Wach auf Europa - und vor allem Deutschland
Global Leaders for Tomorrow schlagen einen neuen Kriterienkatalog für die Beurteilung der Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft vor
Auf dem Weltwirtschaftsforum 99 in Davos stellten 50 junge europäische Wirtschaftsführer aus der Organisation Global Leaders for Tomorrow (GLT), deren Mitglieder aus Wirtschaft, Regierung, Gesellschaft und Kultur bei der Aufnahme unter 42 Jahren alt sein müssen, ihre "Europa 2050 Initiative" vor. Darin riefen sie die europäischen Regierungen auf, sich ernsthaft um die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen, um die Jugendarbeitslosigkeit, die Verschlechterung der Ausbildungssysteme oder die mangelnde Möglichkeit, neue Firmen, die entscheidend für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und für das Wirtschaftswachstum seien, mit Startkapital auszustatten.
"Wir haben Zweifel an der Angemessenheit der gegenwärtigen europäischen sozio-ökonomischen Systeme", sagte Projektleiter Hubert Joly, "für die Art von ausgeglichenen, gesunden und wachsenden Gesellschaften zu sorgen, in denen wir leben wollen, wenn wir älter sind." Unter anderem wurde vorgeschlagen, "neue Definitionen für Wohlstand im 21. Jahrhundert" zu entwickeln, durch die "Erfolg" anders als bisher bewertet werde.
Zu diesem Zweck wurde die erste Version eines "European Future Readiness Index" mit 11 Indikatoren vorgestellt, um die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft zu beurteilen. Einen ähnlichen Index hatte bereits die britische Regierung im letzten Jahr vorgestellt, um sich von der fast ausschließlichen Fixierung auf die Höhe des Bruttosozialprodukts zu lösen und angemessenere Beurteilungskriterien für den Stand der Lebensqualität der Menschen zu finden. Indikatoren sind Einkommenshöhe, Ausstoß von Kohlendioxid, Arbeitslosigkeit von unter 25-Jährigen, Lebenserwartung, Gesundheitskosten als Prozentsatz des Bruttosozialprodukts, Menschen in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung und der Einfluß des organisierten Verbrechens auf die Wirtschaft. Für die Zukunftsfähigkeit legen vor allem der Zugang zum Internet, die Anzahl der abhängig arbeitenden Menschen und die Zahl der Studenten Zeugnis ab.
Der Vorschlag einer Liste neuen und breiteren Beurteilungskriterien für den Zustand einer Gesellschaft ist auf jeden Fall sinnvoll. Natürlich ließe sie sich durch weitere Indizien ergänzen, aber sie könnte zu einem anderen Wettbewerb zwischen den Staaten führen. Man forderte denn auch die Regierungen auf, eine solche Liste der EU-Kommission als Maßstab für Konvergenzkriterien vorzuschlagen, um damit die finanzpolitischen Ziele der Währungsunion zu ergänzen.
"Erfolgreiche Gesellschaften" wären dann nicht mehr diejenigen, die nur das höchste Bruttosozialprodukt haben, sondern diejenigen, die Reichtum zusammen mit Umweltschutz und haltbaren sozialen Sicherheitssystemen schaffen, die Kluft zwischen den Klassen reduzieren, die Einhaltung der Menschenrechte garantieren, für ausreichende Möglichkeiten der Ausbildung, der Arbeit und der Gesundheitsbetreuung sorgen, gesellschaftliche Konflikte abbauen und die Kriminalität reduzieren und für die Zukunft "durch die Qualität der Führung, Mobilität und Kompetenz ihrer Arbeitskräfte, Wohlfahrtssysteme und Vernetztheit" gerüstet sind.
Zur Demonstration wurden 15 europäische Länder sowie die USA, Kanada und Japan zum internationalen Vergleich mit den Kriterien bewertet. Deutschland kam dabei nicht gut weg und steht an 11. Stelle, Japan an 10., die USA an 7. und Großbritannien zusammen mit Kanada und Luxemburg an 6. Stelle. Angeführt wird die Liste von Dänemark, das vor allem im Hinblick auf Jugendarbeitslosigkeit, Kosten des Gesundheitssystems und geringe Kriminalität führend ist. An zweiter Stelle liegt Österreich und an dritter Irland, das ein stabiles Wirtschaftswachstum mit geringer Umweltverschmutzung, ein gutes Gesundheits- und Ausbildungssystem und gute Beschäftigungsraten vorzuweisen habe. Italien bildet wegen der hohen Arbeitslosenzahlen, der Bedeutung des organisierten Kriminalität, der geringen Verbreitung der neuen Technologien (850000 Internetnutzer bei einer Bevölkerung von 56 Millionen) und der geringen Studentenzahlen das Schlußlicht. Griechenland steht an 14. Stelle und glänzt mit der höchsten Lebenserwartung sowie den geringsten Kosten für das Gesundheitssystem.
Das "angelsächische Modell" würde mit dieser Bewertungsliste, wie Joly sagte, nicht sehr gut abschneiden. Zwar seien die USA erfolgreich im Hinblick auf wirtschaftliche Leistung, Beschäftigung, Verbreitung des Internet (55 Millionen bei einer Bevölkerung von 270 Millionen) und Ausbildung, aber nicht was den Umweltschutz, den Einfluß der Kriminalität auf die Wirtschaft und die Kosten des Gesundheitssystem anbelangt. Insgesamt stehen die nördlichen Länder im Allgemeinen besser da, auch wenn Deutschland nach Portugal kommt sowie Spanien und Belgien sich den 12. Platz teilen. Und die kleineren Länder haben einen Vorteil vor den größeren.