Wahlen im Iran: Wie gehabt

Die konservativen Prinzipientreuen, die Islamisten, die Reformer, die illegale Opposition, die stille Mehrheit und das achte Parlament der Islamischen Republik: eine Analyse

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Wie erwartet haben die Islamisten die Wahlen deutlich gewonnen, wenngleich bei Redaktionsschluss die Wahlergebnisse noch nicht amtlich bekanntgegeben worden sind. Der Vorsitzende des Informationsrates des Innenministerium, Mohammad Hussein Musavipour, gab bekannt, dass 74% der bisher in der ersten Runde Gewählten aus dem konservativen Lager stammen. Das sind etwa 190 von insgesamt 290 Abgeordneten. Die zweite Runde findet Ende April statt.

Damit bestätigt Hussein Musavipour seinen Chef, Innenminister Mostafa Pourmohammadi, der einen Tag nach den Wahlen von einem Gewinn von über 71% der Sitze für die Konservativen gesprochen hatte, was bezeichnend für die Islamische Republik ist. Eine erhebliche Schwankung hatte der Innenminister ausgeschlossen. Ein Innenminister, der kein Hehl daraus macht, dass er Innenminister der Konservativen ist und nicht der Islamischen Republik Iran.

Nach Pourmohammadi sollen 25 Millionen der etwa 43 Millionen Wahlberechtigten Iraner an den Wahlen teilgenommen haben. Diese hohe Wahlbeteiligung, etwa 60%, die deutlich mehr ist als die bei den letzten Parlamentswahlen (50%), kam unerwartet. Es sieht so aus, dass die regierungstreue „Front der Vereinigten Prinzipientreuen“ (Konservativen) der große Sieger der Wahlen ist. Der konservative Wächterrat, das für die Zulassung der Kandidaten zuständige Verfassungsorgan, hatte bereits im Vorfeld der Wahlen über 90% der Reformkandidaten ausgesiebt. Bis auf die Hauptstadt Teheran sollen alle Wahlen in den Provinzen bereits entschieden sein. Auch in Teheran sieht es nach einem deutlichen Vorsprung der Konservativen aus.

Unregelmäßigkeiten und Ungereimtheiten

Das Innenministerium lässt sich Zeit, anscheinend um nach nicht unberechtigten Einwänden der Reformer „Überraschungen“ zu verhindern. Die Reformer haben sich angesichts ihres Abschneidens bei den Wahlen und gemessen an der Verhinderung vieler ihrer Kandidaturen durch den Wächterrat für den eigentlichen Sieger erklärt. Eine Behauptung, die aber keine reale Bedeutung hat. Die Reformer verzetteln sich hinsichtlich ihrer gewonnenen Sitze in Widersprüche, so dass man den Verkündungen des Innenministeriums als Wahlorganisator bzw. -manipulator mehr Glauben schenken kann. Die Reformer sprechen von etwa 60 „unabhängigen“ bzw. dem Reformlager „nahestehenden“ Kandidaten, die bislang direkt ein Mandat bekommen haben.

Führende Reformpolitiker sprechen von Betrug bei der Stimmenauszählung. Die Repräsentanten der Kandidaten bei der Auszählung sollen ausgeschlossen worden sein. In Groß-Teheran gehört bisher nur ein einziger Reformkandidat zu den ersten 30 Gewählten. In einigen Städten soll es zu Demonstrationen gegen den Ausgang der Wahlen gekommen sein.

Auch wenn die widersprüchlichen Meldungen der Reformer, die allesamt vom eigentlichen Sieg der Reformkandidaten bei diesen unfreien Wahlen sprechen, zutreffen sollten, so gibt es kaum Zweifel, dass das künftige Parlament zu mehr als 70% von konservativen Abgeordneten dominiert sein wird. Der Wächterrat hat mit dem Aussiebungsverfahren der prominenten Reformkandidaten dafür gesorgt, dass dem Reformlager keine andere Wahl blieb, als mit ihrer unbekannten zweiten bzw. dritten Garde oder mit einigen unabhängigen, den Reformern nahestehenden Kandidaten, anzutreten.

Das Rätsel und die Anatomie der hohen Wahlbeteiligung

Die offiziell verkündete Wahlbeteiligung von etwa 60% kam angesichts der extremen gesellschaftspolitischen Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierungsbilanz Ahmadinedschads unerwartet. Die Wahlbeteiligung liegt deutlich höher als bei den letzten Parlamentswahlen (51%). Die Reformer hatten auf die Unterstützung der „stillen Mehrheit“, die bei den vorangegangenen Parlaments- und Präsidentschaften der Wahlurne ferngeblieben waren, gesetzt.

Die hohe Wahlbeteiligung könnte sich einerseits aus der lückenlosen Mobilisierung der Konservativen und der aktiven Aufrufe der Reformer zur Teilnahme an den Wahlen ergeben haben. Die Reformer konnten Wähler mobilisieren, wie viel sie mochten; angesichts ihrer dünnen Personaldecke als Folge der Filtrierung durch den Wächterrat konnte nur wenigen ihrer Kandidaten der Weg zum Parlament gelingen.

Die Islamisten haben stets eine relativ konstante Stammwählerschaft. Die Revolutionswächter (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami) haben etwa 130 bis 150.000 Mann reguläres Personal. Die paramilitärische Miliz (Basidsch), die seit kurzem unter dem Kommando der Pasdaran steht, sollen nach offiziellen Angaben etwa 8 Millionen umfassen. Addiert man die Familienangehörigen dazu, handelt es sich um ein beträchtliches Wählerpotenzial, das immer an die Wahlurne geht, weil ihr Schicksal mit dem des Establishments eng verkoppelt ist. Es sind jene Personen, die dank der Islamischen Republik zu Privilegien gelangt sind, die sie sich zuvor nie hatten träumen können. Sie werden das Regime mit Klauen und Zähnen zu verteidigen bereit sein.

Das übrige Volk, die deutliche Mehrheit..

Das übrige Volk, die deutliche Mehrheit, teilt sich in das pragmatisch-reformistische und (noch) stille Lager. Unter diesen Konstellationen und wegen der Manipulationen des Regimes werden es die Reformer stets schwer haben, Wahlen zu gewinnen, wenn die Reformkandidaten massenweise von den Wahlen ausgeschlossen werden und wenn das den Konservativen nicht zuzuordnenden Kräftepotential passiv bleibt.

Letzteres war bei den Kommunalwahlen 2003, Parlamentswahlen 2004 und Präsidentschaftswahlen 2005 der Fall. Mahmoud Ahmadinedschad als Präsident ist ein Produkt einer nur 12%en Wahlbeteiligung bei den Bürgermeisterwahlen in Teheran von 2003. Das Bürgermeisteramt benutzte er als Sprungbrett zum Präsidentenpalast. Wegen der geringen Teilnahme an den Parlamentswahlen 2004 haben die Reformer die Mehrheit verloren. Bei den relativ freien Präsidentschaftswahlen 2005 haben sowohl die strategische Fehler der Reformer, die mit vier Kandidaten antraten und sich gegenseitig Stimmen wegnahmen, als auch die relativ geringe Wahlbeteiligung zum Scheitern der Reformer geführt.

Die von den zwei Amtszeiten des Reformers Khatami enttäuschten Iraner, die sehr viel auf seine Wahlversprechungen gesetzt hatten, ließen mit ihrer Passivität die Reformer allein. Die Iraner hatten vergessen, dass Politik zuweilen einem Fußballmatch ähnelt. Die Spieler müssen notfalls bis zum Elfmeterschießen auf dem Feld bleiben, sonst hat man verloren, auch wenn man zuvor geführt hat.

Die Reformer und das achte Parlament der Islamischen Republik

Im konservativ dominierten siebten Parlament hat die 30köpfige Reformerfraktion keinen Einfluss ausüben können. Die Fraktion war aufgrund der mangelnden Unterstützung der außerparlamentarischen Opposition sehr schwach. Sie hat im Endeffekt nicht einmal einen Antrag auf ein Misstrauensvotum zustande bekommen. So war das siebte Parlament für etliche Beobachter ein Parlament ohne Opposition.

Im achten Parlament werden zwar die Reformer zahlenmäßig stärker vertreten sein und es wird erwartet, dass sie nun energischer im Parlament auftreten, sie werden dennoch keinen nennenswerten Einfluss ausüben können. Sie haben die Wahlen bereits verloren und ihr Blick richtet sich nun auf die Präsidentschaftswahlen 2009, die mit Khatami, wenn er sich als Kandidat aufstellen lässt, sehr spannend sein dürfte. Denn einen Khatami wird der Wächterrat kaum ablehnen können.

Vom legalen und illegalen, aber geduldeten Oppositionslager haben lediglich das legale studentische „Büro zur Festigung der Einheit des Islamischen Iran“ (Daftar-e Tahkim-e Wahdat-e Iran-e Islami) und die Absolventenorganisation (Sazeman-e Daneschamukhtegan-e Iran-e Islami/Adwar-e Tahkim-e Wahdat) sowie auch die geduldeten liberal-religiösen Kräfte (Meli-Mazhabi) die Teilnahme an den Wahlen offiziell verweigert. Die Studenten und die Absolventen setzen die Priorität auf den Ausbau und Stärkung der Zivilgesellschaft und haben kein Interesse an der staatlichen Machtbeteiligung. Die Meli-Mazhabi-Kräfte spielen aufgrund der Repressalien keine gewichtige Rolle.

Die unterschiedlichen „Prinzipentreuen“: Riss im konservativen Lager

Diese „Spaltung“ in absolut regierungstreue und -kritische Fraktionen besteht erst seit Ahmadinedschads Präsidentschaft. Es sind hauptsächlich die Ahmadinedschad loyale „Front der Vereinigten Prinzipientreuen“ und die regierungskritische „Breite Koalition der Prinzipientreuen“. Das Parlament mit seiner konservativen Mehrheit wird zwar Ahmadinedschad seine Unterstützung nicht verweigern können, weil der Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei weiterhin hinter ihm steht, aber die konservativen Kritiker werden die Regierung aufmerksam beobachten.

Unter ihnen befinden sich prominente Persönlichkeiten wie Irans Ex-Chefunterhändler für nukleare Angelegenheiten und Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Ali Laridschani. Laridschani hat in seinem Wahlkreis in der heiligen schiitischen Stadt Qom Ahmadinedschads Kandidaten mit seinem haushohen Sieg gedemütigt. Die Reformer setzen jedoch falsche Hoffnung auf die kritischen Konservativen. Irans Außenpolitik wird sich kaum ändern.

Der Ausweg aus der Sackgasse

Die Zukunft der Islamischen Republik ist eng verbunden mit dem System der absoluten Herrschaft des Rechtsgelehrten (Velayat-e Faqih) und dessen Amtsinhaber, dem de facto über der Verfassung stehenden Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei. Mit ihm steht und fällt das System der allmächtigen klerikalen Herrschaft. Bei zunehmendem Druck auf die Opposition und die Bevölkerung werden allmählich neue Entwicklungen und Tendenzen, die viele entmutigte Experten und iranische Politiker übersehen, einsetzen. Die sukzessiv drückenderen Repressalien werden die Islamische Republik vor existenzbedrohende Herausforderungen stellen.

Die Kritik am System des Velayat-e Faqih und somit Ayatollah Ali Khamnei wird immer lauter. Dieses drei Jahrzehnte alte Tabu muss gebrochen werden. Noch halten sich viele Reformer zumindest in ihren offiziellen Äußerungen mit diesem Tabubruch zurück. Für einen Wandel im Iran ist ihre Rolle trotz ihrer Umstrittenheit eminent wichtig. Parallel dazu muss an der Stärkung der Zivilgesellschaft gearbeitet werden. Die oben genannten Studenten- und Absolventenorganisationen und auch die sehr aktive iranische Frauenbewegung sind maßgeblich entscheidend für die Entwicklung der iranischen Zivilgesellschaft.

Der Westen könnte dem Iran helfen. Diese Hilfe sollte sich vor allen Dingen an die iranische Zivilgesellschaft richten. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Anwältin und Bürgerrechtlerin Schirin Ebadi hat meine Landsmännin, die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur, als die beste Aktion des Westens für die iranische Zivilgesellschaft erklärt. Ebadi wurde dadurch zu einer weltbekannten Persönlichkeit und somit für die Machthaber in Teheran unantastbar. Davon profitieren auch ihre Klienten.