Vor einem Cyberwar? USA legen "Cyberminen" im russischen Stromnetz
Die New York Times macht sich zum Lautsprecher politischer Interessen. Soll Russland abgeschreckt werden, sich in einen militärischen Konflikt mit dem Iran einzumischen?
Im Fall des Konflikts mit dem Iran scheinen die USA zusammen mit Großbritannien und Saudi-Arabien dem erfolgreichen Narrativ zu folgen, das im Skripal-Fall und beim angeblichen Giftgasangriff in Duma eingesetzt wurde (Trump zu Tankern im Golf von Oman: "Der Iran hat es getan"). Ohne Beweise prescht man voran und benennt einen Schuldigen nach der Logik, es könne schließlich keinen anderen geben. Es soll ein "internationaler Konsens" hergestellt werden, erklärte US-Verteidigungsminister Patrick Shanahan.
In dem Fall ist die Strategie noch heikler, es wird nicht nur Russland als böse Macht dämonisiert oder legitimiert, syrische Ziele zu bombardieren, es drängt sich der Verdacht auf, dass ein Kriegsgrund aufgebaut werden soll. Viele Kriege beginnen bekanntlich mit einer Lüge.
Gleichzeitig berichtet die New York Times, dass die USA ihre Cyberangriffe auf das russische Stromnetz verstärkt hätten. Es sind mal wieder anonym bleibende Quellen aus der Trump-Regierung und früheren Regierungen, die der Zeitung das zugesteckt haben sollen. Man darf vermuten, dass es dahinter einen Zweck gibt, das jetzt während der zunehmenden Konfrontation mit dem Iran zu machen.
Als Grund nannten die Informanten, dass damit Putin gewarnt werden soll, zudem sollten damit die neuen, von Trump genehmigten Befugnisse für Militär und Geheimdienste, Cyberwaffen einzusetzen, demonstriert werden (US-Cyberstrategie: Drohung mit Vorwärtsverteidigung und Präventivschlägen). Das offensive Vorgehen habe, was kaum wahrgenommen worden sei, auch der Kongress letztes Jahr im Budgetgesetz gebilligt, das "heimliche militärische Aktivität" im Cyberspace erlaubt, um "Angriffe oder bösartige Cyberaktivitäten gegen die USA abzuschrecken und die USA davor zu schützen und zu verteidigen". Das kann nach dem Gesetz auch der Verteidigungsminister ohne Rücksprache mit dem Präsidenten anordnen.
Auf die erweiterten Befugnisse oder den Willen zum Angriff bereits US-Sicherheitsberater John Bolton vor ein paar Tagen hingewiesen und mit Cyberangriffen gedroht. Man sei zu lange zu passiv gewesen, sagte er. Angreifer würden nun "einen Preis" zahlen müssen. Schon Ende 2018 war von einem geplanten Cyberangriff auf Russland die Rede gewesen, wenn Moskau sich in die Midterm-Wahlen einmischen sollte.
Stromnetz ist die Achillessehne moderner Gesellschaften
Angeblich habe die NYT in den letzten drei Monaten Gespräche geführt und dabei erfahren, dass Geheimdienste und das Cyberkommando angeblich in Reaktion auf die von Moskau ausgegangenen Desinformations- und Hackingkampagnen während des Wahlkampfs 2018 Schadprogramme', also eine Art von Minen, in das russische Stromnetz und andere Ziele eingebracht hätten. Das hätten die Russen zuvor auch, um Kraftwerke, Pipelines oder die Wasserversorgung in künftigen Konflikten sabotieren zu können. Dass dies die amerikanischen Geheimdienste schon lange zuvor gemacht haben, weiß man allerdings spätestens seit den Snowden-Leaks.
Seit 2012 hätten die USA Spionagetools in die Steuersysteme des russischen Stromnetzes implantiert. Die Aktivitäten wird man auf russischer Seite auch bemerkt haben. Man muss davon ausgehen, dass hier natürlich ein Wettrüsten stattfinden, um im Fall eines Cyberangriffs oder eines Cyberwar in der Lage zu sein, dem Gegner die Achillessehne zu durchtrennen. Das ist in digitalen Gesellschaften die Stromversorgung. Jetzt habe die amerikanische Strategie auf offensiv umgeschaltet, wie dies bislang noch nie geschehen sei.
Was wollen nun also die amerikanischen Geheimdienste oder das Cyberkommando mitteilen? Vielleicht auch, dass sie offensiv gegen Russland vorgehen, unabhängig davon, ob dies Trump unterstützt oder nicht? Soll Russland gewarnt werden, sich bei einem möglichen Konflikt der USA mit dem Iran herauszuhalten, um einen Cyberwar und möglichen großen Schaden für das Land zu vermeiden?
Möglicherweise geben die Geheimdienste und das Cyberkommando auch nur vor, in der Lage zu sein, das russische Stromnetz lahmlegen zu können. Das gehört mit zum Geschäft, zumal beim Cyberwar, da, abgesehen von einzelnen Angriffen wie mit Stuxnet auf die iranischen Zentrifugen oder Ende 2015 durch teilweise Lahmlegung des ukrainischen Stromnetzes für einige Stunden, keine Seite weiß, über welche Kapazitäten und Cyberwaffen der Gegner verfügt und welche Folgen ein Angriff haben würde.
Die NYT als Gehilfe der Machtpolitik
Die NYT legt ausführlich dar, dass angeblich die amerikanische Seite nur auf die russischen Abgriffe reagiert habe. Immer wieder betont, dass Barack Obama versuchte hatte, die USA zurückzuhalten. Erst nach den Vorfällen im Präsidentschaftswahlkampf 2016 habe Obama eingesehen, zu passiv gewesen zu sein, und heimlich angeordnet, irgendwelche Botschaften ins russische Stromnetz zu schicken. Offensichtlich soll damit belegt werden, dass schon unter Obama mit offensiveren Aktivitäten begonnen wurde, die nun unter Trump schärfer fortgesetzt werden. Unklar bleibt dabei, welche Rolle die Präsidenten dabei überhaupt spielen oder ob Militär und Geheimdienste als "tiefer Staat" ihren Ansatz gegen das Weiße Haus durchdrücken können.
Update: Präsident Donald Trump sieht die von der NYT behaupteten Angriffe auf Russland nicht nur als schädlich für seine politischen Interessen an, er streitet sie auch ab. Man kann davon ausgehen, dass er weiterhin einen Dialog mit Putin sucht, aber dass große Teile des Sicherheitsapparats und des Kongresses, aber auch der Medien dies vereiteln möchten. Trump jedenfalls gab in der Nacht seinen Unmut auf Twitter Ausdruck:
"Glaubt Ihr, dass die scheiternde New York Times gerade eine Story brachte, nach der die USA wesentlich die Cyberangriffe auf Russland verstärken. Das ist ein virtueller Verrat durch eine einst große Zeitung, die so verzweifelt auf eine Story, auf jede Story ist, auch wenn sie für unser Land schlecht ... UND AUCH NICHT WAHR ist! Bei unseren korrupten Medien geht heute alles. Sie werden alles machen oder sagen, was notwendig ist, ohne den geringsten Gedanken an die Konsequenzen! Sie sind wirkliche Feiglinge und zweifellos DER FEIND DES VOLKES!"
Trump zieht so wieder gegen die NYT als Teil der Medien zu Felde, die ihn kritisch verfolgen. So werfen sich in dem bekannten Spiel beide gegeneinander vor, nicht die Wahrheit zu sagen. Trump bleibt allerdings in diesem Fall zweideutig. Wenn die Story nicht wahr wäre, könnte man auch nicht von einem Verrat sprechen. Allerdings könnte sie eben seine politischen Absichten erschweren.
In Russland scheint man der Lesart folgen zu wollen, dass Trump den Bericht bestreitet. So titelt etwa Tass: "Trump denies New York Times’ report on more frequent US cyber-attacks against Russia".
Moskau hat auf den Artikel noch nicht direkt reagiert. Medien haben darüber natürlich berichtet. Die USA bzw. Teile des Machtapparats scheinen eine Machtprobe provozieren zu wollen. Das wird nicht nur in Russland eine weitere Aufrüstungsspirale in Gang setzen, zumal die USA auf Versuche, Abkommen zur Begrenzung von Cyberwaffen - oder Atomwaffen oder die Militarisierung des Weltraums - nicht eingehen. Die Drohungen gegen Russland könnten aber auch direkt mit Angriffsplänen auf den Iran zu tun haben. In Washington könnte man fürchten, dass Russland zwar nicht konventionell militärisch antworten wird, aber mit Cyberangriffen, weswegen schon einmal die Abschreckung hochgefahren wird.
Die Rolle der Medien, die für politische Interessen instrumentalisiert werden, wird von der NYT nicht einmal erwähnt, geschweige denn hinterfragt, was sie wieder einmal zum Lautsprecher politischer Interessen macht, aber nicht zu einem kritischen Medium. Die Vernetzung der US-Mainstreammedien mit dem militärisch-industriellen Komplex, der auf Konflikt setzt, wird damit erneut bestätigt.
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