Wald im Wandel
Seit Beginn des Sommers haben sich die Waldbrände in Sibirien immer mehr ausgeweitet. Auch in Europa geht es den Wäldern schlecht. Schuld daran ist nicht allein der Klimawandel
In der Teilrepublik Jakutien im Osten Sibiriens, in der knapp eine Million Menschen leben, kämpften bis vor Kurzem rund tausend Feuerwehrkräfte und Freiwillige gegen die Flammen. Mit ihrer sparsamen Ausrüstung waren sie gerade mal so in der Lage, bewohnte Siedlungen vor den Feuern zu schützen.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die durchschnittliche Temperatur in Vergleich zu anderen Regionen der Welt mehr als doppelt so stark gestiegen. So war der diesjährige Sommer mit 39 Grad Celsius der heißeste und trockenste seit 150 Jahren. Damit hält die Region seit Beginn der Wetteraufzeichnung in Russland den Rekord, erklärt der Greenpeace-Brandschutzexperte Grigori Kuksin. Nachdem in den Sommermonaten 2019 rund drei Millionen Hektar Wald und Steppe verbrannt waren, könnten die Brände in Russland in diesem Jahr ein historisches Ausmaß annehmen.
Seit Jahresbeginn ist eine Fläche von rund 16 Millionen Hektar verbrannt - ähnlich viel wie im Vorjahr. Hunderte Dörfer und Städte versanken im Rauch. Der Qualm zog tausende Kilometer bis ins Landesinnere, bis nach Kasachstan und sogar bis zum Nordpol. Auf der anderen Seite zog der Rauch bis nach Kanada und die USA. Erst Mitte August war es dem russischen Katastrophenschutz gelungen, größere Flächen zu löschen.
Waldbrände in Sibirien sind nicht ungewöhnlich. Die meisten Brände werden durch Menschenhand verursacht, durch unachtsamen Umgang mit Feuer oder gezieltem Abfackeln von Wäldern, um illegale Rodungen zu verschleiern. Oft entzündet sich der ausgetrockenete Waldboden auch auf Grund von Blitzeinschlägen. Dies sei ökologisch wichtig, um den Lärchenwald zu erhalten, erklärt die Geografin Elisabeth Dietze vom Alfred-Wegener-Institut und Geoforschungszentrum in Potsdam. Neu daran sind die gigantischen Dimensionen: Zum Einen dauert die Waldbrandsaison länger als früher. Zum Andern gibt es immer mehr Brände, die nicht nur am Boden schwelen, sondern auch Baumkronen erfassen.
Schon 2019 und 2020 zerstörten die Feuer in Sibirien mehrere Millionen Hektar. Je intensiver die Brände sind, umso länger braucht das Ökosystem, um sich zu regenerieren. Lange Untätigkeit der Behörden, Unterfinanzierung und Personalmangel haben die Katastrophe stetig verschlimmert. Dass Russland Löschflugzeuge in die Türkei entsandte, anstatt sie zum Löschen der eigenen Brände zu nutzen, sorgte für zusätzlichen Ärger in der Bevölkerung. Umweltschützer fordern nun eine Aufstockung der Mittel für Wald- und Katastrophenschutz.
Unterdessen stieg die Sterberate im Vergleich zu Juli in Russland um knapp 18 Prozent. Die Ursachen hierfür vermuten Experten außer in der Verbreitung von Covid auch in der Hitze und Luftverschmutzung. Auf der anderen Seite kam es im August in zahlreichen Kurstädten an der russischen Schwarzmeerküste zu Überschwemmungen, so vierzehn Gemeinden in der Region den Ausnahmezustand ausrufen mussten.
Vegetation und Wasserhaushalt hängen zusammen
Dürreperioden könnten durch mehr Wälder abgemildert werden, zumindest was die Wiederbewaldung von Agrarland in Europa betrifft. So lautet das Ergebnis einer Studie, die kürzlich im Fachmagazin Nature Geoscience erschien. Demnach könnte bereits eine um 20 Prozent vergrößerte Waldfläche die Regenfälle in Europa um 7,6 Prozent erhöhen, schreiben Wissenschaftler der ETH Zürich, wobei sie noch einige Unsicherheiten einräumten.
Dass das Pflanzen von Bäumen das Wetter an tausende Kilometern entfernten Orten beeinflussen könne, hatte die Wissenschaftlerin Abigail Swann bereits vor einigen Jahren erkannt.
Demnach können zusätzliche Waldflächen einen Teil der durch den Klimawandel zurückgehenden Niederschläge ausgleichen, wobei sich die Effekte regional unterscheiden. Einerseits erzeugen Wälder nahe den Küsten einen Regenschatten. Das liege daran, dass die Wälder die Oberfläche "rauer" machen, Turbulenzen erzeugen und die Wettersysteme somit langsamer weiterziehen. In Regionen mit wenig Regen hingegen trete der umgekehrte Effekt ein.
Weil die Bäume den Wind abbremsen, könnte durch neue Wälder auch mehr Regen fallen. Denn Bäume bringen durch Verdunstung mehr Wasser in die Atmosphäre, das in den Regionen hinter dem Wald wieder abregnet. Ein ähnlicher Effekt trete auf, wenn Bäume in besiedelten Gebiete gepflanzt würden. In der Summe könnten die Regenmengen in manchen Regionen Europas im Sommer langfristig steigen. Die Analyse zeigt einmal mehr, dass die Wiederbewaldung großer Flächen nicht nur Kohlendioxid bindet, sondern auch die negativen Folgen des Klimawandels zumindest teilweise abmildert.
Mit Insektiziden gegen Borkenkäfer?
Hitze und Trockenheit verringern die Abwehrkräfte der Bäume und machen sie anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer. Im Kampf gegen Insekten und Pilze setzen Förster immer häufiger Pestizide ein. Im Bayerischen Staatswald zum Beispiel vervierfachte sich der Einsatz von Insektiziden gegenüber der letzen fünf Jahre.
Die Mittel enthalten fast ausschließlich Lambda-Cyhalothrin, ein Nervengift, dass nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Wasserlebewesen bereits in geringen Dosen toxisch wirkt. Zwar wurde der Wirkstoff 2015 von der EU auf die Liste der zu ersetzenden Mittel gesetzt, dennoch sind Produkte wie Karate Forst immernoch auf dem Markt - sogar mit Sonderzulassung für ein weiteres Jahr. Gespritzt werden bereits geschlagene Stämme. Auf diese Weise will man die Käfer in den Rinden am Ausschwärmen hindern bzw. noch unbeschadetes Holz vor Befall mit Insekten schützen.
Pierre Ibisch von der Fachhochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde hat dafür kein Verständnis. Im Wald sei die Biomasse der Arthropoden um 41 Prozent eingebrochen, klagt der Experte, die Artenvielfalt sogar um 36 Prozent. Und nun sollen Pestizide die Probleme lösen? Eine Alternative wäre, das Holz rechtzeitig aus dem Wald abzutransportieren. Leider mangelt es derzeit an Lagerplätzen für Nutzholz.
Bei Hessen Forst probiert man nachhaltigere Methoden. So würden, gemäß dem hessischen Waldgesetz, Fichtenkronenholz und Nadeln liegengelassen, um die im Baum gespeicherten Nährstoffe dem Boden zurückzuführen, erklärt Jan Brandes, Produktionsleiter beim Forstamt Hessisch Lichtenau im Interwiev mit der HNA.
Die Baumstümpfe würden eher vom Fichtenbastkäfer besiedelt, der jedoch für stehende, lebende Fichten nicht bedrohlich sei. Das verbliebene Holz wird kurz und klein geschnitten und entrindet, so dass es schnell austrocknet und dem Borkenkäfer kein Futter liefert. Nur wenn alle übrigen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, würden Pestizide gespritzt, mit Ausnahme von liegendem Kronenholz.
Fichten in Monokulturen sind besonders anfällig für Schädlinge. Seit 1840 sterben hierzulande Fichten auf den Plantagen. Seither hat der Klimawandel die Situation nochmal verschärft: Mehr als die Hälfte aller Fichten fielen allein in den letzten Jahrzehnten Stürmen bzw. Borkenkäfern zum Opfer, weiß der Waldexperte Peter Wohlleben. Absterbenden Fichten oder Kiefern seien eigentlich nur sterbende Bäume. Die Biomasse ist noch da, ebenso alle Tiere und Pflanzen, die auf diesen Flächen leben. Werden nun abgestorbende Bäume mit schwerem Gerät abgeräumt, werden nicht nur die Böden stark durch Maschinen verdichtet, so dass sie kaum noch Wasser speichern. Es werden auch Schatten und Möglichkeiten des Wasserspeichers beseitigt. Unterm Strich trocknen die Flächen massiv aus.
Wälder regenerieren sich von selbst
Den Forstbehörden gehe es nur darum, Nadel- oder Laubhölzer zu erzeugen. Damit degradieren sie den Wald zur Produktionsanlage und zum Warenlager, kritisiert Peter Wohlleben im Interview mit Focus im August 2021. Dabei wurden öffentlichen Forstverwaltungen, die über die Hälfte der Fläche in Deutschland bewirtschaften, durch das Bundesverfassungsgericht schon zweimal angemahnt, die wirtschaftliche Erzeugung von Holz als nachrangig hintenan zu stellen.
Doch die Forstämter halten sich nicht daran. Durch ihr Eingreifen verändern die Menschen permanent den Zustand der Wälder. Den echten alten Laubwäldern, die den Originalwäldern ähneln, gehe es gut, doch von denen gebe es leider nur noch wenige. Zwar habe der Wald aufgrund der reichlichen Regenfälle in einigen Regionen in diesem Jahr zwar eine Art Verschnaufpause, eine echte Walderholung sei das aber nicht. In den kommenden Jahren werde sich das großflächige Absterben von Fichten oder Kiefern fortsetzen, glaubt der Förster und Autor zahlreicher Sachbücher.
Die trockenen Wetterlagen werden immer länger, wie die vergangenen drei Jahre mit Hochdruckgebieten zeigen. Vor dem Hintergrund immer größerer Wetterextreme und Druckphasen werden sich die Wälder weiter wandeln - in welche Richtung, ist noch unklar. In dieser Situation würden wieder großflächige Forstplantagen angelegt.
Doch oft kommen die Bäume aus Baumschulen mit den Standortbedingungen nicht zurecht. So seien gerade die gepflanzten Bäume aus den Jahren 2018 bis 2020 vielfach schon wieder eingegangen. Auch tote Bäume haben einen Nutzen im Ökosystem. Wenn zum Beispiel Totbäume auf Freiflächen mit Oberflächentemperaturen von bis zu 60 Grad ihre Schatten auf den Waldboden werfen, kühlt dieser deutlich ab. Unter diesen Bedingungen könnte sich der Wald besser regenerieren.
Der Anteil von Mischwäldern habe in den letzten Jahren beträchtlich zugenommen, widerspricht der Biologe Thorben Halbe, der sich in seinem Buch mit Wohllebens Thesen kritisch auseinander setzt. Betrachtet man wenige Jahrzehnte, mag es richtig sein, dass die Kohlenstoffaufnahmefähigkeit des Waldes steigt, wenn man ihn in Ruhe lässt.
Doch sobald die ersten Bäume absterben, beginnen Zersetzungsprozesse, die den Kohlenstoff wieder freigeben. Deshalb sei in einem unbewirtschafteten Wald die Kapazität, Kohlenstoff aufzunehmen, irgendwann ausgeschöpft. Werde das Holz jedoch genutzt - zum Beispiel für den Hausbau - bliebe der Kohlenstoff im Holz gespeichert. Gleichzeitig werde der Wald verjüngt.
Der Wald funktioniert wie eine Familie
Bäume sind in der Lage, sich ihre Territorien wieder zurückzuerobern. Überall dort, wo Fichten absterben, stehen die nächsten Laubbäume oft nur wenige hundert Meter weit entfernt. Immer wieder gibt es einzelne Laubbäume, die sich kräftig vermehren und auf Flächen Fuß fassen - wenn sie in Ruhe gelassen werden. Dazu fliegen die Samen teilweise sehr weit, wie zum Beispiel die von Pappeln und Weiden.
Die Samen von Arten mit schwereren Früchten wie Eichen oder Buchen hingegen transportieren die Vögel an neue Orte. Bäume unterstützen sich gegenseitig, zum Beispiel über Wurzelverwachsungen und den Transfer von Zuckerlösungen. So werden selbst alte Stümpfe in der Nachbarschaft mitversorgt. Konkurrenzen gibt es nicht, denn nur als große Gemeinschaft können die Wälder sich herunterkühlen und gegen Hitze, Dürre oder Überschwemmungen ankämpfen. Bäume stehen ihr ganzes Leben auf derselben Stelle. Wenn die Bedingungen nicht passen, gestaltet der Baum sie eben anders, zum Beispiel, indem er mehr Feuchtigkeit spendet. Insofern macht sich der Wald ein Stück weit sein Klima selber, erklärt Wohlleben.
Außedem sind einheimische Baumarten erstaunlich anpassungsfähig. Selbst unter widrigsten Umständen treiben neue Bäume aus. Überall dort, wo die Sonne auf den Beton, Schotter, Gleise oder alte Industrieanlagen knallt, es zu trocken oder zu heiß ist, besiedeln Birken, Pappeln oder Eichen den Boden. Der Förster fordert darum mehr Geduld und Zutrauen in die Natur.
Lebensraum Wald - durch Windräder bedroht?
Im nordhessischen Reinhardswald, einem mehrere Hundert Jahre alten Mischwald, hinterließen Stürme und Borkenkäfer in den vergangenen Jahren große Kahlflächen. Auf Grund der die Naturereignisse entstanden neue Strukturen, die zahlreichen Greifvögeln und anderen Tierarten idealen Lebensraum bieten. So sind Rot- und Schwarzmilane deutlich häufiger im Wald anzutreffen als früher, ebenso einige Brutpaare des Schwarzstorches. Kürzlich wurden sogar Kraniche samt Nachwuchs gesichtet. Der scheue Großvogel benötigt für seine Brut möglichst feuchte und störungsarme Bereiche. Im Rahmen einer naturnahen und nachhaltigen Bewirtschaftung sollen nun wertvolle Mischbestände gepflanzt werden.
Bald jedoch könnte es mit der idyllischen Ruhe vorbei sein, denn beträchtliche Teile des Waldes sind von Rodung bedroht: Im größten zusammenhängenden Waldgebiet in Hessen sollen moderne Windkraftanlagen errichtet werden. Mehrere lokale Bürgerinitiativen versuchen derzeit, die Umsetzung der Baupläne zu verhindern.