Von der "German Energiewende"
Seite 2: Von der Klima-Diplomatie und den Disparitäten der Energiewende
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Klima-Konferenzen
Um den Versuch, in der globalen Energiewirtschaft einen unumkehrbaren Trend zu befördern, handelt es sich auch bei der deutschen Klimakonferenz-Diplomatie mit ihrem Einsatz für eine internationale CO2- bzw. Temperatur-Begrenzung. Die seit über 20 Jahren umworbene bzw. umstrittene Limitierung der Erderwärmung auf 2°C über dem vorindustriellen Wert des 18. Jahrhunderts klingt im Kontext der bisherigen Ausführungen wie ein kleines Rätsel, ergibt aber durchaus energiepolitischen Sinn.
Wenn sich möglichst viele Nationen in Selbstbeschränkung auf so eine Gradzahl verständigen und einlassen, wird diese zwar nicht zum bindenden Gesetz - wie auch, zwischen lauter hoheitlichen Gewalten -, erhält aber diplomatisches Gewicht. Für die staatlichen Vorreiter und Befürworter der "grünen Wende" wurde dieses Zahlenspiel zu einem diplomatischen Hebel.
Die Benennung nationaler Interessen - allgemein wie in Hinsicht auf den Klimawandel - eignet sich in der Staatenkonkurrenz schlecht dazu, andere, z.B. in der UNO versammelte Souveräne zu einer freiwilligen und unvermittelten Anerkennung derselben zu veranlassen. Dafür braucht und gibt es übergeordnete Titel, die deshalb auch "Werte" heißen und von einer Allgemeinheit sind, unter der sich verschiedene Nationen in ihren Unterschieden und Gegensätzen wiederfinden können, ohne sich im Konkreten in die Pflicht nehmen zu lassen.
‚Frieden‘, ‚Zukunft‘, auch ‚Europa‘ oder hier eben ‚Klima-Rettung‘ sollen eine solche Leistung erbringen - und im letzteren Fall sind die aus der Meteorologie übernommenen "2°C" das in eine Zahl gefasste Ideal genannter Art sowie der Versuch, es operationalisierbar zu machen. Entsprechend energisch waren die Anläufe von Protagonisten der Energiewende - analog die entsprechenden Abwehrmanöver -, in dem quantifizierten Klimaziel ihre "post-fossilen" Interessen völkerrechtlich so festzuklopfen, wie das auf diesem Wege eben nur geht.
Darin eingeschlossen sind freilich die reellen Kräfteverhältnisse in der Staatenwelt, die von der Katastrophenhilfe bis zur Sanktion eine ganze Reihe von Möglichkeiten eröffnen, widerstrebende Kandidaten zu einer Unterschrift zu bewegen. "Die Ratifizierung und Umsetzung des Klimaabkommens [sollte] ab sofort auch eine Voraussetzung für zukünftige Handelsabkommen sein", fordert z.B. das Europaparlament (euractiv.de 2.10.18). Dabei erweisen sich die Souveräne als Herren und nicht als Handlanger ihrer nationalen Geschäftswelt. Weil sie sich und ihre ganze Gesellschaft von deren dauerhaftem Wachstum abhängig gemacht haben, wollen und müssen sie dieses daheim und weltweit nach Kräften befördern. Selbst die staatlichen Underdogs dieser Deals wissen auf ihre unterlegene Weise von ihnen zu profitieren.
In Hinsicht auf die dargestellte Art des diplomatischen Einvernehmens galt der UN-Klimagipfel von 2009 in Kopenhagen als ‚gescheitert‘, vor allem weil die VR China dem Druck der EU und der Obama-Administration widerstand, sich als Klima-Sünder in die Pflicht nehmen zu lassen. Sechs Jahre später, beim berühmten Accord de Paris, unterschrieben alle 195 Teilnehmer das Zwei-Grad-Ziel. Die USA, vordem demonstrativ auf der fraglosen Unabhängigkeit ihrer Energiepolitik beharrend, hatten sich mittlerweile stärker in die Konkurrenz um grüne Spitzentechnik eingeschaltet, und auch in China lagen ausbaufähige Erfolge bei der Betreuung dieses Zukunftsmarkts vor.
Dass Trump das Pariser Abkommen ab 2020 aufgekündigt hat, weil es den Chinesen nütze, dem rostigen Pittsburgh, für das er sich angeblich wählen ließ, und der "beautiful clean coal" in Montana aber nicht, und dass ihm US-Bundesstaaten und -Repräsentanten glatt widersprechen, unterstreicht nur den Zweck, um den es einer kapitalistischen Klima-Politik wirklich geht. In den mächtigen USA dreht er sich eben um nationale Varianten von "America first". Deutsche Umweltschützer bemerken diesen Umstand in ausländischen Fällen übrigens eher und leichter als daheim, wo das nicht anders ist.
Disparitäten
Im Vollzug der Energiewende sind zwischenstaatliche wie politökonomische Friktionen nicht zu übersehen. Sie liefern einer kritischen Öffentlichkeit, vielen Umweltschützern und auch den "Fridays for Future" immer wieder den Anlass dazu, beim Klimaschutz "einen Vertrauensverlust in die Gestaltungsfähigkeit und vielleicht auch den Gestaltungswillen der handelnden Politik" (Dlf 4.5.19) zu beklagen oder "eine Energiewende aus einem Guss, durchdacht konzipiert und gemanagt" (Spiegel 4.5.19) zu vermissen. Wo etwa der Ausbau der Erneuerbaren gedrosselt, der Kohleausstieg hinausgeschoben oder ein CO2-Ziel verfehlt wird, da sehen etliche Kritiker ein Bündnis der Politik mit den "Geld-Eliten" oder falsche Rücksichten auf "Lobby-Interessen" am Werk. Die Klimaschutzbewegung "Extinction Rebellion" meint:
Die Politik hat versagt - und zwar auf ganzer Linie. Und genau da hinein ragen die ‚kapitalistischen Machtstrukturen‘. [… Sie] sind extrem finanzstark und gut darin, Einfluss auf die Politik zu nehmen." Oder Luisa Neubauer: "Die Politik rollt den Konzernen den roten Teppich aus, die sich am Klimakollaps dumm und dusselig verdienen.
Spiegel 16.3.19)
Nähme man die "kapitalistischen Machtstrukturen" theoretisch etwas ernster, als die kritischen Redeweisen dies meist tun, würde sich das "Politikversagen" herauskürzen: Die deutsche Energiewende stellt nämlich ein gesamtkapitalistisches Manöver von ziemlicher Tragweite dar, das ohne Widersprüche, Risiken und Tücken gar nicht auskommt. Zum Beispiel steckt es (noch) in dem Dilemma, sich wegen russischem Erdgas mit den amerikanischen Freunden anlegen zu müssen, ohne die europäischen verlässlich hinter sich zu haben. So geht es eben zu, wenn mächtige Staaten den Erfolg ihrer nationalen Energiewenden in Konkurrenz zu Ihresgleichen erzwingen wollen.
Außerdem vollzieht sich die deutsche Energiepolitik im Paradox einer kapitalistischen "Planwirtschaft", die für einige Disparitäten gut ist. So geht aber die "grüne deutsche Wende" nun einmal - und daher ist es ein Fehler, sie an Zwecken zu messen, die sie sich gar nicht vorgenommen hat. CO2-Reduktion ist wie gesehen kein unbedingtes Ziel, sondern eine abhängige Variable dieser Politik und darf auf sich warten lassen, wenn anderen politökonomischen Prioritäten Rechnung zu tragen ist. Mit "Nichtstun", wie "Greenpeace" und Partner anlässlich ihres Gesetzentwurfs zum ‚machbaren‘ schnellen Kohleausstieg mutmaßen (taz 3.5.19), hat das nichts zu tun. Die verschiedenen Novellen zum Erneuerbare-Energie-Gesetz sind eben das Indiz einer Energiepolitik, die zunächst "planwirtschaftlich" mit Preis- und Abnahmegarantien zu Lasten der meisten Stromkunden einen Markt für Erneuerbare schaffen wollte und dann mit den Konsequenzen dieser Maßnahme umzugehen hatte.
Der Geschäftssinn der grünen Investoren beim garantierten Deal wurde der staatlichen Moderation des Energieumbaus zu viel, die auch auf die anderen am Strom-Mix Beteiligten sowie auf die allgemeinen Kosten des Grundstoffs Elektrizität zu achten hat. Technische Erfordernisse zur Nutzung des grünen Stroms in der Grundlast (z.B. Speicherung oder Transport) können auf sich warten lassen usw. Interessenskonflikte in Bund, Ländern und Gemeinden grätschen manchmal ebenfalls dazwischen. Ein Treppenwitz des Energiemarkts nach "Staatsplan", besteht darin, dass den Strom-Verbrauchern Extrakosten entstehen, wenn es Sonne und Wind einmal besonders gut meinen.
Lauter illustrierende Fälle des widersprüchlichen Vorhabens, die Umwälzung der Energieerzeugung, die ihrer nationalen Bedeutung wegen zugleich Versorgungssicherheit garantieren soll, im Prinzip vom kapitalistischen Markt erledigen zu lassen, der dafür auf seine Rechnung kommen will und muss. Generell können bei aller Symbiose von Finanzmacht und Ingenieurskunst die ökonomische und technologische Seite von Innovationen auch auseinandertreten und sich wechselseitig behindern, wenn sich z.B. für ein Investitionsprojekt zu wenig Marktaussicht und/oder Bankkredit findet, die nötigen Apparaturen für Geld nicht schnell genug zu kaufen sind, der Umbauprozess materiell wie monetär durch "disruptive" Angebote der globalisierten Konkurrenz (Stichwort: Solarzellen aus China) beeinträchtigt wird, staatliche Subventionen nicht aufgehen oder neuen Berechnungen unterliegen - oder wie aktuell aufgrund der Corona-Pandemie Krisen eintreten.
So geht sie also, wie gesagt, die "German Energiewende", von der dem Außenminister zufolge "Deutschlands Rolle in einer post-fossilen Welt" abhängt. Der Wirtschaftsminister konzipiert zeitgleich eine "strategische Industriepolitik", um "nationale und europäische Champions" von passender Kapitalgröße aufzuziehen und "Schlüsseltechnologien zu Weltmarktführern hochzurüsten". So sehen diese Leute die maßgebliche Zukunft auf dem einen Planeten.
P.S. zu zwei Blüten der Energiewende am weltwirtschaftlichen Rand
Auch die Peripherie der Weltwirtschaft darf sich um deren grüne Wende verdient machen und sich im Gegenzug blühende Landschaften einkaufen. Zwei davon sollen der Vollständigkeit halber kurz erwähnt werden. Es handelt sich um das sog. "Lithiumdreieck" im südamerikanischen Hochland und um die Ölpalmen in Südostasien. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre begann in Malaysia und Indonesien eine Karriere des Palmöls als post-fossiler Biosprit, vervielfachte in kurzer Zeit regionale Monokulturen, schuf auch ein Heer von Kleinbauern mit bescheidenem Einkommen - und sieht 20 Jahre später seinem Ende entgegen, weil die EU nach eigener Aussage den Regenwald als CO2-Senke retten bzw. laut malaiischer Beschwerde den nicht-fossilen Treibstoffzusatz mehr aus europäischen und amerikanischen Quellen beziehen will (FAZ, 9.5.19). In jedem Fall können etliche der "650.000 Kleinbauern, die in Malaysia ihr Einkommen mit dem geschmähten Öl erwirtschaften" und ihre indonesischen Kollegen sehen, wo sie bleiben.
Die westliche Außenpolitik - mit "Klimaschutz als neuen Imperativ" (Maas) - ist auch insofern gefragt, als Malaysia mit einem Verzicht auf den Kauf europäischer Kampfjets droht und sie in China kaufen will. In Bolivien, Chile und Argentinien sorgt ein anderer Rohstoff - einer, der für die batteriegetriebenen Panzerwagen der Klimarettung und die mittelklassigen Versionen dringend gebraucht wird - weniger für die Beschäftigung, sondern eher für das Vertreiben von Bevölkerung. Der geschäftsfördernde Abbau des gefragten Leichtmetalls bedeutet dort nämlich,
dass die Maschinen den Untergrund komplett umpflügen […]. Zudem bohren sie nach Süßwasser für die Lithiumproduktion. Der natürliche Wasserspiegel sinkt ab. Und dadurch mischt sich das Salzwasser mit dem Süßwasser. Diese Kontamination ist irreversibel, die Region verliert unwiederbringlich ihre Trinkwasserreserven.
Dlf
Das wiederum steigert den Marktwert eines weiteren ‚Rohstoffs‘, der, vormals kostenlos, unter dem Namen "blaues Gold" erst in den letzten zwei Jahrzehnten Einzug in die Warenwelt gehalten hat.