Vorratsdatenspeicherung: Regierung gibt in Karlsruhe schlechtes Bild ab
Bundesverfassungsgericht verhandelt Beschwerde von 34.000 Bürgern
Ob Handytelefonate, E-Mails oder Internet-Surfen: Seit Januar vergangenen Jahres speichern Provider nach der gesetzlichen Vorgabe der Bundesregierung täglich Milliarden von Kommunikationsdaten. Angeblich, um damit den Kampf gegen den Terror zu verbessern. Rund 34.000 Bundesbürger sind da anderer Meinung und legten Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Gestern hatte der 1. Senat des Gerichts zur mündlichen Verhandlung geladen.
Die Bundesregierung hatte groß auffahren lassen. BKA-Chef Zierke, Staatssekretärin Birgit Grundmann im Bundesjustizministerium und zahlreiche Rechtsexperten nahmen um zehn Uhr Platz im Bundesverfassungsgericht. Allein Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger fehlte. Sie saß heute gewissermaßen zwischen allen Stühlen, denn als sie noch Oppositionspolitikerin im Deutschen Bundestag war, hatte sie die Verfassungsbeschwerde mit unterschrieben.
Nun, als Mitglied der Bundesregierung, blieb sie lieber im fernen Berlin. Dazu Claudia Roth, Vorsitzende von Bündnis90/Die Grünen und eine der führenden Gegner der Vorratsdatenspeicherung in einer Pressekonferenz vor der Verhandlung:
Frau Leutheuser-Schnarrenberger hätte es gut zu Gesicht gestanden, eine Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung im Koalitionsvertrag zu verankern. Inzwischen wirkt sie unglaubwürdig.
Probleme mit der Glaubwürdigkeit hatten in der Verhandlung auch die Vertreter der Bundesregierung, die sich zunächst damit retten wollten, indem sie dem Bundesverfassungsgericht das Prüfungsrecht des Falls absprachen. Begründung: Schließlich ginge es bei der Vorratsdatenspeicherung nicht um den Wegfall von Grundrechten. Zudem gebe es über die prophylaktische Speicherung der Daten Konsens innerhalb der EU. Antwort von Burkhard Hirsch (FDP), der zusammen mit dem ehemaligen Bundesinnenminister und Datenspeicher-Gegner Gerhart Baum nach Karlsruhe gekommen war:
Eine völlig unverständliche Einlassung. Es gibt EU-weit starke politische Zweifel an dieser Regelung.
Auch in Sachfragen gaben die Befürworter ein schwaches Bild ab. Auf die Frage des Vorsitzenden, wo denn die Grenze der Datenspeicherung liege, hieß die Antwort: „Bei der Begrenzung von sechs Monaten.“
Beschwerdevertreter Professor Andreas Pfitzmann, Leiter der Datenschutz- und Sicherheitsgruppe an der Technischen Universität Dresden, hingegen wurde konkreter. Er bezeichnete die Vorratsdatenspeicherung als eine „weitere große Sicherheitslücke“. Constanze Kurz vom Chaos-Computer-Club (CCC) stellte schließlich dar, dass bereits aktuell nahezu sämtliche Daten der Bürger gespeichert würden – auf einem wenige Millimeter großen Chip, der mühelos die persönlichen Daten eines Menschen für sechs Monate aufnehmen könne.
Ein Urteil zu der 34.000fachen Beschwerde (AZ 1 BvR 256/08) wird für das kommende Frühjahr erwartet. Übrigens: Der Verfassungsgerichtshof Rumäniens (Curtea Constitutionala a Romaniei) hat das rumänische Gesetz zur sechsmonatigen Vorratsspeicherung aller Verbindungs-, Standort- und Internetzugangsdaten am 8. Oktober 2009 als verfassungswidrig verworfen. Ebenso ist dies in Bulgarien geschehen (Bulgarisches Gericht verbietet Vorratsdatenspeicherung).