Von Fast Fashion zur Altkleiderflut
Was hat Luftverschmutzung mit weggeworfener Kleidung zu tun? Wie kann Mode nachhaltig produziert werden? Ein Blick auf die Branche und ihren Umgang mit Ressourcen
Der Verkauf neuer Kleidung hat sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt. Jede Woche bringen Textilgiganten wie H&M oder Zara, Aldi oder Lidl neue Billigkollektionen in die Läden. Weltweit werden jährlich 120 Milliarden Kleidungsstücke produziert. Eine Person in Deutschland verbraucht im Schnitt 26 Kilo Kleidung im Jahr. Die Lebensdauer der Klamotten wird immer kürzer. Laut einer Greenpeace-Studie besitzt jede erwachsene Person hierzulande durchschnittlich 95 Kleidungsstücke (ohne Unterwäsche und Socken) - insgesamt 5,2 Milliarden Teile. Dabei wird jedes fünfte Kleidungsstück so gut wie nie getragen, bevor es aussortiert wird.
So fallen in Deutschland jährlich einige 100 Millionen überflüssige Kleidungsstücke an. Etwa jedes zehnte Stück bleibt unverkauft. Drei Viertel von 53 Millionen Tonnen Textilien, die jedes Jahr auf der Welt produziert werden, landen schon nach kurzer Zeit im Müll.
Mittlerweile arbeiten die Konzerne an ihrem Image, zum Beispiel, indem sie für Recycling werben. Seit 2013 sammelt H&M aussortierte Textilien in einer Altkleidertonne. Zara, C&A und andere Branchenriesen ziehen nach. Aus den alten Kleidern sollen neue entstehen, lautet das Versprechen. Es soll kein Müll mehr produziert werden, alles geht in einen Kreislauf ein. Aber funktioniert das überhaupt? Tatsächlich kann Kleidung aus synthetischen Stoffen so gut wie gar nicht recycelt werden, erklärt Textil-Experte Kai Nebel vom Institut für Textil und Design an der Hochschule in Reutlingen. Wo der Recycling-Anteil in der neuen Kleidung herkommt, sei nicht festgelegt.
Aus alten Shirts werden neue Putzlappen
Auf legalem Wege werden Altkleider für den bulgarischen Second-Hand-Markt sortiert und weiterverkauft - zum Beispiel im Schweizer Sortierwerk TexAid. Hier landen Textilien aus Deutschland, der Schweiz und aus Skandinavien. Bis zu 25 Tonnen Altkleider sortieren die Mitarbeiterinnen täglich in unterschiedlichen Qualitäten. Ziel ist es, so viel gut erhaltene Kleidung wie möglich weiterzuverkaufen. In den letzten Jahren kamen immer mehr Alttextilien in den Sortierbetrieben an. Gleichzeitig nahm der Anteil an minderwertiger Kleidung stetig zu. Wegen der minderwertigen Qualitäten und der immer kürzeren Haltbarkeit müssten immer mehr Textilien aussortiert werden, klagt die Verkaufsleiterin von TexAid Sofia. Weil die meisten Sachen nicht aus Baumwolle bestehen, taugen sie noch nicht mal mehr zum Recycling.
H&M arbeitet mit der Firma i-collect zusammen, einem Subunternehmer von Soex, Deutschlands größtem Textilverwerter. Hier landen die Textilsäcke aus den H&M-Tonnen aus demselben Sortierwerk wie Altkleider anderer Sammlungen. Die besten Teile werden als Second-Hand-Ware wieder verkauft, die schlechten werden recycelt - zu minderwertiger Ware wie Putzlappen oder Dämmmaterialien. Damit finanziert sich das System selbst - noch. Je hochwertiger die Kleidung, umso höher ist der Erlös aus deren Weiterverkauf, erklärte Thomas Fischer vom Bundesverband für Sekundärstoffe und Entsorgung in einem Interview mit dem ZDF.
Doch was passiert, wenn immer mehr Fast Fashion mit immer schlechterer Qualität bei den Textilverwertern landet? Je mehr minderwertige Kleidung aussortiert wird, umso kleiner ist die Marge. Die Frage sei, wie lange sich das System noch selbst bezahlen kann. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es nur noch Kleidermüll geben wird, mutmaßt der Experte. Spätestens dann kann von "Nachhaltigkeit" keine Rede mehr sein.
Brennende Textilien setzen Gifte frei
Bereits heute werden viele Alttextilien einfach nur verbrannt. So wird ein Großteil der Altkleider nach Polen, Rumänien oder Bulgarien ausgeführt, wo sie von Altkleiderhändlern illegal als Heizmaterial verkauft werden, für umgerechnet 30 Euro pro Tonne. Denn viele Menschen in Sofia sind so arm, dass sie sich Holz oder Kohle nicht leisten können. Das Geld reicht gerade, um sich von einem Second-Hand-Lager billige Kleiderreste dazuzukaufen, um in den Holzöfen im Winter ein wenig Wärme zu erzeugen.
Viele der Textilien enthalten einen hohen Anteil von verformbaren Kunststoffen. Durch die Verbrennung werden all diese Schadstoffe freigesetzt. In Sofia ist neben den Auto- und Industrieabgasen auch die Müll- und Kleiderverbrennung zu einem großen Teil für die Luftverschmutzung mit verantwortlich. Neben Stickoxiden und Schwefeldioxiden entstehen leicht flüchtige organische Verbindungen. Menschen, die diese Giftstoffe einatmen, erkranken an den Lungen oder leiden unter hohem Blutdruck und Schlaganfällen, weiß der Lungenfacharzt Dr. Alexander Simidchiev, der seit Jahren den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Lungenkrankheiten untersucht. So ist es kein Zufall, dass in der bulgarischen Hauptstadt auffällig viele Menschen unter Atemwegserkrankungen leiden.
Besonders bei der Verbrennung von Stoffen mit halogenierten chlorierten Verbindungen können krebserregende Dioxine entstehen, bestätigt Ulrike Siemers vom Bremer Umweltinstitut, in dessen Labor, die Alttextilien auf Giftstoffe getestet wurden. Entweichen solche Gifte aus undichten Heizöfen in die Innenräume und werden sie direkt von den Menschen eingeatmet, ist das Risiko einer Atemwegserkrankung hoch.
Die Textilindustrie muss entgiftet werden
Die Modeindustrie gilt weltweit als zweitgrößter Umweltverschmutzer, gleich nach der Ölindustrie. Die Textilproduktion laugt Böden aus und lässt toxische Farbstoffe ins Grundwasser und Plastikpartikel in die Weltmeere sickern. Mit etwa 3.500 krebserregenden, hormonell wirksamen giftigen Chemikalien werden die Rohmaterialien bedruckt und zu bunter Kleidung verarbeitet. Viele dieser Chemikalien wandern rund um den Erdball - und finden sich schließlich in der Küstenluft vor Südafrika, in der Leber von Eisbären oder in der menschlichen Muttermilch wieder.
Hinzu kommt der gigantische Wasserverbrauch: Bei der Herstellung einer einzigen Jeans in einer asiatischen Fabrik werden rund 7.000 Liter Wasser verbraucht. Rund 80 Marken haben sich bereits verpflichtet. GOTS, Made in Green, Der Blaue Engel, Blue design, Cradle to Cradle, EU-Ecolabel - diverse Siegel bescheinigen Textilien Nachhaltigkeit, wenn auch in unterschiedlichen Qualitäten. Am weitesten verbreitet ist der Oeko-Tex Standard 100. Er dient in erster Linie dem Verbraucherschutz, denn er prüft nur Schadstoffrückstände im Endprodukt. Für Herstellung und Umweltschutz gibt es keine Auflagen. Darüber hinaus vergibt das Prüfsystem auch die umweltfreundlichen Textil-Siegel Made in Green und SteP by Oeko-Tex.
Das Verifizierungssystem Detox to Zero by Oeko-Tex® - eine Analyse des Chemikalienmanagements und der Abwasserqualität - will die Kriterien der Detox-Kampagne von Greenpeace in der Textil- und Lederindustrie umsetzen. Ziel ist es, Betriebe auf ihrem Weg zu einer sauberen Produktion zu unterstützen. Neben einer jährlichen Chemikalien-Bewertung in der Produktion werden Abwasser und Klärschlamm auf den Einsatz von besonders gefährlichen Chemikalien untersucht. Will ein Betrieb die Anforderungen der Greenpeace-Detox-Kampagne selbst umsetzen, kann er hier einen Antrag stellen.
Wohin mit 500 Millionen unverkauften Kleidungsstücken?
Als zu Beginn dieses Jahres Unmengen von ungenutzten Kleidern in den Müll wandern sollten, forderte Greenpeace die Behörden auf, diesen Gesetzesverstoß zu verhindern. Im Oktober 2020 trat eine Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes in Kraft, dass das Unternehmen dazu verpflichtet, beim Vertrieb oder der Rückgabe der Erzeugnisse dafür zu sorgen, dass deren Gebrauchstauglichkeit erhalten bleibt und diese nicht zu Abfall werden.
Die Händler sollen unverkaufte Artikel nicht nur nicht zur stofflichen oder energetischen Verwertung abgeben dürfen, sondern sie müssen nachweisen, dass sie weiter gebrauchstauglich sind. Neue gebrauchsfähige Produkte, die nicht verkauft werden können, sollen einer Sammelstelle zwecks Wiederverwendung zugeführt werden. Bislang fehlt dazu allerdings eine gesetzliche Grundlage. Bis diese geschaffen ist, soll die Branche eigene Lösungen entwickeln, fordert Greenpeace. Bei der neuen Obhutspflicht handele es um eine aus dem Europarecht stammende umweltbezogene Norm. Laut Umweltrechtsbehelfsgesetz bestehen darüber hinaus Verbandsklagerechte.
Wir brauchen gesetzliche Vorgaben, fordert Viola Wohlgemuth. Die Modeindustrie muss sich dringend neue Geschäftsmodelle einfallen lassen, so die Konsumexpertin bei Greenpeace. Vor allem dürfen keine kostbaren Ressouren mehr verschwendet werden. Bis Ende diesen Jahres soll eine EU-weite Textil-Strategie in Bezug auf Standards zu Qualität erstellt werden.
Reparieren statt Wegwerfen
Wenn ein Fünf-Euro-Shirt einen Fleck bekommt, ist es fast billiger, es wegzuwerfen. Da lohnt das Reparieren kaum. Doch bei genauem Hinsehen halten die meisten Materialien eine Ewigkeit, denn sie bestehen aus synthetischen Fasern, also aus Plastik. Die italienische Designerin Orsola de Castro fordert die Konsumenten dazu auf, alte Klamotten zu reparieren und zu verschönern. Das einzige Gegenmittel zur Wegwerfkultur sei das radikale Behalten.
2013, nach dem Einsturz einer Fabrik in Bangladesh, bei dem 1.135 Menschen zu Tode kamen, gründete die Mode-Expertin gemeinsam mit anderen die gemeinnützige Fashion Revolution. Die weltweit größte Bewegung von Modeaktivisten berät inzwischen Modefirmen, Privatleute und Politiker in 92 Ländern. So bieten Labels wie Eileen Fisher oder Patagonia mittlerweile Reparatur- bzw. Recyclingservices an. Wenn Modefirmen den Leuten, die die Kleidung herstellen, keinen anständigen Lohn bezahlen, dann müssen diese Kleidungsstücke wenigstens so lange wie möglich halten, lautet ihre Devise. Getreu dem Motto: Wer kaputte Klamotten repariert, repariert ein kaputtes System.
Und was ist mit dem Bedürfnis nach immer neuen Klamotten? Leihen, teilen, tauschen - längst gibt es Kleider-Sharing, Second-Hand-Läden oder Umsonstläden, in denen getragene, gut erhaltene Klamotten verschenkt oder billiger verkauft werden. Auch die Zahl der Online-Plattformen für Second-Hand-Kleider steigt. Der globale Umsatz mit Second-Hand-Kleidung soll inzwischen auf 36 Milliarden US-Dollar angewachsen sein.
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