Vor der letzten Schlacht gegen den IS am Euphrat
Mit dem absehbaren Sieg über das IS-Kalifat werden die geostrategischen Konflikte zwischen den USA/SDF und Damaskus, Iran, Russland, Hisbollah und den irakischen Schiiten schärfer und gefährlicher
Während der Islamische Staat im Irak und in Syrien immer weiter zurückgedrängt wird, bleibt die Frage, was aus dem Terrorchef und selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi geworden ist. Wiederholt wurde er bereits für tot erklärt, Gerüchte gingen über sein Versteck um, falls er noch leben sollte. Zuletzt hatten die Russen gesagt, al-Baghdadi sei wahrscheinlich bei einem Luftangriff getötet worden
Falls Geheimdienste etwas wissen oder Kommunikation mit ihm abgehört haben sollten, scheinen sie es für sich zu behalten. Groß scheint das Wissen aber auch der angeblich so mächtigen US-Geheimdienste nicht zu sein, auch wenn die Jagd auf ihn nicht so hoch von der US-Regierung als die auf Osama bin Laden angesetzt wurde, der sich bekanntlich 10 Jahre ohne Internet, Telefon etc. verstecken konnte, bis der alte Mann, der für al-Qaida bestenfalls noch eine symbolische Rolle spielte, in Pakistan von einem Sondereinsatzkommando getötet wurde.
Auf einer Pressekonferenz sagte nun US-Generalleutnant Stephen Townsend, der Kommandeur der Operation Inherent Resolve, al-Baghdadi sei aller Wahrscheinlichkeit noch am Leben. Aber er musste einräumen, keine Idee zu haben, wo er sich genauer aufhält. Die Amerikaner vermuten ihn im Osten Syriens in der Gegend um die Stadt Deir ez-Zor, die teilweise vom IS und teilweise von Regierungstruppen kontrolliert wird, oder irgendwo dort in Dörfern und Städten am Euphrat. Südlich von Deir ez-Zor gibt es in der Wüste viele Ölquellen, die Stadt liegt strategisch bedeutsam am Euphrat zwischen Raqqa und Abu Kamal in Syrien und Haditha und Ramadi/Bagdad im Irak. Raqqa wird bald eingenommen sein, aus der Stadt sind IS-Kämpfer und -Führer ebenso Richtung Deir ez-Zor geflohen wie zuvor aus Mosul und aus Tal Afar, das die irakischen Truppen angeblich gerade vollständig eingenommen haben. Die Amerikaner loben sich selbst eifrig, an allen Erfolgen maßgeblich beteiligt gewesen zu sein.
Townsend erklärte, am mittleren Euphrat im syrisch-irakischen Grenzgebiet zwischen Deir ez-Zor und Rawah würde die letzte Schlacht mit dem IS stattfinden. Man werde nach al-Baghdadi suchen und ihn töten, sagte der US-Offizier unverblümt: "Wenn wir ihn finden, werden wir ihn, so denke ich, gleich töten. Es ist wahrscheinlich den ganzen Ärger nicht wert, ihn zu ergreifen und anzuklagen." Man will also kein zweites Guantanamo-Problem schaffen, sondern eine schnelle und "saubere" Lösung, offenbar ohne größeres Aufklärungsbedürfnis. Die Amerikaner setzen bei Deir Ez-Zor auch entscheidend auf die syrischen Kurden. Townsend betonte, die Hälfte der SDF-Verbände seien arabische Kämpfer. Das darf man mit Vorsicht nehmen. Auf jeden Fall gibt sich Townsend sicher, dass es die SDF wie im Fall von Raqqa auch für Deir ez-Zor schaffen, weitere lokale Kämpfer zu rekrutieren, um das Gebiet vom IS zu befreien - und damit auch unter amerikanischen Einfluss zu bringen. Das wird man in Damaskus, Moskau und Teheran nicht gerne hören und zu verhindern suchen.
Streit um einen IS-Konvoi
Derweil ist ein Konvoi mit IS-Kämpfern und Familienangehörigen unterwegs vom Libanon ebenfalls in die Region um Deir ez-Zor, vermutlich nach Abu Kamal in der Nähe der Grenze zum Irak (IS zieht aus dem Libanon ab). Der Islamische Staat hatte 2014 an der syrisch-libanesischen Grenze einige Orte wie Qalamoun eingenommen und sich dort festgesetzt. Eine Ende Juli gestartete Offensive der libanesischen Armee und der libanesischen Hisbollah, die mit den syrischen Regierungstruppen kooperiert, konnte dort erfolgreich gegen den IS vorrücken. Mit den verbliebenen IS-Kämpfern wurde ein Deal gemacht, der auch von Damaskus unterstützt wurde. Diese durften mit ihren Angehörigen Richtung Ostsyrien in einem Buskonvoi abreisen. Dort sollen sie, so darf man hinter dem Deal vermuten, den IS vorläufig stärken. Noch haben syrische Regierungstruppen mit ihren schiitischen Milizen aus dem Irak, dem Libanon und dem Iran und mit russischer Unterstützung aus der Luft nicht die Kapazitäten, schnell bis nach Deir ez-Zor vorzurücken und die Region einzunehmen, da in vielen Regionen wie in Homs und Hama weiter Kämpfe mit dem IS und Oppositionsgruppen stattfinden.
Zwar haben die Regierungstruppen eine Offensive Richtung Osten gestartet, was durch die Einrichtung von Deeskalationsgebieten in Idlib begünstigt wurde, und wird weiterhin die Enklave Deir ez-Zor verteidigt, aber die Sorge dürfte bestehen, dass womöglich die syrischen Kurden mit der Unterstützung der USA, sobald Raqqa eingenommen ist, weiter in den Südosten vorrücken werden. In Al-Tanf im Dreiländereck zwischen Syrien, Jordanien und dem Irak bilden die Amerikaner arabische Kämpfer aus, die sich den SDF anschließen könnten.
Auch hier schwelt ein größerer Konflikt, denn der Iran, die schiitischen Milizen, die Hisbollah und Damaskus würden hier gerne nach der endgültigen Vertreibung des IS einen schiitisch dominierten Korridor vom Iran über den Irak und Syrien bis zum Libanon schaffen. Das setzt Israel in Panik und ist daher ein Vorhaben, das Washington unterbinden will. Es kam auch bereits zu Kämpfen, die USA haben in dem Gebiet iranische Drohnen abgeschossen. Es wird vermutet, dass der Iran hier einen Drohnenstützpunkt aufbauen und möglicherweise, wie man in Israel glaubt, Waffenfabriken betreiben will.
Das Pentagon hatte schnell Protest gegen den IS-Konvoi eingelegt. Am Donnerstag wurden Moskau und Damaskus kritisiert, weil sie Deals mit dem IS machen und Terroristen erlauben, von ihnen kontrolliertes Territorium zu durchqueren. Der IS sei eine globale Bedrohung, dann aber kommt eine verräterische Formulierung: "Terroristen von einem Ort zu einem anderen umzusiedeln, damit sich ein anderer um sie kümmern muss, ist keine dauerhafte Lösung. Es ist nur ein weiterer Beweis, warum die Militäraktion der Koalition notwendig ist, um den IS in Syrien niederzuschlagen." Weder die Amerikaner noch die irakische Regierung könnten dies akzeptieren. Allerdings hatte der frühere irakische Ministerpräsident und jetzige Vizepräsident Nouri al-Maliki den Deal verteidigt.
Man habe den Konvoi nicht bombardiert, heißt es aus dem Pentagon, aber die Straße nach Abu Kamal unpassierbar gemacht, "um den weiteren Transport von IS-Kämpfern zum Grenzgebiet unserer irakischen Partner zu verhindern". Man habe aber Fahrzeuge und Kämpfer angegriffen, die klar als IS-zugehörig identifiziert worden seien. Der Konvoi sei jetzt wieder zurück in die von Damaskus kontrollierten Gebiete ausgewichen. Einen ähnlichen Deal hatten im Übrigen die mit den USA verbündeten SDF-Einheiten bei der Einnahme von Tabqa gemacht.
Unübersichtliche Lage
Die New York Times berichtet, dass nach Annahme von üblich anonym bleibenden Pentagon-Mitarbeitern diese Region an der syrisch-irakischen Grenze entlang des Euphrats nicht schnell von irakischen oder syrischen Regierungstruppen angegriffen werde. Aber die Amerikaner seien, wie auch Townsend erklärte, darauf bedacht, in keinen unüberschaubaren Konflikt mit Teheran und Moskau zu geraten. Allerdings wird nicht, wie Moskau moniert, gemeinsam geplant, die Amerikaner setzen nur auf Kommunikation, um Zusammenstöße zu vermeiden. Aber ohne Einigung über die geostrategischen Ziele und Interessen werden sich die Konflikte mit dem Zurückdrängen des IS häufen und direkter werden.
Nach der NYT gab es bereits Verhandlungen darüber, die noch vom IS kontrollierten Gebiete am Euphrat zwischen den SDF und den syrischen Regierungstruppen aufzuteilen. Aber man kam noch zu keinem Ergebnis. Die Frage ist auch, wie weit die USA die SDF und Russland die syrischen Truppen und schiitischen Milizen kontrollieren kann. Die Kommunikation zwischen den russischen und amerikanischen Militärs konnte offenbar nicht verhindern, dass die Hisbollah und Damaskus den IS abziehen ließen - wie dies auch die SDF machten, aber auch die Türkei.
Dass auch dann, wenn der IS die Kontrolle über Territorien verloren hat, die Gewalt ein Ende findet, ist vorerst nicht zu hoffen. So finden in den "befreiten" Gebieten im Irak täglich in den Gebieten mit einer sunnitischen Bevölkerungsmehrheit Überfälle, Anschläge und Schießereien statt und werden Menschen getötet.