Von illegitimen Theorien und dem Kampf um Lehrstühle
Gründungstagung des Netzwerk Kritischer Kommunikationswissenschaft in München
Noch bastelten sie in Berlin an einer GroKo (Große Koalition) herum, da hat sich in München schon die KriKo gegründet - das Netzwerk Kritischer Kommunikationswissenschaftler. Am Freitag, den 1. Dezember 2017, trafen sich an der Ludwig-Maximilians-Universität diverse Vertreter des Faches aus dem In- und Ausland und hoben das Netzwerk aus der Taufe.
Der Grund: Die Realität des Mediensystems mit zunehmender Vermarktung und Ideologisierung mache einen kritischen Ansatz notwendig, so die Initiatoren auf ihrer Website. Aber: "Kritische Kommunikationswissenschaft findet aufgrund der jahrzehntelangen Marginalisierung im deutschsprachigen Raum zurzeit eher in benachbarten Disziplinen sowie international statt." Daraus ergebe sich eben "die Notwendigkeit eines eigenen Netzwerks".
Wir erinnern uns: Kommunikationswissenschaft ist das Universitätsfach, das sich mit "Kommunikation" befasst und damit in der Gefahr steht, eine Allerweltswissenschaft zu sein. Sie kann thematisch vom Tänzeltanz der Bienen über Marketingstrategien bis zur berühmten "Wirkungsforschung" reichen. Dem stehen die realen zeitgenössischen Transformationen und Verwerfungen der massenmedialen Landschaft gegenüber, von der Veränderung des Mediennutzungsverhaltens durch das Internet über die allgemeine Glaubwürdigkeitskrise der Medien (Stichwort Fake-News) bis zur Erosion der gedruckten Zeitung als Wirtschaftsmodell für den Journalismus.
All dies werde aber an den etablierten Universitätsinstituten der Kommunikationswissenschaft durch den Mainstream der Forschung nur unzureichend behandelt, so die Klage der KriKos, was fehle, seien eben kritische Ansätze. Und um diese ging es bei der Gründungstagung am "Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung" (IfKW) an der Oettingenstraße 67 in München. Dort waren früher übrigens die US-Propagandasender Radio Freies Europa und Radio Liberty untergebracht.
Den ersten Hauptvortrag hielt Michael Meyen vom selbigen Institut und er ließ die Entwicklungsschritte des Faches nach 1945 Revue passieren, die vor allem in der Etablierung konservativer Lehrstuhlinhaber bestand. Die Kommunikationswissenschaft (KW) hieß früher Zeitungswissenschaft und war um die Jahrhundertwende 1900 aus der Nationalökonomie hervorgegangen. In der Nazizeit erlebte das Fach als ideale Propagandawissenschaft und in Prostitution an den Nationalsozialismus eine enorme Aufblähung, von der nach 1945 nur noch ideologische und organisatorische Ruinen übriggeblieben waren.
Aufwärts ging es wieder in den 1960er und 1970er Jahren, als man aus den USA empirische Methoden importierte. Für diese Zeit konstatiert Meyen eine Reihe von kritischen Ansätzen innerhalb der KW, dafür standen zum Beispiel Franz Dröge ("Wissen ohne Bewußtsein. Materialien zur Medienanalyse der BRD", 1972) oder aus der Mediensoziologie Horst Holzer ("Kommunikationssoziologie", 1973). Zwar wurde Dröge Professor in Bremen, doch die Karrieren anderer kritischer Medienforscher endeten selten auf Lehrstühlen. Ursache dafür war das politische Klima der Zeit mit Kalten Krieg mit Berufsverboten wie bei Holzer. Dagegen wurden an die Universitäten konservative Vertreter des Faches berufen wie etwa die Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann oder der Herausgeber des katholischen "Rheinischen Merkurs", Otto B. Roegele.
Einen kritischen Ansatz - auf marxistischer Grundlage - vertraten auf der Gründungsveranstaltung Manfred Knoche, emeritierter Professor der Uni Salzburg. Von dort kam auch Christian Fuchs, der heute an der Uni Westminster lehrt. Knoche unterschied in seinem Vortrag Theorien der Medien auf einer Skala von "Modernisierung" (Neoliberalismus, Marktwirtschaft) über "Reform" (gemäßigter Kapitalismus, Sozialkritik) bis zur "Radikalrefom" (grundsätzliche Kapitalismuskritik).
Gemäß diesen Positionen gebe es etablierte Theorien wie den Kritischen Rationalismus, die Systemtheorie oder den Neo-Institutionalismus. Sie hätten einen "hohen Tauschwert" für die Mitglieder des scientific community, denn mit ihnen lasse sich schließlich irgendwann ein Lehrstuhl entern. Demgegenüber stünden "abgelehnte" Theorien, die sich kritisch mit dem real existierenden Kapitalismus auseinandersetzten, wie etwa die alte "Kritische Theorie" der Frankfurter Schule oder die marxistische "Kritik der politischen Ökonomie".
Knoche thematisierte auch den Aberwitz wissenschaftlicher Uni-Karrieren, bei dem die Mitspieler dazu verdammt sind, entweder Professor zu werden oder von der Uni zu gehen. Quasi eine Art russisches Roulette, wobei viele dem systeminternen Aussiebungsprozess zum Opfer fielen.
Christian Fuchs betonte in seinem Vortrag die Aktualität von Marx für die Analyse des gegenwärtigen Kapitalismusmix (bestehend zum Beispiel aus Finanzkapitalismus, Industriekapitalismus und Mobilitätskapitalismus) und Tendenzen der Monopolisierung wie bei Google und Facebook. Er forderte auch radikale Reformen im Mediensystem, etwa über eine "Partizipative Mediengebühr". Dabei würden die Bürger von den Medienkonzernen einen bestimmten Geldbetrag erhalten, womit sie nach ihrem Gutdünken alternative Medien unterstützen könnten.
Gegenüber den marxistischen Ansätzen betonten einige Diskussionsteilnehmer, dass sie sich eine kritische Medienwissenschaft vorstellen könnten, die auch, aber nicht nur derartige Ansätze beinhalten könnte. So wollte Uwe Krüger (Uni Leipzig) keinen ausschließlichen "Klub von Überzeugten, die andere überzeugen wollen".
Mandy Tröger, die an der Uni Illinois promoviert, stimmte dem zu: "Man muss kein Marxist sein, um kritisch zu arbeiten" und plädierte für einen "Raum des offenen Dialogs" und dagegen, "alte Kämpfe zu führen, die nicht die unseren sind". Um nicht der Irrelevanz zu verfallen, müsse sich die Kommunikationswissenschaft auch den kritischen Ansätzen öffnen, die bisher als "illegitim" angesehen würden.