Vorsorgetest für Demenzrisiko

Prävention durch Angstmache: In Großbritannien sollen die Menschen mit einem Test zu einer gesunden Lebensführung angehalten werden

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Wir leben im Zeitalter der Prävention, also in der Zukunft und daher möglicherweise immer weniger in der Gegenwart, in der das Bestreben darauf ausgerichtet ist, nicht den Augenblick zu nutzen, sondern das künftig vielleicht mögliche Risiko zu vermeiden. Besonders ausgeprägt ist die Prävention militärisch und sicherheitspolitisch, aber auch im Bereich der Gesundheit, wo das Gesundheitssystem paternalistisch immer stärker darauf ausgerichtet wird. In Großbritannien steht nun die Demenzprävention auf dem Plan.

Nach der Krebsvorsorge soll nach Public Health England (PHE) die Demenzvorsorge kommen. Menschen im mittleren Alter sollen von den Ärzten, so berichtet der Telegraph, einem Test unterzogen werden, anhand dessen sie erfahren sollen, wie alt ihr Gehirn im Verhältnis zu ihrem biologischen Alter ist - und dies mit den Gehirnen von Menschen vergleichen, die gesünder leben. Das soll nicht nur die Menschen ab 40 Jahren vor dem Risiko einer künftigen Demenz warnen, sondern sie zu einer gesünderen Lebensführung anhalten. Man will also einen Alarm auslösen und einen Schubs geben.

Wer 40 ist und das Gehirn eines 50-Jährigen hat, soll ein höheres Risiko haben, an Demenz zu erkranken. Berücksichtigt werden Blutdruck, Gewicht, körperliche Bewegung, Cholesterin oder Alkoholkonsum. Wie groß das Demenzrisiko allerdings ist, bleibt bei dieser Angstkampagne für die Gesundheit im Dunklen. Zudem hängt viel davon ab, was die Patienten über ihren Lebensstil angeben.

Der mit dem Computer ausgewertete Test soll in den nächsten Monaten getestet und dann landesweit eingeführt werden. Charles Alessi, bei PHE für Demenz zuständig, hofft mit dem personalisierten Test, die Angst der Menschen vor Demenz nutzen zu können, damit Menschen ihr Verhalten ändern. Schlecht ist, was die Menschen wohl auch selbst wissen: Rauchen, Trinken, schlechte Ernährung, geringe körperliche Aktivität. Jetzt aber sollen sie nicht nur wissen, dass ihre Genüsse oder Faulheiten irgendwie gesundheitliche Konsequenzen haben, letztere werden auch nach ihren Angaben quantifiziert, so dass sie "wissen" wie alt ihr Gehirn ist bzw. wie schnell es altert. Wissenschaftlich dürfte das, wie immer auch "personalisiert", auf wackeligen Füßen stehen. Aber das dürfte egal sein, es geht ja um eine moralische Aufgabe, nämlich die allmähliche Verbesserung der Gesundheit durch selbstverantwortliches Handeln.

Alessi, 60 Jahre alt, erklärt, dass er mit einem wirklich ungesunden Lebensstil gut ein 96 Jahre altes Gehirn haben könnte. Hat er natürlich nicht, weil er ja an die Zukunft denkt und vorsorgt. Wäre nur die Frage, ob man sein Gehirn relativ zum Alter auch verjüngen kann. Wie würde es wohl sein, wenn ein 60-Jähriger das Gehirn eines 20-Jährigen hätte? Scherz beiseite, Prävention kann schnell zum Druck ausarten. Wer ein älteres Gehirn hat, als ihm biologisch angeblich zusteht, ist ein Risikopatient nicht nur für Demenz, sondern auch für Diabetes, Herzerkrankungen, Adipositas oder was auch immer. Man könnte schließlich auch die Krankenkassenbeiträge erhöhen, wer sein Verhalten nicht ändert, oder Behandlungen auf Krankenkassenkosten verweigern. Allerdings könnte man sich ja auch überlegen, ob man den Genussmenschen oder den ungesund lebenden Menschen nicht eine Prämie auszahlt, da sie schließlich früher sterben und damit die Sozial- und Gesundheitssysteme weniger belasten als die Präventionsfanatiker.