Von Wahlversprechen und Gummistiefeln

Seite 2: Der "Gummistiefel-Wahlkampf"

Die Weise ihres Wahlkampfs stellt die konkurrierenden Parteien vor gewisse Herausforderungen. In Sachen Originalität lässt sich die Expertise der Werbebranche einkaufen. Billiger und manchmal sogar wirksamer fällt ein Verfahren aus, das unter dem Terminus "Schlammschlacht" bekannt ist. Eine solche tobt derzeit nicht sonderlich.

Aber fehlende Quellennachweise in einem grünen Erbauungsbuch sind nicht nur für drei Sendungen Lanz gut, sondern auch für eine charakterliche Abwertung einer Kandidatin durch die werten "Mitbewerber", die fast wie von selbst die Wahlaussichten dezimiert. Dass der Gegenkandidat bei einer Rede des Staatsoberhaupts gekichert hat, ist ebenfalls höchst bemerkenswert. Auch dies sind Indizien dafür, was es mit der "eigentlichen Funktion des Wahlkampfes als Zeit der politischen Aufklärung" so auf sich hat.

Eine Sache wird aber durchaus aufgeklärt: Wenn bürgerliche Wähler und ihre Öffentlichkeit sich mit der inhaltlichen Unterscheidung der Parteien erklärtermaßen schwertun, hilft ihnen offensichtlich eine Charakter-Beschau des Personals bei der Entscheidung. Dazu werden sie sogar eigens aufgefordert, wenn sich die entsprechenden Kandidaten lauthals als "kompetent", "führungsstark" und "glaubwürdig", also in einer Weise anpreisen, die im normalen Leben als Angeberei gilt.

Damit allerdings fällt das am Wahltag eventuell ausschlaggebende Charakter-Urteil ziemlich ins Auge des Betrachters und dessen Anleitung durch die medialen Profis. Denen kommt dazu ein Hochwasser gerade recht. Ein Mann der FAZ kommentiert:

Zur Hochwasserkatastrophe sagte Laschet in Hagen: "Das ist keine Frage, mit der man Bilder erzeugen will." Er ging damit auf eine Gratwanderung ein, die nicht jedem Politiker gegeben ist, sich nämlich so sichtbar zu machen, dass man Führung ausstrahlt, aber nicht so sichtbar, dass es aussieht, als wolle man nur gesehen werden.

FAZ

Pluspunkt also für einen Kandidaten, der seinen Kopf täglich nur so weit in die Kamera hielt, dass man die richtigen Strahlen sah. Wie man dagegen auch ohne Bilder glänzen kann, berichtet der Spiegel von der Gegenkandidatin:

Baerbock sei wie angekündigt vorzeitig aus ihrem Urlaub zurückgekehrt. "Sie wird sich in der Region in Gesprächen über die Lage informieren und sich ein Bild machen." (…) Wohin genau Baerbock außerdem unterwegs ist, gab die Partei nicht bekannt. "Diese Termine werden ausdrücklich ohne Pressebegleitung stattfinden." Man wollte vermeiden, dass der Eindruck entsteht, man wolle die Katastrophe für Wahlkampfzwecke instrumentalisieren. Co-Vorsitzender Habeck hatte auf seiner Wahlkampftour an der Nordsee mehrfach erklärt, jetzt sei die Zeit der Retter, nicht der Politiker zu Besuch. Zugleich war aus Baerbocks Umfeld die Einschätzung zu vernehmen, die Kandidatin müsse baldmöglichst ins Krisengebiet.

Spiegel

Punktgewinn also auch für das gemischte Doppel aus Hingehen und Wegbleiben, welches die Katastrophe so zu instrumentalisieren verstand, dass dies ohne nörgelnde Pressebegleitung gelang. Ein Fazit, erneut von der FAZ, macht noch einmal einen journalistischen Standpunkt deutlich, der den Wahlkampf rein am Maßstab des gelingenden Stimmenfangs bewertet.

Dass es genau darum geht, wird mit Kennerblick einer Wählerschaft enthüllt, die das längst selber weiß und goutiert:

Im Schlamm der Flut kann man als Kandidat leicht ausrutschen. Zu viele Fotos in Gummistiefeln lassen den Verdacht aufkommen, der gestiefelte Politiker trage sie vor allem der Publicity halber. Behält er zu lange die Urlaubssandalen an wie seinerzeit Stoiber, heißt es, das Unglück der Leute sei ihm gleichgültig. Laschet, Scholz und Baerbock kann man bisher weder den einen noch den anderen Vorwurf machen. (…)

Doch sollte man nicht glauben, das verheerende Hochwasser werde keinen Einfluss auf den weiteren Verlauf des Wahlkampfs und möglicherweise den Ausgang der Wahl haben. Es war kein Grüner, sondern Horst Seehofer, der sagte, niemand könne ernsthaft bezweifeln, dass diese Katastrophe mit dem Klimawandel zusammenhänge. Die erste Klimapartei aber sind und bleiben die Grünen, selbst wenn fast alle anderen mit ihnen um diesen Titel wetteifern. Laschet als Ministerpräsident und in geringerem Maße Scholz als Finanzminister können sich jetzt auch noch als Krisenmanager profilieren. Baerbock dagegen muss darauf hoffen, dass auch ihre Plagiatsaffäre, die sie so viele Prozentpunkte kostete, vom Hochwasser überspült worden ist.

Berthold Kohler, FAZ

Hut ab also vor allen Kandidaten und ihrem Geschick bei der richtigen Fußbekleidung. Alle Achtung auch für einen Seehofer in Halbschuhen, der den Grünen mitten in der Flut einen Klimatitel vor der Nase wegschnappte.

Aber auch Laschet kann sich noch als Macher der Stunde stilisieren, denn Scholz tut erfolgreich dasselbe beim Bewilligen der Hilfsgelder. Sogar Baerbock darf darauf rechnen, dass die Hochwasser-Opfer für sie und ihre Partei nicht umsonst angefallen sind …

Man kann sich kurz fragen, inwieweit man hier in einem Narrenhaus unterwegs ist. Besser, man wahrt seine Distanz zu dem Zirkus - und beurteilt nüchtern dessen Weiß-Warum. Der komische Wahl-O-Mat von oben will bemängeln, dass sich die "Ist-Situation" der Wahl von ihrer eigentlichen "Soll-Situation" entfernt hat und der demokratischen Sternstunde nicht gerecht wird.

Ein solcher Gegensatz existiert allerdings nur im Idealismus dieser Kritik. Wahr ist dagegen: "What you see is what you get." Die Herrschaftsbestellung in der fertigen Demokratie funktioniert gar nicht anders, als dass Parteien Prozentpunkte für ihren Laden zu ergattern versuchen, Themen besetzen, taktieren, bei Bedarf schwindeln, auch von Notlagen profitieren, weltmeisterlich aufschneiden, sich wechselseitig schlecht machen usw..

Auf diese elaborierte Weise kommen die regierungsfähigen Mehrheiten zustande, die eine Staatsräson befolgen und ausschärfen, welche als Sachzwang der kapitalistischen Verhältnisse nicht zur Wahl steht. Und weil auch für die Erwerbs- und Staatsbürger feststeht, dass eine solche Herrschaft sein muss, geht die größere Hälfte von ihnen - trotz und mit Kritik, Gemäkel und Murren - zuverlässig zum Wählen.