Von der Leyen legt Plan für EU-Länderfinanzausgleich vor
Der EU-Kommissarin hat das Transferunionspaket von Merkel und Macron um Kredite in Höhe von 250 Milliarden Euro aufgestockt
Gestern stellte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Corona-Rettungspaket vor. Es ist um 50 Prozent größer als das von Angela Merkel und Emmanuel Macron (vgl. Merkel und Macron vereinbaren Quasi-Eurobonds) und umfasst 750 Milliarden Euro - in Zahlen: 750 000 000 000.
Die 250 Milliarden Euro, die zu den Quasi-Eurobonds von Merkel und Macron dazukommen, sollen allerdings nicht als Zuschüsse, sondern als Kredite in die Haushalte einzelner EU-Mitgliedsländer fließen. Als Zugeständnis an die Regierungen Österreichs, der Niederlande, Schwedens und Dänemarks, die vorher in einem gemeinsamen Gegenentwurf zum Merkel-Macron-Plan zweckgebundene Kredite statt Zuschüsse gefordert hatten, kann man das nicht unbedingt werten.
Weltpolitische Ambitionen
Entsprechend wenig begeistert zeigte sich gestern ein niederländischer Diplomat in Brüssel, den der ORF zitiert. Die Positionen liegen seinen Worten nach so weit auseinander, dass eine unveränderte Annahme des Vorschlags "schwer vorstellbar" sei. Etwas diplomatischer als der anonyme Diplomat äußerte sich der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er meinte am Mittwoch, dass sowohl "die Höhe [als auch] das Verhältnis zwischen Zuschüssen und Krediten"" noch verhandelt werden" müsse. Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark sprächen sich dabei "aus Verantwortung gegenüber unseren Steuerzahlern" weiterhin "klar für Kredite aus".
Deutschland ist zwar ein noch deutlich größerer Nettozahler als Österreich, die Niederlande, Schweden und Dänemark, hat aber eine Staatsführung mit anderen Ambitionen. Seine Kanzlerin Angela Merkel rechtfertigte ihren Zuschussplan gegenüber den Abgeordneten von CDU und CSU am Dienstag einem Bericht der Tageszeitung Die Welt nach "auch geopolitisch", indem sie verlautbarte, durch die Coronakrise würden "die Karten auf der Welt neu gemischt" und es sei "im nationalen Interesse" Deutschlands, dass es neben China und den USA eine "starke" EU gebe. Vor acht Jahren hatte sie ihren Wählern noch versprochen, es werde keine Eurobonds gebe, "solange ich lebe". Nun sind sie halt (vielleicht bald) da, die Eurobonds unter anderem Namen.
Italien und Spanien sehr zufrieden
Sehr zufrieden mit von der Leyens Plan zeigte sich gestern der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte und Vertreter der spanischen Regierung. Beide begrüßten von der Leyens Vorschlag - was wenig verwunderlich ist, wenn man sich ansieht, in welche Haushalte die 750 Milliarden Euro zu welchen Anteilen fließen sollen: Italien kann mit 173 Milliarden Euro rechnen, wobei 82 Milliarden Euro als Zuschuss und weitere 91 Milliarden Euro als Kredit vorgesehen sind. Die spanische Staatsführung darf sich auf insgesamt 140 Milliarden Euro freuen, die sich aus 77 Milliarden Euro Zuschuss und 63 Milliarden Euro Kredit zusammensetzen. Damit gehen 313 der 750 Milliarden Euro an nur zwei Länder, die zwar sehr überdurchschnittlich stark von der Coronakrise betroffen sind, aber zusammengerechnet nur 107 der 514 Millionen Einwohner der EU stellen.
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron kann zwar nur mit knapp 39 Milliarden Euro rechnen, lobte die Vorstellung des Plans der EU-Kommissionspräsidentin aber ebenfalls als "wichtigen Tag für Europa" und als "Fortschritt", den sein Abkommen mit Merkel erst möglich gemacht habe. Nun müsse man "schnell handeln und ein ehrgeiziges Abkommen mit allen unseren europäischen Partnern verabschieden". Ohne diese Partner wird es auch nicht gehen, weil die neuen Quasi-Eurobonds wegen ihrer Verknüpfung mit dem EU-Haushaltsrahmen und der dafür erforderlichen Erhöhung der Eigenmittelobergrenze einstimmig beschlossen werden müssen.
Herdenimmunitäts-Schweden soll mehr Geld bekommen als Shutdown-Österreich
Die Nettozahler Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark haben deshalb Druckmittel in der Hand, mit denen sie sich ihre Zustimmung vergüten lassen können: Ihre Anteile an den Ausschüttungen könnten deshalb am Ende höher ausfallen als die vier, 6,75, 4,69 und 2,15 Milliarden Euro, die derzeit für sie vorgesehen sind. Wie die Ausschüttungssummen zustande kamen, bei denen das früh und scharf auf die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus reagierende Österreich mit 8,86 Millionen Einwohner weniger Geld bekommen soll als das 10,23-Millionen-Einwohner-Land Schweden, dessen Shutdown-Bemühungen so schwach blieben, dass man ihm eine Strategie der Herdenimmunität vorwirft, ließ von der Leyen ohnehin weitgehend im Dunkeln.
Die Anleihen, mit denen die Zuschüsse finanziert werden, sollen von der Leyens Plan nach eine Laufzeit von 30 Jahren haben und zwischen 2028 und 2058 aus dem regulären EU-Haushalt abgestottert werden. Der nächste EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 soll deshalb ein Volumen von 1,1 Billionen Euro haben. Um das zu erreichen, schlägt die Kommission neben Beitragserhöhungen auch "neue Eigenmittel" wie eine "Digitalsteuer" und eine Abgabe auf Produkte aus Kunststoff vor.
Damit die ersten Zuschüsse bereits im September fließen schwebt von der Leyen aber auch eine Aufstockung des laufenden Haushalts vor, auf die sich die Staatsführungen der Mitgliedsländer im EU-Rat ihrer Vorstellung nach noch bis zum Juli einigen können. Im EU-Parlament gilt die Zustimmung zu ihrem Plan als abgemacht. Dort wollen die großen Fraktionen der informellen Koalition sogar noch deutlich mehr Geld ausgeben (vgl. EU-Parlament will zwei Billionen Euro schweren "Wiederaufbau- und Transformationsfonds").
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