Wald 2022: Grüne Lunge oder Mondlandschaft?

Hinter den Häuser beginnen die Verwüstungen, Oberberg an der B 55. Bild: Arno Kleinebeckel

Dürrejahre und Käferplage haben unseren Forsten arg zugesetzt. Ein Blick aus der Region auf Folgen des Klimawandels

Spätestens seit Beginn der 2010er Dekade waren die meisten Jahre entschieden zu trocken. Besonders ausgeprägt war der Wassermangel im Frühjahr. Für Bäume bedeutet dieser Befund: Trockenstress. Eine hundertjährige Buche (zugegeben sehr alt) verdunstet mehrere hundert Liter Wasser pro Tag.

Und in Deutschland wird’s heißer: Gegenüber den 1950er Jahren (1951-1959) hat sich die mittlere Zahl der Tage mit Höchsttemperaturen von mehr als 30 Grad Celsius von 3,6 auf 11,0 Tage erhöht, das heißt mehr als verdreifacht (jüngster Erfassungszeitraum: 2010-2020, Quelle: Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe).

Nach den Daten des Umweltbundesamts hat sich die durchschnittliche Anzahl von Hitzetagen (über 30°C) hierzulande seit 1950 sogar vervierfacht.

Wenn Bäume Embolien erleiden

Bäume benötigen Wasser für die Photosynthese. Trockenheit führt zu Spannungen in den Leitungsbahnen, mit dem Abreißen der Wasserfäden wird das Eindringen von Luft begünstigt. Fachleute sprechen von Embolien: Der Wassertransport wird gestört oder sogar blockiert, der Baum verdurstet. Als Abwehrreaktion wirft der Baum die Blätter bereits im Sommer ab.

Die deutschen Wälder, um nur von denen zu reden, leiden zunehmend sichtbar unter der zunehmenden Trockenheit. Und je nach Region dramatisch sichtbar.

Allein in NRW sind seit 1/2018 über 40 Mio fm (Festmeter) Fichtenschadholz angefallen.

Die Fichte – bisher der Brot- und Butterbaum der Waldbesitzer – fällt in unserer Gegend nahezu aus; landesweit sind in den letzten vier Jahren rund 50 Prozent des Fichtenvorrats durch Stürme und – vor allem – durch den Borkenkäfer vernichtet worden. Forstwirtschaftliche Vereinigung Bergisches Land, Mitgliederbrief 2021

Auch andere Baumarten leiden erheblich unter der Trockenheit der letzten Jahre. Viele Waldbesitzer haben ihre Vermögenssubstanz verloren.

Gerade war Tag des Baumes. Am 25. April wurde er zum 70. Mal "gefeiert".

Werfen wir – nicht nur aus diesem Anlass – einen Blick auf ein waldreiches Bundesland und dort des weiteren in eine stark bewaldete Region. Zu mehr als der Hälfte besteht der nordrhein-westfälischen Wald eigentlich aus Laubbäumen (55 Prozent), meist Buchen und Eichen. Zu knapp 42 Prozent wachsen Nadelbäume, vor allem Fichten, die sich zur industriellen Verarbeitung und Fertigung eignen.

In den stark bewaldeten Mittelgebirgen dominieren noch die großen und zusammenhängenden Waldgebiete.

Waldeslust und Waldesfrust: Beispiel NRW

Nordrhein-Westfalen weist einen hohen Privatwaldanteil auf – den höchsten eines Flächenlandes in ganz Deutschland (63 Prozent Privatwaldbesitz). Zu deutlich geringeren Anteilen gehört der Wald dem Land (13 Prozent), dem Bund (3 Prozent) oder ist Körperschaftswald (21 Prozent). Im Sauerland dominieren die mittelgroßen Betriebe. Bergisches Land und Münsterland sind typische Gegenden mit kleineren Betrieben.

Zur Region:

Wald bedeckt fast 40 Prozent des Oberbergischen östlich und nordöstlich von Köln (NRW gesamt: rd. 27 Prozent) und zählt damit zu den grünen Lungen von NRW. Ich lebe seit mehr als 30 Jahren im bergischen Kreisgebiet. Hier, so wirbt der regionale Tourismusverein, haben wir eines der waldreichsten Gebiete von Nordrhein-Westfalen.

Und als ich hierher zog, in den 1980er Jahren, war das auch der gefühlte Eindruck: Als vormaliger Städter war man mächtig beeindruckt von den Wäldern rechts und links des Aggertals, sie sich kilometerweit hoch auf die Anhöhen erstrecken und in denen man sich buchstäblich verlaufen kann.

Von der einstigen Waldeslust finden sich Einwohner und Touristen heute weit entfernt. Kilometerweit: Geisterhafte Mondlandschaft.

Typischer Anblick im Oberbergischen, hier Raum Lindlar. Bild: Arno Kleinebeckel

Graue Baumleichen dominieren das Bild über weite Strecken und geben der Landschaft entlang den Kreis- und Landesstraßen ein gespenstisches Aussehen. Überall liegen abgeholzte Stämme aufgetürmt an den Zufahrtswegen, bereit zur Abholung durch Transporter, die der Aufgabe nur schwer nachkommen. Vielerorts an den ehemals grünen Hängen liegt das Holz wild durcheinander, so als hätte Rübezahl gerade einen Wutanfall gehabt.

Vorsicht ist geboten bei Spaziergängen im oberbergischen Wald, mahnt das zuständige Forstamt mit Sitz in der Kreisstadt Gummersbach. Vor allem Bestände mit dürren Fichten sollten im großen Bogen umgangen werden, weil die Gefahr umstürzender oder umbrechender Bäume zu groß sei.

Am schlimmsten getroffen hat es die Flachwurzler. Flachwurzler, wie die weit verbreitete Fichte, nutzen vorrangig die oberflächennahen Wasserreserven. Die meisten Fichtenwurzeln liegen nur 20 bis 60 Zentimeter tief. Eine Buche zum Beispiel kann demgegenüber, je nach Boden, auch tieferliegende Wasserspeicher anzapfen. Außerdem ist sie durch ihre Wurzeln standfester.

Erst die Dürre, dann die Käfer

Käferplage ist eine direkte Folge der Trockenheit. Im Oberbergischen hat der Schädling zwischen 80 und 90 Prozent aller Fichtenbestände vernichtet, die es 2017 noch gab.

Eigentlich gilt das Bergische Land als regenreich. Die extreme Sommerhitze der letzten Jahre (Dürresommer der Jahre 2018, 2019 und 2020) gab den überlebenden Beständen den Rest; sie ließen die Bäume so stark austrocknen, dass sie den Borkenkäfern nichts mehr entgegenzusetzen hatten. 2018 war das wärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881.

Inzwischen sind die Fichtenbestände so weit dezimiert, dass der Borkenkäfer bald keinen Platz zum Brüten mehr findet.

Ohne Wasser, so erklärt Kay Boenig, Chef des Regionalforstamts in Gummersbach, können die Fichten nicht genügend Harz ausbilden, mit dem sie sich gegen Schädlinge wehren.

Der Kölner Express zog nach den verheerenden Jahren Anfang 2021 Bilanz und titelte:

Baum-Alarm im Bergischen Land. Der Anblick ist erschreckend, der Kahlschlag dramatisch.

Kahle Hänge, wo jahrzehntelang ein stolzer Wald stand. "Wild findet im Fichtenwald keinen Schutz mehr, der Lebensraum für Insekten geht verloren."

Der Holzpreis begann zu der Zeit in einer bis dahin noch nie dagewesenen Art und Weise zu steigen. Innerhalb des ersten Quartals 2021 verdreifachte sich der Preis für Fichtekalamitätsholz.

Dies hatte mehrere Ursachen:

  • Die USA fragten international Holzprodukte zu sehr hohen Preisen nach.
  • Das Forstschädensausgleichsgesetz führte dazu, dass in Süddeutschland kein Frischholzeinschlag stattfinden konnte und die dortige Industrie Holz aus NRW nachfragte.
  • Eine steigende Rundholznachfrage aus Asien.

Die Käferschäden sind von 2018 auf 2019 regelrecht explodiert (Beispiele).

Die Schädlinge vermehren sich unter der Rinde und locken mithilfe von Pheromonen weitere Artgenossen an. Aus einer befallenen Altfichte schwärmen etwa 10.000 Männchen aus; diese befallen etwa 20 weitere Bäume.

Die betroffenen Bäume gehen in die Millionen. Allein im Bergischen Land von 57.500 (2018) auf 2.618.875 (2019). (NRW gesamt: 982.764 auf 15.163.769).

Begleiteffekte

Die Milliarden Käfer, die in diesen Tagen wieder ausschwärmen, suchen sich deswegen verstärkt auch Kiefern und Lärchen als Brutstätten aus. Baumarten, in denen die Bruten allerdings nicht so erfolgreich sein werden. Die gute Nachricht: Der Borkenkäfer ist auf dem Rückzug, zumindest gilt das für die hiesigen (in dem Fall: oberbergischen) Wälder; die schlechte Nachricht ist ihr zerstörerisches Werk – eine bleibende Kalamität, fürs Auge kilometerweit sichtbar.

Die Schäden zeitigen andere Begleiteffekte. Der Wald wird sturmanfälliger, Waldtieren geht Lebensraum verloren und die Waldbrandgefahr wächst.

Baumbestände, die früher windgeschützt mitten im Wald standen, stehen nun frei und sind dem Wind viel mehr ausgesetzt. Jetzt fallen Fichten schon bei kleinen Stürmen.

Kay Boenig, Ltr. Regionalforstamt Bergisches Land

Bei den starken Februarstürmen wurden auch viele Lärchen, Buchen und sogar Eichen entwurzelt. Auffällig: Die Douglasien hielten den Sturmböen gut stand, weil sie fester im Boden verwurzelt sind.

Links und mitte: Anhöhe oberhalb von Engelskirchen. Rechts: Graue Riesen, Wanderweg oberhalb des Aggertals. Bilder: Arno Kleinebeckel

Da sich die Fichte weitestgehend aus NRW verabschiedet, sieht sich die holzverarbeitende Industrie gezwungen, sich auf die Verarbeitung noch vorhandener Baumarten einzustellen. Neben den wirtschaftlichen Folgen für Waldbesitzer betont der NABU Nordrhein-Westfalen die Auswirkungen auf die Gemeinwohlleistungen des Waldes:

Mit jedem verdorrten Baum, der nun gefällt wird und überwiegend in der Verbrennung landet, verschwindet auch ein natürlicher CO2-Speicher, was in der derzeitigen Situation besonders dramatisch wirkt. Darüber hinaus erfüllen Wälder weitere wichtige Ökosystemleistungen: Sie filtern Wasser, speichern Wasser im Boden, bilden neuen Sauerstoff, bieten Erholungsraum für die Menschen und sind Lebensraum für zahlreiche Tiere, Pflanzen und Pilze.

Naturschutzbund (NABU) Nordrhein-Westfalen

Wald ist Klimaschützer!

Ein Hektar Wald bindet jährlich durchschnittlich 8 Tonnen CO2. In Deutschland entspricht das dem jährlichen CO2-Ausstoß pro Kopf.

Verantwortlich für den positiven Klimaschutzbeitrag des Holzes ist der pflanzliche Stoffwechsel der Bäume einschließlich der sogenannten Photosynthese.

Wie alle Pflanzen entziehen auch die Bäume des Waldes in ihrer Wachstumsphase der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid (CO2). Sie setzen es mithilfe von Sonnenlicht und Wasser in Biomasse um. Das Gute daran: Der Kohlenstoff (C) bleibt durch diesen Mechanismus in den Bäumen und Pflanzen gespeichert – und zwar solange, bis sie selbst verrotten.

Bei Bäumen bleibt das CO2 in Form von Kohlenstoff (C) in den Holzzellen ein ganzes Baumleben lang eingelagert. Der Atmosphäre wird demnach für einen langen Zeitraum CO2 entzogen, der Treibhauseffekt wird damit stark verringert. Übrig bleibt der Sauerstoff (O2), der von den Bäumen an die Atmosphäre wieder abgegeben wird. Die Bäume entnehmen der Atmosphäre also einerseits Kohlenstoffdioxid, andererseits produzieren sie den lebenswichtigen Sauerstoff.

Holz, Holz, Holz

So weit so gut. Jedoch ist die Forstwirtschaft als Rohstoffproduzent auch milliardenschwerer Wirtschaftsfaktor. Für Deutschland insgesamt heißt das: 2019 wurden im gesamten Cluster Forst & Holz Waren und Dienstleistungen in Höhe von 183,4 Mrd. Euro umgesetzt. Es gab 115.158 dem Cluster zugeordnete Unternehmen mit über einer Million Mitarbeitern. Die Wertschöpfung belief sich auf rund 58 Milliarden Euro.

Die Branche ist mittelständisch geprägt, mit vielen Kleinbetrieben. Zum Cluster Forst & Holz gehören nach der Definition der Europäischen Union verschiedene Industrie-/Gerwerbezweige mit einer Verbindung zum Werkstoff: Forstwirtschaft, Holzbearbeitung, Holzverarbeitung, Holz im Baugewerbe, Papiergewerbe, das Verlags- und Druckereigewerbe und Großhandel sowie Holzhandel mit Roh- und Schnittholz.

Es gibt viel Werbung und wohlklingende Worte rund ums Holz. Die unangenehme Wahrheit dürfte sein, dass Politik, Forstbehörden und Betriebsgemeinschaften die Warnungen der Wissenschaft vor dem Klimawandel lange nicht ernst genommen haben. Was galt, war Business as usual.

Eine Fichtenmonokultur nach der anderen wurde angelegt; der heute beklagte "verheerende Zustand" ist also zum großen Teil hausgemacht. Diese Einsicht, wenn es denn eine ist, hat der Katastrophensommer 2018 definitiv zutage gebracht.

"Wald der Zukunft" – nur ein Phantom?

Experten präsentieren sich jetzt als Retter in der Not und wollen den "Wald der Zukunft" pflanzen.

Die verschiedensten Baumarten finden sich in den Vorschlägen, darunter Kandidaten aus südlichen oder fernöstlichen Gefilden. Dabei wird manchmal übersehen, dass Wald kein Baukastensystem ist, sondern ein lebendiges und sensibles Ökosystem, bei dem Klima, Bodenbeschaffenheit, Pilzmyzel, Kleinlebewesen, Mikroorganismen und viele andere Faktoren einen Organismus bilden, der nicht 1:1 transferierbar ist. Hier stößt ein öko-technischer Pragmatismus an seine Grenzen.

Und nun? Wird der "Wald der Zukunft" in einer mitteleuropäischen Dürrezone liegen? Das gerade mal anlaufende Jahrzehnt der 2020er Jahre befördert keine allzu großen Erwartungen. Metertief waren die Waldböden im Herbst 2020 und im Jahr darauf noch staubtrocken.

Anhaltende Dürre im Wald und die dramatischen Folgen des Käferbefalls lassen sich durch wohlmeinende Programme allein nicht aus der Welt schaffen. Forstamtschef Kay Boenig ist daher, wenn überhaupt, nur verhalten optimistisch. Von den mehreren tausend Hektar Kahlflächen in seinem Revier wurden bislang erst auf 300 Hektar neue Pflänzchen gesetzt. Es fehle an Geldmitteln, an Pflanzen und auch an Personal: "Das ist eine Aufgabe, die mindestens zwei Jahrzehnte brauchen wird".

Baum-Alarm, auch in der Stadt

Auch in den Städten sieht man sich mit den Problemen konfrontiert. Die Stadtbäume sind in großem Stil anfälliger geworden für Krankheiten und Pilzbefall. In der Rheinmetropole Köln etwa, so die Auskunft der dortigen Verwaltung, gibt es 1.250.103 Bäume auf städtischem Grund (Stand April 2022; 81.000 gelten als Straßenbäume, Mindestmaß für die Zählung sind sieben Meter Baumhöhe).

Immer mehr von ihnen können die zunehmenden Stressfaktoren kaum mehr kompensieren.

Im urbanen Raum haben Bäume Einfluss auf das Mikroklima, filtern Feinstaub aus der Luft, spenden Schatten und sollen so nützliche Helfer sein im Kampf gegen drohende Überhitzung während der Sommermonate. Köln testet derzeit 22 Arten, die eigentlich fernab des Rheinlands zuhause sind.

Es ist in weiten Teilen ein Experiment. Man hält Ausschau nach Pflanzen aus dem heißen Mittelmeerraum oder aus den trockenen kontinental-asiatischen Gebieten. "Klimatische Bedingungen, wie sie für unseren Raum prognostiziert werden", lautet die trockene Auskunft der Stadt.