Von John Lennon zu Taylor Swift: Wie KI unser Bild von Kunst zerstört

Seite 2: Verlust der Authentizität durch KI

Das löste eine internationale Diskussion um die künftige Rolle von Datierung und Authentizität in Kunst und Kultur aus. Die Frage ist die nach der techno-humanen Hybridisierung im Kunst- und Kulturbereich, und wohin sie Sinn und Kern dieses Bereichs verschiebt. Der Harvard-Philosoph Michael Sandel sprach vom Beginn eines grundlegenden Verlusts der Authentizität in der Kunst durch KI.

Damit einher gehe der Verlust des einzig noch verbliebenen Raums der Authentizität in der Gesellschaft überhaupt: nämlich des Sinns von Kunst und Kultur selbst. KI läute damit letztlich das Ende der Kunst als Gesellschaftskraft ein, indem sie der Humanität den Boden raube. Denn Humanität sei fundamental auf die Existenz – und Einheit der Realitätserfahrung – in Zeit und Raum gebaut.

Dass die zwei verbliebenen Beatles ein Lied mit einem mittels KI "auferstandenem" Lennon lange nach seinem Tod veröffentlichten, sei ein Verrat sowohl an Lennon wie an ihrem eigenen Werk. Denn dadurch werde das Beatles-Werk, bislang stets für seine "klassischen" Kompositionszüge gelobt, post factum unnötig in die neue Grauzone geklonter Musik und damit technoider Post-Humanität verschoben.

Ähnliche Kritik kam von einflussreichen Musik-Influencern, -Kritikern und -Pädagogen, darunter dem US-Produzenten und -Musiker Rick Beato. Er verwies darauf, dass KI mit der "Aneignung des Musikgeschäfts allmählich in all seinen Facetten" das Ende bisheriger Verständnisse von Musik, Kunst und Kreativität einläute.

Bereits in vorhergehenden Beiträgen hatte er gemeinsam mit Ausnahmevirtuosen der jüngsten Generation, darunter Tim Hanson von der Popgruppe Polyphia, darauf hingewiesen, dass die heutige Musikergeneration voraussichtlich "die letzte" menschliche sei, bevor KI weite Teile von Komposition, Produktion, Virtuosität und Vertrieb übernehme

"Natürliche Antennen" zur Erkennung von KI

Zugleich verwies Beato jedoch darauf, dass die jüngere Generation von Hörern – im Unterschied zu den vorhergehenden – ein aktuelleres, vor allem: weit ambivalenzfähigeres Ohr besitze. Junge Hörer könnten meist schnell und genau sagen, ob ein Lied geklont sei oder nicht. Seine Kinder beispielsweise könnten Fakes sofort erkennen, seien diese auch noch so gut gemacht.

Sie hätten dafür eine Art "natürliche Empfindung" entwickelt, die rational schwer erklärbar sei. Dies allerdings mit der Einschränkung, dass die Entwicklung der KI im Musikbereich so schnell weitergehe, dass das wohl in einigen Jahren nicht mehr möglich sei.

Beatos Beobachtung passt zu aktuellen Erkenntnissen der Gehirnforschung. Interessanterweise wurde kürzlich in einer Studie der Universität Zürich festgestellt, dass das Gehirn geklonte Stimmen anders als natürliche Stimmen verarbeitet.

Offenbar hat die jüngere Generation für diesen Unterschied auch ein neues inneres Instrumentarium vorsprachlicher Wahrnehmung entwickelt, welches die ältere so nicht besitzt. Junge Menschen, die in den neuen Techno-Welten aufgewachsen sind, beobachten offenbar – bewusst und unbewusst – in sich selbst, was die Gehirnforschung objektiv erweist: dass bei Deepfake-Stimmen das Belohnungsareal des Gehirns weniger zufrieden ist als bei natürlichen.

Der auditorische Cortex versucht instinktiv, die Defizite von Deepfakes im Vergleich zu natürlichen Stimmen auszugleichen.

Die Hybridisierung einer Stimme – wie der von Lennon im oben genannten Beispiel des Liedes "Now and then" – fühlt sich deshalb anders an als die "wirkliche" Stimme, die an einen Körper in Raum und Zeit gebunden ist, was die junge Generation "instinktiv" spürt und wahrnimmt.

Das könnte auf eine interessante anthropologische Entwicklungsdimension parallel zur KI-Revolution verweisen, die sich möglicherweise erst ganz am Anfang befindet. Genaueres in diesem neuen techno-humanen Ökosystem bleibt derzeit noch spekulativ und weiteren Forschungen anheimgegeben.

Dass mit neuen technischen Umfeldbedingungen in einer Zivilisation fortwährend auch neue menschliche Fähigkeiten erwachsen, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.

KI und Popkultur: Die Entwicklung steht erst am Anfang

Doch die Geschichte von "KI und Kultur" ist mit alledem nicht zu Ende – genauso wenig wie das Beispiel Lennon. Ganz im Gegenteil: die Entwicklung steht wohl erst am Anfang. So wird in Historiker-, Musiker- und Kritikerkreisen erzählt, dass Lennon viele weitere Lieder geschrieben hat, die er nie veröffentlichte, sondern als seinen "Schatz" in einen Banktresor einsperrte. Er sah nämlich einige seiner Lieder als Zukunftsversicherung an, die er für unsichere Zeiten aufhob.

Für manche Texte hielt er offenbar auch die Zeit bisher nicht gekommen. So kamen nach und nach wohl dutzende Lieder, Textskizzen und Aufnahmenotizen zusammen, die er in manchen Fällen zwar fertig schrieb und komponierte, aber vor seiner Ermordung am 8. Dezember 1980 nie veröffentlichte.

2016 wurden der Großteil des gemeinsamen Beatles-Gesamtwerks aus der Feder Lennons mit Co-Schreiber Paul McCartney um einen hohen Millionenbetrag von Sony Music gekauft – so wie das Werk anderer Künstler. Das folgte dem 2000er-Trend zum pauschalen Werkankauf bezogen auf die Umsatzprognose.

Dieser Trend hat mittlerweile auch viele noch lebende und zeitgenössische Popkünstler erfasst – was vielfach zu kompliziertem Hin und Her nicht nur vonseiten Paul McCartneys (unter anderem gegen Sony), sondern jüngst auch im Fall von Dua Lipa geführt hat, die einen Großteil ihrer Musik zurückkaufte, nachdem sie sich von der Rechteinhaberfirma getrennt hatte.

Der Rechtestreit hat die Popmusik noch stärker zum harten – und hyperkomplizierten – Business gemacht, als sie bereits seit den 1970er-Jahren war. Die Aufmerksamkeit auf monetäre Aspekte hat die Qualität nicht unbedingt gesteigert – eher Produktion beschleunigt und vervielfältigt, um alle Geschmäcker und Altersgruppen abzudecken mit schneller Massenware jederzeit auf allen Kanälen.

Taylor Swift als Kultursymptom

Viele erwarten, dass KI hier weiteren "Fortschritt" bringt. Denn was an schneller und möglichst billiger Musik-Massenproduktion nicht von Menschen bedient werden kann, kann künftig KI liefern – immer besser, immer menschenähnlicher, immer perfekter.

Viele sehen die Entwicklung des heutigen Hörverhaltens, das in Richtung Vereinfachung, Angleichung und Wiederholung von bestehenden Mustern geht und sich etwa an den globalen Spotify Top-10 ablesen lässt, als Vorbereitung auf eine großteils KI-generierte Popkultur an.

Das Symptom der erfolgreichsten Musikerin der Erde, der Self-made-Pop-Milliardärin Taylor Swift, verweist zudem auf die Entwicklung zur Hybridisierung von Influencertum und Popgeschäft, wobei qualitativ Influencing wichtiger wird als die musikalische Qualität, was ebenfalls der KI-Kultur Vorschub leisten könnte.

Sieht man Taylor Swift als ein Kultursymptom an, halten viele Swift für das Paradebeispiel der neuen Kategorie einer musikalisch operierenden Influencerin, nicht für eine Popkünstlerin. Sie ist eher eine content creator, die ihre Inhalte gemäß den Anforderungen des Verkaufs-Algorithmus ändert. Das ist zum Gegenstand erbitterter Kulturdebatten geworden, auf die sich mittlerweile auch politische Ideologien aufsetzen – so etwa in den USA zwischen Demokraten und Republikanern.