Von der aufgeklärten Intoleranz zum pauschalen Hass
- Von der aufgeklärten Intoleranz zum pauschalen Hass
- Antiislamischer Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, die sich als Aufklärung verkleidet und sich ungeniert der rechten Stereotypen bedient
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Wieder diskutieren westliche Intellektuelle über den richtigen Umgang mit islamischen Migranten. Sollten sie eines Tages zum bewaffneten Kampf aufrufen, stünden Freiwillige längst bereit - in Weblogs wie "Politically Incorrect" feiern sie den neuen Rassismus
In den vergangenen Wochen ist unter westlichen Intellektuellen erneut eine Debatte über den richtigen Umgang mit Islam und Islamismus ausgebrochen. Auslöser waren die Buchreportage "Murder in Amsterdam" des britisch-niederländischen Autors Ian Buruma und deren Empfehlung in der New York Review of Books durch Timothy Garton Ash. Nachdem beide davor gewarnt hatten, dem Fundamentalismus der Religion mit einem "Fundamentalismus der Aufklärung" zu begegnen, erregte sich der französische Philosoph Pascal Bruckner über einen "Rassismus der Antirassisten" und attackierte den Multikulturalismus, in dem er eine "legale Form der Apartheid" sieht. Wieder einmal wird auf der einen Seite vor einer pauschalen Feinderklärung in Richtung Islam gewarnt und Besonnenheit gefordert, während man auf der anderen einen neuen Faschismus heraufziehen sieht, dem man nicht mit "Appeasement" begegnen dürfe. Derweil können es abseits akademischer Diskussionen manche schon jetzt nicht erwarten, sämtliche Muslime in die Wüste zu schicken (zu einer Stellungnahme des Autors über die Reaktionen auf seinen Artikel siehe: Argumentation, Schlammschlacht, Gewalt).
Vernunft und Freiheit dulden keine Kompromisse, betont der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson in seinem Beitrag zu der bei signandsight.com und perlentaucher.de geführten Debatte. Jeder Mensch müsse eine klare Antwort geben und sich für oder gegen sie entscheiden. In diesem Sinne regt er die Formulierung einer "Logik der Toleranz" an, deren Grundsätze so lauten sollten:
Die Toleranz gegenüber der Intoleranz führt zur Intoleranz.
Die Intoleranz gegenüber der Intoleranz führt zur Toleranz.
Wenn Gustafsson anmerkt, die beiden Sätze seien "von einem zukünftigen Philosophen noch auszuarbeiten", spricht er damit indirekt eine Gefahr an, die die Vertreter der "aufgeklärten Intoleranz" entweder ignorieren oder übersehen: Die Konfrontation von Kulturkreisen, sei es in Gestalt von Staaten oder von Individuen in den Straßen einer Stadt, spielt sich letztlich nicht zwischen Philosophen ab. Die plakativen Stereotype etwa, die Pascal Bruckner ausgibt, scheinen weniger geeignet, eine aufgeklärte Debatte zu befördern, als ein finsteres Feindbild Islam zu festigen:
Je mehr man vor dem Radikalismus der Bärtigen zurückweicht, desto schärfer wird ihr Ton. Appeasementpolitik macht sie nur hungriger.Die Hoffnung, dass Wohlwollen die Rohlinge entwaffnen wird, entbehrt jeder Grundlage.
Pascal Bruckner
"Bärtige" und "Rohlinge", die bewaffnet sind und mit ihrem Hunger offenbar Raubtieren gleichen. Was macht man mit Raubtieren, die einen anfallen? Bruckner scheint vor lauter Schwärmerei über die Tradition der Aufklärung zu vergessen, welche antiaufklärerischen Kräfte im Westen selbst zu Hause sind, denen vor allem die fremdenfeindliche Komponente solcher Stereotype möglicherweise gerade recht kommt.
Warum kümmert sich die Bundesrepublik eigentlich um diese Bazille? (...) Und der Michel zahlt das ganze Schauspiel und wahrscheinlich die Stütze bis zum Lebensende des Herrn K." "Ich würde sogar so weit gehen, ihn als Parasit zu bezeichnen. Liege ich da etwa falsch? Bin ich jetzt ein Rassist? Nur weil ich mich darüber ärgere, solchen Abschaum auch noch durchfüttern zu müssen?" "Unerhört ist, daß diese Läusezucht noch zur Chefsache erklärt wird." "An Stelle der Amis hätte ich dem Herrn Kurnaz eher einen Messerhaarschnitt und eine Rasur verpaßt. Porentief. Am Besten mit der Maschinenpistole.
Diese Bemerkungen zur Affäre um den in Afghanistan und Guantanamo gefolterten Murat Kurnaz, die in der jungen Welt vom 25. Januar wiedergegeben wurden, stammen mitnichten aus einem obskuren Internetforum betrunkener Skinheads aus der hintersten Provinz, sondern aus Kommentaren im populären Weblog Politically Incorrect (PI). Die junge Welt fährt fort:
Der Weg aus den oberen Etagen der Gesellschaft zum Dreck dieser Art ist kurz. Wer möchte, gelangt zu Politically Incorrect über einen Link von der Homepage des Spiegel-Journalisten Henryk M. Broder oder umgekehrt – direkt von PI zu Broder.
Auch würde man bei Neonazis nicht lesen, was sich PI aufs Banner schreibt: "Pro-amerikanisch", "Pro-israelisch" und "für Grundgesetz und Menschenrechte". Aber eben auch und vor allem: "Gegen die Islamisierung Europas". Letzteres entspricht exakt der Losung, die Bruckner ausgibt, wenn er sich über die "Abwiegler" echauffiert, die "Europa dem Islam anpassen wollen statt umgekehrt". Was die Ausrichtung gegen den Mainstream angeht, zeigt nicht nur die Nähe zum Star der politischen Inkorrektheit, Henryk M. Broder (diesjähriger Preisträger des Frankfurter Ludwig-Börne-Preises, einziger Juror "Focus"-Chefredakteur Helmut Markwort), dass PI eine Strömung des Zeitgeists aufgreift und radikalisiert, die vom Mainstream gar nicht so weit entfernt ist. Schließlich künden zahlreiche Empfehlungen von Büchern prominenter deutscher und internationaler Autoren davon, dass man mit seinen Thesen dort nicht allein steht (und dass Amazon nichts gegen dieses Vertriebsorgan einzuwenden hat). Eine umfangreiche Linkliste verweist auf eine ansehnliche Gemeinde von mehr oder weniger Gleichgesinnten. Sogar die gewöhnlich um politische Neutralität bemühte Suchmaschine Google erteilt PI ihre Weihen – das Blog ist eine der Nachrichtenquellen von Google News.
Dies lässt sich bequem nachprüfen, indem man dort eine Suche nach dem Wort Dhimmi startet. Als "Dhimmi" bezeichnet man im Islam laut Wikipedia "Monotheisten, die mit eingeschränktem Rechtsstatus geduldet und staatlicherseits geschützt werden". Bei PI ist es ein Schimpfwort für Westler, die in den Augen der Betreiber vor der "Islamisierung Europas" kapitulieren. Unfreiwillig satirisch wird es, wenn der türkische Hinweis auf einer Würstchendose, dass der Inhalt keine Schweinefleisch enthalte, eine Nachricht über das "Dhimmitum" des Herstellers wert ist, dessen Produkte "deutsche Kunden (...) zukünftig besser meiden sollten", was ein Kommentator trefflich mit "Kauft nicht beim Dhimmi" auf den Punkt bringt.
Bei den zitierten Hasstiraden und Gewaltphantasien handelt es sich nicht um Ausnahmen, zumal sie von einer Stammleserschaft stammen und Erstkommentare freigeschaltet werden müssen. Nachdem ein Polizist von mutmaßlich muslimischen Jugendlichen zusammengeschlagen wurde und PI berichtete, gab ein Kommentator der Polizei den Rat:
Gummiknüppel heraus und feste drauf. Hilft das immer noch nicht, Dienstwaffe ziehen, warnen, Warnschuss und dann gezielt neue Nasenlöcher stanzen ...
Ein anderer meinte, es müsse "endlich eine Anpassung der Polizeimethoden an die gestiegene Gefährdung stattfinden. Lieber hau ich 10 Blagen zu Krüppeln als selbst dran zu glauben." Nach einem anderen Fall, in dem muslimische Jugendliche als Gewalttäter aufgetreten sind, wird empfohlen: "Einen nehmen und damit die anderen erschlagen", oder auch: "Okay, langsam wird es Zeit für Selbstjustiz. (...) Für solche Typen ist keine Strafe zu hart. Wenn die Staatsanwaltschaft sie nicht verteilt (sic), sind wir als Bürger gefragt." Ein anderer setzt "Jugendliche" in Anführungsstriche, als könne man nicht so sicher sein, womit man es zu tun hat, und empfiehlt:
Diese "Jugendlichen" müssen in Camps gesteckt werden, wo sie mal den Ernst des Lebens erfahren. Dort wird ihnen der Kopf gewaschen, dass der ganze Mohammed- und Ehre-Quatsch verloren geht und dann sollte man sie in Pflegefamilien oder Heime übergeben. So könnte man eventuell noch was Brauchbares aus denen machen.
Der Hass richtet sich radikal und pauschal gegen Moslems. Einer meint, die "Kulturbereicherer" - eine bei PI gebräuchliche ironische Bezeichnung für Moslems – würden "normalerweise nicht zuschlagen sondern das Messer ziehen ohne Vorwarnung". Häufig ist vom "Kinderficker" oder "Kinderschänder" Mohammed die Rede, einem "Gewaltunhold", der "den totalen Krieg gewünscht" habe. Einer klagt, er habe "mittlerweile schon eine körperliche Abneigung gegen Moslems. Wenn ich ein Kopftuch nur sehe, wird mir übel." Ein anderer meint apodiktisch: "Der Islam hat keine Toleranz verdient.". Wieder ein anderer erklärt noch schlichter: "Der Islam verkörpert nahezu perfekt die Vorstellung des Bösen."
Moslems seien ein "Mob", den man sich "vom Hals schaffen" müsse, "Gesindel", "Hinternhochbeter", "Kulturverwüstlinge" und "Migrationmüll" (sic), Allah, der "Möchtegern-Gott aus der Wüste", "lügt und betrügt, wo es nur geht", der Islam ist eine "verfassungsfeindliche Weltanschauung", ein "Gesellschaftssystem", das "strukturell intolerant, diskriminierend und gewalttätig" ist, oder auch eine "Gehirnwäsche-Großsekte".
Dabei ist ausdrücklich der Islam gemeint – nicht der Islamismus oder der islamische Fundamentalismus. Der Begriff Islamismus sei eine politisch korrekte Wendung, heißt es, die ignoriere, "dass die sogenannten Islamisten diejenigen sind, die den Koran buchstabengetreu umsetzen". Daher sei es der "wahre" Islam, der radikal, oppressiv und gewalttätig ist. Hinweise auf den sozialen Kontext, in dem sich Gewalt und Unterdrückung abspielen, werden als Gutmenschentum lächerlich gemacht. Die Frage nach Ursachen gilt schon als Einknicken. Die Gewalttätigkeit, die nur als Erscheinungsform und Niederschlag von Gruppenkonflikten sinnvoll verstanden werden kann, wird in einem erzrassistischen Kurzschluss zur unveränderlichen Wesenseigenschaft der als feindlich wahrgenommenen Gruppe umgedeutet. PI-Ideologie: "die einen haben Zivilisation und Kultur und die anderen nicht".