Waffenexporte in Kriegsgebiete: Deutschland an vorderster Front

Seite 2: Exportstopp "funktioniert nicht"

Für das deutsche Engagement in Kriegsgebieten bestehe "erheblicher Erklärungsbedarf", äußerte sich der Geschäftsführer von Facing Finance, Thomas Küchenmeister, gegenüber Telepolis. Der proklamierte Exportstopp, etwa im Falle des Jemen-Krieges, "funktioniert augenscheinlich nicht". Überrascht zeigte er sich von der Umtriebigkeit von Airbus und dessen Tochtergesellschaften. "Die gehören zu den Top-Lieferanten." Der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern liegt hinter dem russischen Staatsunternehmen Rostec und gemeinsam mit dem US-Konzern Raytheon auf Platz zwei derjenigen Unternehmen, die laut "ExitArms" im Untersuchungszeitraum die meisten Kriegsparteien ausstatteten.

Gemessen an der Zahl der Empfängerländer schafft es Deutschland mit 16 hinter Russland (21) und den USA (17) auf den dritten Rang. Kriegsgerät von insgesamt 41 deutschen Herstellern (26 Mutter- und 15 Tochterunternehmen) ging insbesondere nach Indonesien, Ägypten, Indien, Irak und die VAE. Oben auf der Liste stehen Airbus Defence and Space (zehn belieferte Kriegsparteien), MTU Friedrichshafen (acht) , Rheinmetall (sieben) und ThyssenKrupp (fünf).

Als zentralen Adressaten ihres Projekts – neben "Politik, Regulatoren, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft" – erachten die Macher die Finanzindustrie, der "erstmalig ein geeignetes Instrument" an die Hand gegeben werde, "um eine Divestmentstrategie zur Rüstungsindustrie sinnvoll zu formulieren oder zu schärfen".

Laut Niels Dubrow von Urgewald zeigt die Datenbank "zwar ›nur‹ die Spitze des Eisbergs, sie belegt aber empirisch, dass die Rüstungsindustrie offensichtlich keine Skrupel kennt und Kriegsparteien systematisch aufrüstet". Solange dies der Fall sei, sollten darin aufgeführte Unternehmen "von Finanzinstituten bei Krediten, Versicherungen, Investments und Underwriting-Mandaten ausgeschlossen werden".

Gesetzgeber in Deckung

Ob dieser Ansatz nicht naiv sei, wollte Telepolis von Facing-Finance-Chef Küchenmeister, wissen. "Natürlich werden wir das Business damit nicht auf links drehen. Aber es ist durchaus so, dass Akteure der Finanzwirtschaft schon heute bei uns Rat einholen, mit wem sie aus ethischen Gesichtspunkten besser keine Geschäfte machen sollten." Solange sich der Gesetzgeber wegducke, Waffenexporte in Krisengebiete zu unterbinden, "bleibt nur der Weg, die Banken dahin zu bringen, per Selbstverpflichtung verantwortungsvoll zu handeln", befand er.

Mit Sorge beobachten die beiden NGOs indes Tendenzen bei einzelnen Finanzinstituten, ihre einstige Zurückhaltung bei Rüstungsdeals aufzuweichen. Hintergründe seien der Ukraine-Krieg sowie die laufenden Beratungen innerhalb der Europäischen Union zur sogenannten Sozialen Taxonomie. Wie Urgewald-Sprecherin Stefanie Jellestad gegenüber Telepolis ausführte, versuchten Lobbysten die Fakten so zu verdrehen, dass die Branche als "sozial und nachhaltig" erscheine.

Erst kürzlich tönte etwa Christoph Atzpodien, Chef des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Sicherheit wäre die "Mutter aller Nachhaltigkeit", denn "ohne Sicherheit ist Nachhaltigkeit nicht zu erreichen". Das sei eine "höchst unschöne und gefährliche Diskussion", sagte Jellestad.

Zäsur durch Ukraine-Krieg

Auch Küchenmeister warnt vor einer Zäsur beim Umgang mit Rüstungsinvestments. Häufig stecke hinter den selbst auferlegten Beschränkungen ein "rein opportunistisches Verhalten", welches das in Wirklichkeit immer noch vorherrschende "Profit-vor-Moral-Denken" lediglich kaschiere und weiter: "Will eine sich zunehmend als nachhaltig darstellende Finanzindustrie nicht zur reinen ‚Greenwashing-Maschine‘ verkommen und jegliche Glaubwürdigkeit verlieren, darf sie die Rüstungsindustrie niemals als nachhaltig oder sozial klassifizieren."

Insbesondere dürfe der Ukraine-Krieg nicht zu einer Umdeutung dergestalt führen, dass das legitime Recht auf Selbstverteidigung und die Unterstützung dafür missbraucht werden, künftig Waffenlieferungen aller Art und an jeden Empfänger zu rechtfertigen, ergänzte Küchenmeister. Der Appell geht auch an die Bundesregierung, die gerade dabei ist, Deutschland mittels eines 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr zu einer "Führungsmacht" (SPD-Ko-Chef Lars Klingbeil) hochzurüsten. Merke: Wo es viel Geld zu verpulvern gibt, wird auch mehr geballert.