WM in Doha: Ende der Hitzeschlacht
"An Bestzeiten war nie zu denken" - Kritik wird lauter
In Doha ist die Leichtahtletik-Weltmeisterschaft zu Ende gegangen. Irgendwie wollte keine rechte Stimmung aufkommen bei dem Spektakel in Katar, einem der reichsten Länder der Erde. Kollabierte Sportler/Innen, leere Ränge in der Hauptstadtarena, mühsam ausgeblendete Zustände auf den Baustellen ringsherum, und allüberall spürbar: Das absolute Missverhältnis zwischen einer schwerreichen High Snobiety und mehr als zwei Millionen Unterprivilegierten. Von den statistisch erfassten 2,7 Millionen Einwohnern Katars sind rund 2,3 Millionen Arbeitsmigranten aus Asien und arabischen Ländern.
"Wer will schon Spiele in Saudi-Arabien sehen?" wird der Geschäftsmann und Analyst Tilman Engel gern zitiert, der als Sport-Berater mit den Verhältnissen am Golf bestens vertraut ist. Anstelle von Saudi-Arabien nun Katar: Das Emirat habe diese Leichtathletik-WM im Vorfeld international kaum vermarktet, sagt Engel, und vergleicht die prekäre Lage mit der Handball-WM. Entsprechend habe er von Anfang an nicht damit gerechnet, dass viele Fans aus anderen Ländern anreisen würden. Stattdessen sollte jedermann mit Aufmerksamkeit beobachten, ob Katar während der Wettbewerbe das Khalifa Stadion füllen könne?
Finale ohne Gäste
Katar konnte nicht. Zum Beispiel das Finale über 200m der Herren, es dürfte als "Finale ohne Gäste" in die Sportgeschichte eingehen. Der 200m-Sprintsieger Noah Lyles (USA) lief seine Ehrenrunde in Doha am fünften Tag der Leichtathletik-Weltmeisterschaft vor weitgehend leeren Rängen - die ohnehin wenigen Fans waren schon weg. Macht aber nix, war lakonisch verkürzt sein überraschender Kommentar, wichtig sei doch nur, per Social Media im Gespräch zu sein: "Und das sind wir! Es ist egal, ob die WM in Doha oder sonst wo stattfindet.'"
Egal scheint es auch den Funktionären zu sein, etwa Sebastian Coe vom Weltverband IAAF, der zum Abschluss die Veranstaltung in höchsten Tönen lobt und Probleme einfach weglächelt.
Egal schien es auch den Scheichs zu sein, den katarischen Adligen und Amtsträgern, die, wie mehrere Presseorgane vorige Woche genüsslich hervorhoben, dem Ganzen auf klimatisierten Sitzen wie Gladiatorenkämpfen folgten. Klar, der Sport dient auch politischen Zwecken, und hier ganz besonders: Die Regionalmacht Saudi-Arabien soll hinter den Kulissen daran gearbeitet haben, Katar die Weltmeisterschaft zu entziehen - jedoch erfolglos.
Athleten als Versuchstiere
Nicht egal allerdings ist die einem weltweiten TV-Publikum offenbar gewordene Schieflage den angereisten Sportlern und Sportlerinnen selbst. "Geher, die wie Untote durch die glühende Nacht taumeln. Marathonläuferinnen, die am Ende ihrer Kräfte in Rollstühlen kauern", diese Bilder prägen sich ein. "Da draußen haben sie uns in einen Backofen geschoben. Sie haben aus uns Meerschweinchen gemacht, Versuchstiere", beklagte sich der französische Geher Yohann Diniz.
In der SWR-Runde "Talk am See" am Samstagabend äußerte der deutsche Geher über 50km Carl Dohmann offene Kritik an der Vergabe der WM 2019 nach Katar. Besonders hob Dohmann die Unsicherheiten bei den Vorbereitungen auf die Läufe hervor. Thema war auch die "Eismütze", eine Vorkehrung, die den Langstreckenathleten eigentlich dabei helfen sollte, die extreme Hitze besser zu ertragen. Beim Duschen nach dem Wettkampf habe er Schmerzen im Nacken verspürt ("wie von einer Brandwunde"). Darauf habe sich herausgestellt, dass die Eisstücke, die sich in einer Lasche im Nacken befinden, den Gefrierbrand verursacht hätten. Teamkollege Nathanael Seiler bekam ab Kilometer 20 (von 50) Krämpfe, kämpfte noch bis fünf Kilometer vor dem Ziel, bevor er vom DLV-Ärzteteam aus dem Wettbewerb genommen wurde. "An Bestzeiten war nie zu denken." An die Hälfte der Teilnehmer der Disziplin ist frühzeitig ausgeschieden.
Hässliche Seiten des (schönen?) Spiels
Interessant war, was Dohmann über die Einstellung des Teams angesichts der Verhältnisse in Doha sagte. Man habe sich im Team ausgetauscht und schließlich darüber verständigt, den Wettkampf aufzunehmen - und die Kritik für später aufzuheben. Aus Dohmanns Äußerungen klang aber auch heraus, dass (schon bei der Vergabe der WM) ganz offensichtlich über die Köpfe der Athleten hinweg gedacht und entschieden wurde.
"Draußen" gehören unterdes die Malocher zu den hässlichen Seiten des "schönen Spiels", Arbeiter aus Indien, Bangladsch oder Sri Lanka, die zu zwölf oder vierzehn in einem Zimmer auf den Baustellen hausen, denen man die Pässe abgenommen hat, die vielleicht 250 Dollar im Monat verdienen. Während sie zu Zigtausenden schuften, vertreiben sich millionenschwere Katarer ihre Zeit in ihren klimatisierten Domizilen oder auf den beliebten Kamelrennen, wo sündhaft teure Luxuskarossen den Siegern winken. Die Athleten von Doha verlassen unterdes das Feld. Für sie war es nur ein Zwischenstopp in einem fremden Universum. Aber mit dem Ende der WM werden auch die Stimmen der Kritiker lauter.
Zum Ausklang des Welttreffens lieferte das Fernsehen Bilder von einer Armada von Bussen mit aus der Umgebung herbeigekarrten Migranten, die von ihren Herren zwangsverpflichtet wurden, das Stadion in der Schlussphase für die Kameras zu füllen. Nach einer vollen Schicht (in der üblichen Hitze auf dem Bau) durften die Ärmsten der Armen dem Staat so noch einen Treuedienst erweisen. Sie mussten, so ein Befragter im Interview, nach Schichtende noch bis 23:00 Uhr leere Zuschauerplätze besetzen. Der Gehorsam dieser absurden Geisterkulisse wurde penibel vom Sicherheitsdienst überwacht.