird. Das reibt die Hamas durch Zermürbungstaktik und Versorgungsengpässe auf.
Je länger es dauert, desto mehr Lebensmittel, Wasser und Treibstoff verbraucht die Hamas, ohne Hoffnung auf wirkliche Nachschublieferungen. Die Israelis verkünden dabei, dass der Krieg existenziell ist. Das werden sie auch weiterhin tun, während sie die den Druck managen, der im Zuge von Verlusten und Opfern unter der Zivilbevölkerung entstehen wird.
Manche meinen, es werde wie der Kampf um Falludscha zwischen den US-Streitkräften und den irakischen Aufständischen aussehen. Das mag sein. Aber ich denke, es wird eher wie in Stalingrad oder Berlin sein. Wie in diesen Schlachten sehen beide Seiten den Krieg als existenziell an und werden sich entsprechend verhalten.
Eines ist sicher: Für die Bevölkerungen auf beiden Seiten ist dieser Krieg die Hölle.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann.
Rob Givens ist Brigadegeneral der US-Luftwaffe im Ruhestand und arbeitet derzeit als Büroleiter für Senator Rand Paul im US-Bundesstaat Kentucky.