Von neuer RAF weit entfernt
Berliner Anschläge: Polizei stochert bei Analyse im Nebel
Anschläge auf Banken in Frankfurt/Main, Attrappen-Post für Hessens Ministerpräsident Roland Koch und jetzt Brandanschläge auf regierungsnahe Einrichtungen in Berlin: Bei den deutschen Sicherheitsbehörden wächst die Angst vor neuem Terrorismus. Doch Experten winken zunächst ab. Von einer Terrorwelle wie zu Zeiten von RAF, Revolutionären Zellen und Bewegung 2. Juni kann keine Rede sein.
Während einschlägige Medien bereits Baaders und Meinhofs Enkel am Werk sehen und sich an die Anfänge des deutschen Linksterrorismus Ende der 60-er/Anfang der 70-er Jahre erinnert fühlen, beschäftigen sich die Analytiker der Landeskriminalämter und des BKA momentan erst einmal mit dem Versuch, die Struktur der Täter zu durchschauen. Ihre ersten Erkenntnisse: Zwischen der "Bewegung Morgenlicht" in Hessen und den Attentätern von Berlin und Hamburg scheint zunächst kein organisatorischer Zusammenhang zu bestehen.
Dagegen spricht die Tatsache, dass die hessische Gruppe ihren Taten jeweils auch Bekennerbriefe folgen ließ, was in den aktuellen Fällen nur bei dem Farbanschlag auf das Bundeskanzleramt in der Nacht zum 4. Dezember der Fall war. Die Attentäter sprachen sich gegen die Afghanistan-Politik der Bundesregierung aus. Ein Hammer-und-Sichel-Symbol, das zusammen mit dem Kürzel "RAZ" (Revolutionäre Aktionszellen) auf die Außenwand des Berliner Hauses der Wirtschaft gesprüht worden war, nachdem dort in der Nacht zum 4. Februar Unbekannte Gaskartuschen gezündet hatten, wird nicht als Bekennernachricht gewertet.
Ebenso unbekannt sind bislang jene Täter, die in derselben Nacht Molotowcocktail gegen die Fassqade der BKA-Außenstelle in Berlin-Treptow schleuderten und Sachschaden anrichteten. In den frühen Morgenstunden des 2. Februar war die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin das Ziel eines Brandanschlages. Auch hier gab es bislang weder Bekennerschreiben noch Anrufe der Täter etwa bei Nachrichtenagenturen wie es die RAF häufig praktizierte. Deswegen gehen die Ermittler im Moment von einzelnen Gruppen aus, die ihre Angriffe nicht miteinander absprechen.
Offensichtlich verfügen die bislang unbekannten Angreifer allerdings über Detailkenntnisse in Bezug auf ihre Ziele. Während das Bundeskanzleramt sozusagen als Herzstück angegriffen wurde, haben alle anderen Institutionen eine Gemeinsamkeit: Sie sind regierungsnahe Einrichtungen.
Während die Außenstelle des BKA u. a. Dienstsitz der Sicherungsgruppe Berlin mit den Personenschützern der Politiker ist, gilt das Haus der Wirtschaft als arbeitgeberfreundliche Einrichtung, die den Bund der Deutschen Industrie (BDI), die Deutsch-Internationale Handelskammer (DIHK) und einen großen Personaldienstleister, also eine Zeitarbeitsfirma, beherbergt. Die Stiftung Wissenschaft und Politik arbeitet bereits seit 1962 als "Think Tank" der jeweiligen Bundesregierung und berät sie in allen Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik. Die mit hochkarätigen Wissenschaftlern besetzte Einrichtung hatte vor dem Umzug nach Berlin ihren Sitz bei Icking im Isartal südlich von München und gleich in der Nachbarschaft von Wolfratshausen, dem Wohnsitz des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber.
Drei Gruppen unterscheidet die Polizei bisher in ihren Analysen, die noch nicht sehr weit gediehen sind: Gruppe 1 besteht demnach aus politisch motivierten Gewalttätern, die durch die Anschläge ihrem Hass auf Staat und Gesellschaft Luft machen wollen. In Gruppe 2 haben sich jene versammelt, die als Mitläufer bezeichnet werden und das politische Motiv als zweitrangig betrachten. Die Mitglieder von Gruppe 3 sind der Polizei zufolge völlig unpolitisch und wollen lediglich "Action". Gegen eine echte terroristische Struktur nach Art der RAF spreche auch das Mittel der Wahl bei den Angriffen. Während die Rote Armee Fraktion schon früh über Depots mit Waffen und Sprengmitteln verfügte, benutzen die Täter von heute Gaskartuschen, die in jeder Campingabteilung zu haben sind.