Von "Klima-Chaoten", Wutbürgern und Clickbaiting
Mediensplitter (10): Die "Letzte Generation" hat mit der Verschmutzung einer Glasscheibe in Potsdam viel Aufmerksamkeit erregt. Auch eher feindselige Medien spielten mit. Es folgte Empörung auf falscher Grundlage.
Zunächst wirkte die Aktionsform hilflos, auf den ersten Blick sogar idiotisch und ärgerlich für Menschen, die sowohl die Schönheit der Natur als auch deren künstlerische Abbildung schätzen: Schlagzeilen wie "Irre Klimaaktivisten kippen Tomatensuppe auf berühmtes Van-Gogh-Gemälde" (Berliner Kurier) oder "Monet-Gemälde mit Kartoffelbrei beworfen" (Spiegel Online) schienen einen Tiefpunkt von Ratlosigkeit und Verzweiflung in einer Bewegung mit berechtigtem Anliegen zu markieren.
Oder – je nach Sichtweise – den Höhepunkt einer beispiellosen Terrorwelle von "Barbaren", wie der oder andere Twitter-Nutzer die Beteiligten nannte.
Unspektakulärer Tatbestand
Die eigentliche Nachrichtenmeldung war aber jeweils nur die Verschmutzung einer musealen Glasscheibe – etwas anderes hatte auch niemand geplant. Vielen Medien versprach das aber wohl nicht genügend Klicks, also klärten sie erst im zweiten oder dritten Absatz darüber auf, dass die berühmten Gemälde dahinter nicht wirklich zerstört oder beschädigt worden waren.
Die Bild schaffte es am Montag sogar, diesen Fakt in einem Artikel über Reaktionen bekannter Persönlichkeiten auf die Kartoffelbrei-Attacke der "Letzten Generation" im Potsdamer Barberini-Museum komplett zu verschweigen. Sie aber übte zugleich Kritik an anderen Medien und warf unter anderem einer NDR-Rundfunkrätin zu viel Verständnis für solche "kriminellen Aktionen" vor.
Nur die sorgfältige Lektüre verlinkter Artikel vermochte die Leser darüber aufzuklären, aber einige machten sich auch nicht die Mühe, diese Artikel zu Ende zu lesen.
Eine Folge war in den "Sozialen Netzwerken", dass den "Klima-Chaoten" mehrfach Zwangsarbeit für den Rest ihres Lebens gewünscht wurde – schließlich hätten sie Millionenschäden abzuzahlen. Auch die Mutmaßung, es handle sich um "arbeitslose Schweine" wurde getwittert – und nicht zuletzt wurde mal wieder vor der Entstehung einer Klima-"RAF" gewarnt. Andere vorgebliche Kunstliebhaber zogen Taliban- oder Nazivergleiche vor: "Faschismus vergeht sich zuerst an Kunst. Immer!"
Verdrängung durchbrochen?
Manche beharrten in Facebook-Diskussionen sogar auf diesem Empörungsniveau, als andere Nutzer sie aufklärten, dass es sich nur um die Verschmutzung einer Glasscheibe handelte – schließlich gehe es auch um Respekt vor dem jeweiligen Künstler.
Schließlich wurde den Beteiligten vorgeworfen, um jeden Preis mediale Aufmerksamkeit zu suchen. Sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, haben Leitmedien des Empörialismus wie die Bild und der Boulevard jedenfalls bereitwillig mitgespielt. Das Ausmaß, in dem Wutbürger und Medien hier die Hosen herunterließen, wirft die Frage auf, ob die scheinbar so hilflose Aktionsform nicht doch genial war. Der Klimaforscher Stefan Rahmstorf hat dazu eine klare Meinung:
Ich war erst sehr skeptisch, aber die Reaktionen zeigen den Sinn dieser Aktionsform: sie entlarvt die Verlogenheit von Menschen, die sich über eine verschmutzte Glasscheibe echauffieren, aber nichts gegen die Zerstörung unseres einzigen, wundervollen Heimatplaneten unternehmen.
Prof. Stefan Rahmstorf
Auch die "Letzte Generation" selbst sieht sich durch die Reaktionen bestätigt und hat sogar den Eindruck, dass die Kartoffelbrei-Aktion die "gesellschaftlich antrainierte Verdrängung der Klimakatastrophe durchbrochen" und die Absurdität des "Weiter-So" gezeigt habe.
Unter "Letzte Generation" versteht die gleichnamige Gruppierung, dass sie der letzten Generation angehört, die noch die Möglichkeit hat, die schlimmsten Folgen des menschengemachten Klimawandels zu verhindern, bzw. diesen einzudämmen. Sie setzt dabei auf zivilen Ungehorsam und fordert als schnell umsetzbare Maßnahmen beispielsweise ein "Essen-Retten-Gesetz", ein allgemeines Tempolimit und die Fortsetzung des Neun-Euro-Ticket-Angebots für den öffentlichen Nahverkehr.
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