Wahrnehmungs-Management durch Spekulations-Stimulation
Keine Leiche, keine Fotos, kein Problem, aber neue Videos - die Verschwörungstheoretiker werden's schon richten
Die Informationspolitik des Weißen Hauses in Sachen Osama Bin Laden ist diffus. Nach der triumphalen Verkündigung durch Präsident Obama, den meistgesuchten Terroristen der Welt zur Strecke gebracht zu haben, wurde von offizieller Seite eine Reihe von Behauptungen vorgebracht, die später widerrufen wurden. Von Feuergefechten auf dem Anwesen war die Rede, von einem sich hinter seiner Frau versteckenden Bin Laden, sowie von Fotos und Videos einer Helmkamera, die zu gegebener Zeit veröffentlicht werden sollten.
Dass es solche Live-Bilder gibt, suggerierte das um die Welt gehende Foto des Situation Room, auf dem Obama samt Krisenstab und einer erschrocken dreinblickenden Hillary Clinton die Operation angeblich live verfolgen (Im Nebel des Antiterrorkampfes). Zwei Tage später indessen verlautbart CIA-Chef Leon Panetta, dass die Helmkamera 20-25 Minuten lang ausgefallen sei und der entscheidende Teil der Operation gar nicht übertragen wurde. Hillary Clinton begründete ihre Hand vor den Mund mit ihrer typischen Frühjahrs-Allergie.
Außerdem heißt es nun, dass die Hausbewohner unbewaffnet gewesen seien und der Terrorscheich sich nicht hinter seiner Frau versteckt hätte; der Unterschlupf, anfangs als hochgesicherte "Villa" beschrieben, stellte sich als simples dreistöckiges Haus ohne Klimaanlage und Telefonanschluss heraus.
Da die Leiche Bin Ladens unmittelbar auf See entsorgt wurde, könnten nur noch die Bilder der Exekution näheren Aufschluss über die Identität des Opfers geben. Die Bilder werden zwar weiter permanent erwähnt, ihre Veröffentlichung hat die US-Regierung jetzt aber wieder ausgeschlossen. Angeblich, um die arabische Welt nicht zu Racheakten zu provozieren. Gleichzeitig hat Reuters eine Reihe von Bildern veröffentlicht, die ein pakistanischer Polizist am Tatort aufgenommen haben soll und die unter anderem die Leiche eines jungen Mannes zeigen, der wie der junge Bin Laden aussieht und somit einer seiner Söhne sein könnte. Sicher ist nach diesen Bildern freilich nur, dass es sich bei dem Überfall des SEAL-Kommandos um ein ziemlich blutiges Gemetzel gehandelt hat, von dem Terrorgespenst selbst aber fehlt weiter jede Spur.
Man könnte diese konfuse Informationspolitik als Versuch deuten, einen fehlerhaft verlaufenen Einsatz zu vertuschen, der in einem Blutbad endete und bei dem wegen eines defekten Hubschraubers einige Zeugen und Leichen zurückgelassen werden mussten. Dass die Elitesoldaten bei der Festnahme eines unbewaffneten älteren Mannes und seiner Familie ein solches Schlachtfeld hinterlassen, scheint dafür zu sprechen, dass bei der Operation nach der Methode "Shoot first, ask later" vorgegangen wurde und etwas anderes als eine Hinrichtung nie geplant war. Diese wäre freilich auch mit einer ferngesteuerten Rakete zu haben gewesen, wenn auch längst nicht so spektakulär, mit heldenhaften Elitesoldaten und einer gebannt zuschauenden Regierungsmannschaft.
Schon überschlagen sich die Hollywood-Produzenten mit Ideen zur Verfilmung des Events – bei der dann die Helmkameras garantiert funktionieren! –, und Obama hat mit dem Popularitätsgewinn als erfolgreicher Jäger des Topterroristen das Ticket für seine Wiederwahl gelöst. Der Skalp indessen, der Beweis, dass Osama Bin Laden bei der (geschmackloser Weise nach dem letzten widerständigen Apachen-Häuptling benannten ) "Operation Geronomio" tatsächlich ums Leben kam, liegt noch nicht vor – und das Flip-Flop im offiziellen Narrativ seiner Ergreifung, Hinrichtung und Beseitigung deutet an, dass die ganzen Unklarheiten Methode haben könnten.
Erzeugung von Informationsnebel
Die Konfusion und Widersprüchlichkeit der Informationspolitik wären dann der Versuch eines Anheizens der Gerüchteküchen und der Provokation von Verschwörungstheorien. Auf dass die substanziellen Fakten – der Bruch rechtsstaatlicher, völkerrechtlicher und moralischer Normen durch solche Mordkommandos, die fehlenden Belege für die Identität und die Schuld der Hingerichteten und somit die Fragwürdigkeit der gesamten Operation - in einem spekulativen Nebel völlig aus dem Blick geraten. Und jede Kritik an diesem Zustand mit dem Stigma "Verschwörungstheorie" schnell vom Tisch gewischt werden kann. Wenn Dutzende dubioser "Osama Bin Elvis"-Legenden blühen, wird es völlig unerheblich, dass es sich bei der mit präsidialer Autorität verkündeten "Wahrheit" ebenfalls um eine dubiose Legende handelt.
Dass es seit Dezember 2001 kein authentisches Lebenszeichen des Dialyse-Patienten Bin Laden mehr gab; dass er zuvor jede Beteiligung an den 9/11-Anschlägen kategorisch abgestritten hat, dass selbst das FBI keine Beweise für seine Täterschaft vorlegen kann; dass USA und NATO noch Ende der 90er mit Bin Ladens Söldnertruppe zusammenarbeitete und die "heiligen Krieger" in Bosnien und Kosovo einsetzte; dass der pakistanische Geheimdienst ISI im Auftrag der CIA Installation und Handling der "Taliban" in Afghanistan übernommen hatte und auch die saudischen Mudschaheddin Bin Ladens führte; dass der damalige ISI-Chef General Mahmoud am Morgen des 11.9.2001 in Washington zum Frühstück mit dem späteren CIA-Boss Porter Goss zusammensaß; dass der ISI-Agent Omar Said Sheik, der 100.000 $ an Mohamed Atta überwiesen haben soll, den US-Journalisten Daniel Pearl ermordete, der diesem Doppelspiel auf die Spur zu kommen drohte; dass es somit keine Überraschung ist, wenn man Osama Bin Laden, als verdientem Agenten und nützlichem Terrorgespenst eine ruhige Residenz neben der Militärakademie genehmigt…. alles dies bleibt in dem mit widersprüchlichen Statements und Pseudo-Debatten gefütterten Medien-Event außen vor. Es scheint, dass Brainwashington eine neue Spielart entdeckt hat: Wahrnehmungs-Management durch Spekulations-Stimulation. Keine Leiche, keine Fotos, kein Problem - die Verschwörungstheoretiker werden es schon richten.
Der Terrorfürst vor der kleinen Glotze
Die Demonstrationen von radikalen Anhängern Bin Ladens in verschiedenen Ländern werden zwar allenthalben als indirekter Beweis für die Richtigkeit der US-Angaben gewertet – doch auch "al-Qaida" oder wer immer dafür ausgegeben wird, weiß nicht mehr als der gemeine TV-Zuschauer. Dem wurde am Samstag vom US-Verteidigungsministerium ein weiterer spekulativer Info-Happen vorgelegt: Videos, die in seinem Haus gefunden worden sein sollen.
Sie zeigen einen älteren Mann mit Strickmütze, der in einem recht verwahrlosten Zimmer sitzt und sich durch die Satellitenkanäle mit Bin-Laden-Aufzeichnungen zappt. Ob die Aufnahmen in seinem Unterschlupf gemacht wurden und von wann die Videos stammen, ist unklar. Da auf fast allen Kanälen, die der graubärtige Mann anklickt, Bin Laden läuft, müsste es sich um einen 9/11-Jahrestag handeln. Auf den anderen Videos setzt er sich mit gefärbtem Bart und im Festtagsgewand für eine Aufzeichnung in Pose, da die Videos ohne Ton veröffentlicht wurden, weiß man nicht, was gesagt wird, es soll sich um die Probe zu einer Ansprache ans amerikanische Volk halten.
In Anbetracht des ärmlichen Ambientes, in dem der "Terrorfürst" vor der kleinen Glotze hockt und Bilder aus besseren Tagen anschaut, scheint es ziemlich übertrieben, wenn in den Berichten zu den Videos sein Haus in Abbottabad jetzt als "Kommandozentrale” von Al Qaida beschrieben wird. Osama allein zu Haus trifft es besser – und könnte auch eine Antwort auf die derzeit hitzige Debatte liefern, ob sein jahrelanger Unterschlupf in einem Militär- und Geheimdienstnest entweder der Inkompetenz oder der Komplizenschaft Pakistans geschuldet ist. Das Ganze wirkt, als sei der diabolische Superterrorist ein Gefangener - mit einer paar Frauen, Kindern, Ziegen und Hühnern unter Hausarrest.