Vor Rafah-Invasion: Es droht Panik-Exodus von 1,5 Millionen Palästinensern

Seite 2: 62.500 Menschen auf einem Quadratkilometer

Hass verweist darauf, dass, selbst wenn nur eine Million Palästinenser zum dritten und vierten Mal jetzt nach Al-Mawasi fliehen würden – ein Ort, der schon übervölkert ist –, dann würde die Dichte dort auf 62.500 Menschen pro Quadratkilometer ansteigen.

Das wird in einem offenen Gebiet geschehen, in dem es keine Hochhäuser gibt, die die Flüchtlinge beherbergen könnten, kein fließendes Wasser, keine Privatsphäre, keine Wohnmöglichkeiten, keine Krankenhäuser oder medizinischen Kliniken, keine Solarzellen zum Aufladen von Telefonen. Und das alles, während Hilfsorganisationen sich durch oder in der Nähe von Kampfgebieten bewegen müssen, um die geringen Mengen an Lebensmitteln zu verteilen, die in den Gazastreifen gelangen. Es scheint, als könnten in diesem winzigen Bereich die Menschen nur stehen oder knien, um Platz zu finden. Vielleicht wird es notwendig sein, spezielle Komitees zu bilden, die die Schlafplätze in Schichten festlegen: Einige Tausend legen sich hin, während der Rest wach bleibt. Das Summen der Drohnen über den Köpfen und die Schreie der Babys drum herum, die während des Krieges geboren wurden und deren Mütter keine oder nicht genug Milch haben – das wird der nervtötende Soundtrack sein.

Die Operation des israelischen Militärs werde über Wochen gehen müssen, wenn man bedenke, was in Gaza City und Chan Yunis vor sich ging.

Der Treck von Geschwächten, Kranken, Verängstigten und Verletzten auf die "Rettungsinsel" werde Stunden dauern, auch wenn es nur vier Kilometer sind, ohne Kommunikationsmöglichkeiten und humanitäre Versorgung, ständig von Panik begleitet, so Hass, sollte das israelische Militär neue Order gebe, während Panzer stetig die medizinischen Einrichtungen umringen.

Katastrophe mit Ansage

Manche werden wie schon bei den vormaligen Evakuierungsanordnungen bleiben bzw. bleiben müssen. Sie sind dann nach israelischen Militärregeln keine "unschuldigen Zivilisten" und "Unbeteiligte" mehr.

Wer zum Beispiel, um Wasser zu besorgen, seine Unterkunft verlässt, wird zur Zielscheibe. Dabei würden die israelischen Soldaten im Einklang mit internationalem Recht agieren, sagt Hass, da man die Menschen vorher gewarnt hätte.

Nicht nur Hilfsorganisationen warnen eindringlich vor der Invasion. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sagte auf der X (vormals Twitter): "Eine Offensive der israelischen Armee auf Rafah wäre eine humanitäre Katastrophe mit Ansage." Auch der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats in den USA, John Kirby, äußerte Bedenken: "Wir glauben, dass eine Militäroperation zum jetzigen Zeitpunkt eine Katastrophe für diese Menschen wäre".

Ägypten droht mit Ausstieg aus Friedensvertrag

Doch solche Ermahnungen westlicher Unterstützerstaaten hat es in Israels Krieg gegen Gaza (und auch bei früheren Militäroffensiven Israels) immer wieder gegeben, während insbesondere Washington bedingungslos Waffen an Israel lieferte (das könnte sich aufgrund internen Drucks ein wenig ändern), die Netanjahu-Regierung keine Sanktionierungen erhält, während die Biden-Regierung die große Mehrheit der Staaten, die in den UN einen Waffenstillstand fordert, mit einem Veto im Sicherheitsrat gleich zweimal überstimmte.

Israelische Analysten haben der New York Times gesagt, dass ein Einmarsch eher nicht in nächster Zeit stattfinden wird, aufgrund der Evakuierungsanstrengungen. Aber es könnte auch noch ein anderer Faktor hineinspielen, der Netanjahu zögern lässt.

Nach Medienberichten soll Ägypten nämlich damit gedroht haben, den Friedensvertrag, das sogenannte Camp-David-Abkommen mit Israel, auszusetzen (der Vertrag wurde 1979 geschlossen und stabilisierte das Verhältnis der beiden Staaten), falls Truppen nach Rafah entsandt würden. Kairo befürchtet, dass dadurch die Palästinenser auf die Sinai-Halbinsel getrieben würden und der Rafah-Übergang, eine wichtige Versorgungsroute in den Gazastreifen, geschlossen werden müsste.