Im Nebel des Antiterrorkampfes
Die Inszenierungen und Vertuschungen der US-Regierung sind grotesk, das sind die der pakistanischen Regierung aber auch
Die US-Regierung hat es geschafft, so viel Unklarheit über die Operation in Pakistan zu verbreiten, dass Gerüchte freie Bahn haben. Allmählich entsteht im Gegensatz zu den ersten Schilderungen der Regierung zudem das Bild, dass es sich vermutlich doch, wie die Meisten dies auch annahmen, eine Operation war, in der die Soldaten kaum auf Gegenwehr trafen und zumindest 4 unbewaffnete Personen, darunter auch Bin Laden, exekutiert haben. Ob Gefangene gemacht wurden, ist weiterhin nicht bekannt.
Die Aufnahme, auf der man Obama, Clinton und andere Angehörige der Regierung sieht, wie sie im Situation Room des Weißen Hauses gebannt nach links auf etwas schauen, was der Betrachter nicht sehen kann, wurde mittlerweile wohl unbeabsichtigt vom Fotografen zur Metapher über das Verhältnis der Regierung zur Öffentlichkeit: Wir sehen, was du nicht siehst, und wir werden auch nicht sagen, was wir gesehen haben. Natürlich haben Medien schon die ersten Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz FOIA gestellt, so dass die Frage, ob die Bilder und Videos veröffentlicht werden, letztlich vor Gericht geklärt werden wird.
Unterstützt werden muss der Ausschluss der Öffentlichkeit durch die demokratisch gewählte Regierung, die im Übrigen im Wahlkampf versprach, im Unterschied zur Bush-Aministration mehr Transparenz zu gewährleisten, jetzt auch durch die ebenfalls nicht nachprüfbare Behauptung durch den Leon Panetta, den CIA-Direktor, es habe während der 40-minütigen Aktion einen Blackout für die Beobachter im Weißen Haus gegeben, da die Kameras auf den Helmen der Soldaten keine Bilder mehr übertrugen. Schnell versuchte auch Außenministerin Clinton, die auf dem Foto angespannt, wie den Atem anhaltend, die Hand vor dem Mund etwas Beunruhigendes zu beobachten scheint, zu erklären, sie sei allergisch und habe gehustet. Vor ihren Augen passierte also nichts.
Das mag so gewesen sein, ist jedenfalls auch ganz praktisch, weil dann die Regierungsvertreter mit der gezielten Tötung nichts zu tun haben und nicht dafür verantwortlich gemacht werden sollen. Schließlich teilten sie die 25 Minuten im Dunkel mit allen anderen Menschen, so will man es uns mitteilen, haben also die entscheidenden Szenen auch nicht gesehen. Sorgsam wird auch betont, dass Obama und die Anderen keinen direkten Kontakt mit den Soldaten vor Ort hatten, für die Entscheidungen also einzig die Navy Seals verantwortlich waren. So bewahrt man auf jeden Fall scheinbar saubere Hände auch bei schmutzigen Aktionen. Verantwortlich wäre eigentlich gewesen, wenn US-Präsident Obama auch wirklich die Verantwortung übernehmen würde.
Und weil die Regierung darauf verzichten will, Bilder vom Einsatz und vom toten Bin Laden zu veröffentlichen, während man den Leichnam im Meer vermutlich unauffindbar für alle Zeiten entsorgt hat, kommt nun in den USA Kritik auch von Angehörigen der Opfer der Anschläge vom 11.9. auf. US-Präsident Obama ist sichtlich bemüht, den Erfolg des Bin-Laden-Coups in politische Münze umzusetzen, weswegen er gestern Ground Zero besucht hatte. Wie Opferangehörige richtig sagten: ein Fototermin – und passend zum zehnjährigen Jubiläum und zum Beginn des Wahlkampfs. Gleichwohl zeigten sich die meisten gerührt und beeindruckt von der Aufwartung des Präsienten. Obama stellte sich zudem als Vollender der Reaktion auf die Anschläge vom 11.9. dar:
What happened Sunday sent a message: When we say we will never forget, we mean what we say.
Barack Obama
Das ist ganz im Stil von "Mission Accomplished". Da muss man nur hoffen, dass es Obama nicht wie Bush geht. Um sich als großen Terroristenbekämpfer noch mehr herauszustellen, wird Obama heute noch das 160th Special Operations Aviation Regiment besuchen, also die Knight-Stalkers-Einheit, die das Navy Seal Team nach Pakistan und zurück geflogen hat – und dabei aus nicht näher bekannten Gründen einen Hubschrauber in Bin Ladens Anwesen zurücklassen musste. Tatsächlich scheint OBamas Rechnung auch aufzugehen. Seine Beliebtheitswerte sind, so eine Gallup-Umfrage nach der Tötungsaktion um 6 Prozent auf 52 Prozent angestiegen.
Die bemühten Inszenierungen auf amerikanischer Seite werden auf pakistanischer fast noch übertroffen. Irgendwie müssen pakistanische Regierung und Militär sowie Geheimdienste erklären, warum die Amerikaner eine solche geheime Operation weit im Landesinneren durchführen konnten, ohne den Amerikanern, die man weiter benötigt, allzu sehr kritisch zu begegnen und ohne allzu sehr das Gesicht gegenüber Kritikern im eigenen Land zu verlieren. Zurückgewiesen werden muss auch der Verdacht, dass Bin Laden seitens der Regierung, des Militärs oder der Geheimdienste Unterstützung fand und in der Nähe der Hauptstadt einen langjährigen Unterschlupf gefunden hatte.
Der pakistanische Regierungschef Raza Gilani versuchte sich plump herauszuwinden und bezeichnete es einen Fehler der ganzen Welt, nicht nur Pakistans, dass der Aufenthaltsort nicht früher herausgefunden worden ist. Der pakistanische Geheimdienst teile seine Kenntnisse mit dem Rest der Welt, auch mit den USA, deswegen wären Fehler der pakistanischen Seite auch solche der Welt. Überdies habe Pakistan für die Beteiligung am amerikanischen "Krieg gegen den Terrorismus" bereits einen hohen Preis bezahlt.
Pakistan warnt vor weiteren militärischen Interventionen
Noch besser klingen die Verlautbarungen des Kommandeurtreffens des Militärs im Hauptquartier in Rawalpindi. Hier gab man zwar zu oder behauptete, zu wenig Kenntnisse über die Präsenz Bin Ladins in Pakistan gehabt zu haben, aber stellte heraus, dass die Erfolge bei der Bekämpfung von al-Qaida durch den Geheimdienst ISI "unvergleichbar" seien. ISI habe mit und ohne Hilfe der CIA über 100 Führer der obersten Ebene von al-Qaida getötet oder festgenommen. Zudem habe die CIA den Aufenthaltsort von Bin Laden auf der Grundlage von ersten Informationen von ISI herausgefunden, aber die weiteren Erkenntnisse nicht mit ISI geteilt, was eigentlich Usus sei.
Das ist ganz schön gewunden, um den Geheimdienst nicht zu sehr zu blamieren, während das Militär auch sich selbst gegenüber dem pakistanischen Volk rechtfertigen muss und drohend verkündet, dass jede weitere ähnliche Aktion, die die Souveränität Pakistans verletzt, zu einer Überprüfung der Kooperation führen werde. Impliziert ist, dass dies jetzt noch nicht er Fall ist. Ähnlich verhält man sich auch bei den Angriffen von US-Drohnen, die regelmäßig und geduldet in den Luftraum Pakistans eindringen und Menschen töten.
Offenbar hat man vor allem Sorge, dass das eigenmächtige Handeln der USA, das weltweit weitgehend geduldet oder gar befürwortet wird, auch den Erzfeind Indien dazu verleiten könnte, ähnliche Tötungsaktionen in Pakistan auszuführen. Daher wird mit explizitem Verweis aus Indien gesagt, dass militärische und strategisch wichtige Anlagen natürlich sehr viel besser geschützt seien als ein ziviles Gebäude. Man habe auch für entsprechende Abwehrmaßnahmen gesorgt. Jede militärische Aktion Indiens werde zu massiven Reaktionen führen. Das dürfe nicht bezweifelt werden.
Auch der pakistanische Außenminister Bashir warnte vor den Folgen einer jeden militärischen Intervention. Das zeigt nicht nur, dass die Regierung sich schwach fühlt, sondern auch der Überzeugung ist, dass die von der Weltgemeinschaft nicht verurteilte US-Aktion Vorbildcharakter haben und andere Staaten zu ähnlichen Interventionen verleiten könnte. Bashir sagte, Pakistan habe die Möglichkeiten, sich angemessen zu verteidigen.