Von der Fett- in die Alkoholsucht

Grafik: TP

Übergewichtigen wird oft empfohlen, notfalls per OP das Gewicht zu verringern und sich zusammenzureißen. Doch für viele Übergewichtige führt die Gewichtsverringerung inklusive neuer Essensverhaltensweisen zur nächsten Sackgasse

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Übergewichtige sind heutzutage in der Diskussion oft nur Objekt, die Diskussion selbst wird eher ideologisch geführt. Auf der einen Seite diejenigen, die "jeder ist schön" als Gegensatz zum sogenannten "Bodyshaming" nutzen, auf der anderen Seite diejenigen, die aus den verschiedensten Gründen Übergewichtige ablehnen. Beiden Diskussion ist gemein, dass der Übergewichtige selbst, die Ursachen für das Übergewicht sowie Möglichkeiten, dem Betroffenen zu helfen, eher marginal angesprochen werden. Dafür gilt es, die eigene Überzeugung und oft die eigene (eingebildete) Überlegenheit zu betonen.

Für diejenigen, die unter ihrem Übergewicht leiden und es in den Griff bekommen möchten, aber dies nicht schaffen, ist daher eine Magenverkleinerung eine Möglichkeit, endlich dem Ziel des "Normalgewichtes" näher zu kommen zumal Fettabsaugungen nicht nur kostspielig sind, sondern auch den Betroffenen eher von solchen Eingriffen abgeraten wird. Gerade bei morbid adipösen Menschen wird die bariatrische Chirurgie angewandt um eine dauerhafte eingeschränkte Nahrungsaufnahme dadurch zu gewährleisten, dass das Magenvolumen begrenzt wird. Die bariatrischen Eingriffe können für die Betroffenen langfristig zu positiven gesundheitlichen Effekten fernab der reinen Gewichtsverringerung führen, z.B. profitieren des öfteren Typ-2-Diabetiker von dem Eingriff, ihr Diabetes verbessert sich oder verschwindet sogar ganz. Auch die Blutfettwerte sowie der Blutdruck können so gesenkt werden.

Es ist daher wenig verwunderlich, dass sich viele Übergewichtige von einem solchen Eingriff viel versprechen, nicht zuletzt erfahren sie auch von der Außenwelt wieder mehr Akzeptanz. Doch ohne die Ursachen des vorherigen Zuvielessens zu betrachten ist die Freude so manches Mal nur von kurzer Dauer, da eine Sucht letztendlich durch eine andere ersetzt wird, z.B. die Alkohol- oder Spielsucht.

Belohnungsverhalten und Alkohol

Was wie eine Binsenweisheit klingt, wird von Ärzten wie auch Laien leider durchaus auch ausgeblendet: die Tatsache, dass das Essen nicht um des Essens willens konsumiert werden muss, sondern dass hier oft auch Kontroll- oder Belohnungsverhalten eine Rolle spielen. Nicht nur die bekannte Schokolade dient dann als Belohnung (für welches Verhalten auch immer) oder als Trost, sondern das Essen im allgemeinen.

Fällt aber diese Belohnung weg (bzw. kann sie nicht mehr wie zuvor regelmäßig demjenigen angeboten werden, der sie sich erwünscht), so wird auf andere Belohnungen ausgewichen. Da nicht automatisch auch das Selbstbewusstsein steigt und/oder die gesamten Lebensbedingungen sich verändern, können insofern Alkohol, Spielen, Sport oder auch illegale Drogen an die Stelle des Essens treten. Ein Verhalten, das auch bei ehemaligen Alkohol- oder Spielsüchtigen nicht unbekannt ist - ist eine Sucht bekämpft, wird insofern nur die Tür für eine andere geöffnet. Auf diese Weise wird dem einst adipösen Menschen nicht geholfen, sondern lediglich das Problem, das der Sucht zugrunde liegt, verlagert.

Beim Alkohol wird auch vermutet, dass bei einem Magenbypass der Alkohol auf eine gänzlich veränderte Weise vom Körper aufgenommen und verarbeitet wird. Alkohol würde so schneller und stärker eine Wirkung entfalten, statt langsam durch den Alkohol beeinflusst zu werden, würde es zu einer Art "Alkoholkick" kommen, so dass schon kleinere Mengen ein starkes Gefühl des Betrunkenseins hervorrufen können. Wird dieses als angenehm empfunden, besteht die Gefahr, dass des öfteren geringe Mengen Alkohol zu sich genommen werden, die Menge dann erhöht wird und so nicht zuletzt auch wieder eine Gewichtszunahme die Folge sein könnte.

Es ist daher wichtig, anzuerkennen, dass übermäßiges Essen genauso ein Problem darstellt, das einer Ursachenforschung bedarf. Das reine "iss halt weniger, beweg dich" ist insofern wenig bis gar nicht hilfreich. Sollte es aber tatsächlich darum gehen, den Menschen zu helfen, dann muss es einen Weg geben, die Betroffenen wieder ins Zentrum der Diskussion zu stellen, mit ihnen statt über sie zu reden und sie nicht nur als Objekte für die eigene Ideologie zu missbrauchen. Selbst wenn die Ablehnung von Übergewichtigen auf ökonomischen Gesichtspunkten beruht, wäre es sinnvoller, die Ursachen anzugehen und die direkten Kosten sowie die Folgekosten dadurch zu reduzieren, anstatt lediglich anzunehmen, dass (Selbst)disziplin und das "Zusammenreißen" ausreichen würden, um Menschen zu helfen.