Wahlprognosen sind Zahlen-Prostitution
Ein Statistik-Professor sucht Streit mit Meinungsforschern
Das ARD-Magazin "Kontraste" versuchte sich kurz vor dem Wahlabend an einer Satire: Die Wahlumfragen seien allesamt manipuliert, um den Wähler zu beeinflussen. Die Interviewer stellen sich taub oder beantworten die Fragen am liebsten selbst. Reine Fiktion? Nicht, wenn man nach dem Wuppertaler Mathematik-Professor Fritz Ulmer geht.
Die Sonntagsfrage ist ein mächtiges Instrument. Eine ganze Branche fragt die Bürger jede Woche, welcher Partei sie wohl ihre Stimme geben würden. Aus diesen Daten werden dann Wahlprognosen erstellt, die - sobald sie einmal veröffentlicht sind - wiederum selbst Einfluss auf die Wähler haben. So tönte es Anfang September aus allen Medien, die SPD habe CDU überholt. Alles Quatsch, wenn man der Argumentation von Fritz Ulmer folgt:
"Prognosen und Trendaussagen sind Wählertäuschung, denn sie basieren nicht auf Resultaten zur Sonntagsfrage. Diese sind wegen Unzulänglichkeiten der Erhebungen unbrauchbar. Das wird vertuscht."
Um seine Erkenntnisse unter das Volk zu bringen, hat sie auf eine Webseite gestellt und mit dem passenden Domainnamen versehen: www.wahlprognosen-info.de.
Lotteriefehler in der Zahlenwäsche
Kernpunkt der Kritik: Die Anzahl der Befragten reicht dem Mathematiker nicht aus. Für jede Umfrage werden zwischen 300 und 2.000 Wahlberechtigte zufällig ermittelt und befragt. Bei der nächsten Umfrage wird wieder ausgelost, ganz andere Bürger werden nach ihrer politischen Meinung befragt. Die Gefahr ist groß, dass bei einer Umfrage überdurchschnittlich viele CDU-Mitglieder erwischt werden und bei der nächsten sind die PDS-Wähler telefonisch zu erreichen. Dieses Risiko nennt man "Lotterieschaden", bei 1.250 Befragten kann es bei großen Parteien bis zu 6 Prozent, bei kleinen Parteien immerhin 3 Prozent ausmachen. Kleine Schwankungen von einem oder einem halben Prozent seien so kaum zu ermitteln, da sie von den riesigen Messfehlern erschlagen würden.
"Infratest-dimap behauptet also nicht, dass die Union auf 39,5% kommt, sondern nur, dass sie wahrscheinlich zwischen 37,3% und 41,7% liegt (39,5% plus oder minus 2.2%). Ebenso wird nicht gesagt, dass die SPD auf 38% kommt, sondern nur, dass sie wahrscheinlich zwischen 35,8% und 40,2% liegt (38 plus oder minus 2,2%)."
Da die Umfrageinstitute ebenso von diesen Lotterieschäden wissen, korrigieren sie diese auf Basis der bisher ermittelten Ergebnisse. Nach Diktion von Ulmer werden sie geschönt. So soll Meinungsforschungs-Ikone Elisabeth Noelle-Neumann vor Jahren angegeben haben, dass die Ergebnisse der Umfragen manchmal 10 bis 11 Prozent von der veröffentlichten Prognose abweichen. Auf welche Weise das jeweils geschieht, ist das Geheimnis der Meinungsforscher. Von dieser Zahlenbereinigung hält Ulmer nichts, er vergleicht sie mit Stammtischschätzungen.
"Linke und Rechte fälschen gleich"
Politisch motiviert seien die geschönten Statistiken jedoch nicht. "Die 'Linken' und die 'Rechten' fälschen auf die gleiche Weise", schreibt Ulmer. Die Meinungsforscher müssten versuchen, aus dem unbrauchbaren Material der Umfragen richtig aussehende Ergebnisse zu produzieren. So ist auch kein Wunder, warum sich das Allensbach-Institut mit seinen Umfragen bisher weitab von den anderen Instituten befand, vor zwei Wochen jedoch mit seinen Prognosen plötzlich im Trend der Konkurrenz lag.
Am Sonntag kann die Demoskopie beweisen, wie exakt ihre Prognosen sind. Und wenn sie stark daneben lagen, kann es an den untauglichen Erhebungsmethoden der Meinungsforscher gelegen haben. Oder am Wetter.