War die Corona-Katastrophe vermeidbar?
Bill Gates plädiert für ein neues System der Pandemiebekämpfung
Die Corona-Pandemie hat in kürzester Zeit die Schwächen von Gesundheitssystemen und von politischen Systemen offengelegt, die zwar über die Möglichkeit von Epidemien mit schnellen und schweren Verläufen informiert waren, aber dennoch nicht darauf vorbereitet waren, auf solche Ereignisse adäquat zu reagieren.
In der Theorie wusste man längst von den Risiken. In der Praxis schien das Handlungsprinzip zu gelten, dass es schon nicht so schlimm kommen werde (Auf der Suche nach der verlorenen Inkubationszeit).
In einem aktuellen Beitrag im New England Journal of Medicine beschäftigt sich Bill Gates mit der Frage, welcher langfristigen Strategien es bedarf, um auf zukünftige Ausbrüche besser zu reagieren. Zur Bewältigung der jetzigen Krise sei es geboten, die Entwicklung von Virostatika und Impfstoffen zu beschleunigen und ärmere Länder bei der Eindämmung des Virus zu unterstützen. Für die nächste Epidemie seien jedoch systemische Veränderungen notwendig.
Bill Gates schlägt dafür ein Maßnahmenbündel vor, das auf mehreren Pfeilern ruht: Stärkung primärer Gesundheitssysteme, Krankheitsüberwachung und Datengenerierung, Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten, internationale Kooperation, verstärkte Investitionen sowie notwendige Vereinbarungen zwischen Politik und Wirtschaft. Solche Änderungen auf Systemebene seien notwendig, um in Zukunft auf neue Epidemien besser reagieren zu können.
Ein neues System zur Pandemiebekämpfung
Gates zufolge sind die Gesundheitssysteme vieler Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen bereits jetzt an der Belastungsgrenze und könnten durch ein Pathogen wie das Coronavirus schnell überwältigt werden. Deswegen müsse man ihre primären Gesundheitssysteme stärken.
"Wenn man eine Klinik baut, dann schafft man auch den Teil einer Infrastruktur zum Kampf gegen Epidemien", so Gates. Durch die gesteigerte Gesundheitsbeobachtung würde die Welt früher auf mögliche Ausbrüche aufmerksam.
Zur verbesserten Krankheitsüberwachung sei ferner eine Falldatenbank notwendig, die relevanten Organisationen sofort zur Verfügung steht. Regeln zum Informationsaustausch zwischen Ländern müssten etabliert werden. Den Regierungen müssten Listen mit geschultem Personal zur Verfügung stehen, das im Falle einer Epidemie umgehend handlungsbereit sei. Ferner sollten Aufstellungen mit Materialkontingenten für Notfallsituationen vorhanden sein.
Als besonders schwierige Herausforderung bezeichnet Gates den Aufbau eines Systems zur Entwicklung und Zulassung sicherer Impfstoffe und Medikamente, das innerhalb weniger Monate nach der Entdeckung eines Pathogens mehrere Milliarden Dosen bereitstellen kann. Zur Überwindung der technischen, diplomatischen und finanziellen Hürden für ein solches System sei eine Partnerschaft zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor notwendig.
Internationale Diplomatie sollte die Koordination übernehmen, um die Abstimmung der Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten zu ermöglichen. Gates sieht es als Ziel, innerhalb von drei Monaten schlüssige Ergebnisse klinischer Studien und behördliche Genehmigungen zu erhalten, ohne die Sicherheit von Patienten zu gefährden. Dafür sollte mittels globaler Foren ein Konsens über Forschungsprioritäten und Studienprotokolle erreicht werden.
Da all dies sehr viel Geld kostet, sieht der Plan eine starke Aufstockung der dafür vorgesehenen Budgets vor. Nachdem es sich bei Produkten zur Bekämpfung von Pandemien um hochriskante Investitionen handelt und um die Risiken für Pharmaunternehmen zu minimieren, seien staatliche Mittel notwendig. Zusätzlich sei, als globales öffentliches Gut, die Finanzierung der kurzfristigen Herstellung und Verteilung von Impfstoffen durch öffentliche und andere Geldgeber wichtig.
Da medizinische Produkte für Menschen in größter Not verfügbar und erhältlich sein müssten, sei eine Einigung zwischen den Regierungen und der Industrie notwendig. "Während einer Pandemie", so Gates, "können Impfstoffe und Virostatika nicht einfach an den Meistbietenden verkauft werden." Eine gerechte Verteilung sei nicht nur aus Prinzip richtig, sondern auch weil sich damit Infektionsketten unterbrechen und zukünftige Pandemien verhindern ließen.
Viele Verantwortliche hatten keinen Plan
Die frühzeitige Erkennung neuer Risiken und die schnelle Reaktion darauf spielen in mehreren dieser Vorschläge eine wichtige Rolle. Im Verlauf der aktuellen Pandemie wurde deutlich, dass viele Entscheidungsträger dem Tempo der Ereignisse nicht gewachsen waren.
Dabei wirkte sich nicht nur aus, dass Infektionen nur verzögert registriert werden. Denn selbst als hinreichende Informationen vorhanden waren zeigte sich, dass viele Verantwortliche im Sinne des Wortes keinen Plan hatten.
Wie er Ende letzter Woche (30.04.2020) in einem Interview mit CNN zu Protokoll gab, ist Bill Gates der Meinung, dass die USA und die Welt die Auswirkungen der Pandemie hätten besser abmildern können. "Wenn Sie Januar und Februar richtig nutzen", so der Microsoft-Mitbegründer, "und Community-Tests durchführen, müssen Sie diese schrecklichen wirtschaftlichen Kosten nicht durchstehen."
Mit einem Bruchteil des U.S.-Verteidigungsbudgets, so Gates, wäre man der Bedrohung Herr geworden.
Interessanterweise ist eine Denkfabrik der Bundeswehr gerade zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt. "Diese Krise zeigt", so Christian Haggenmiller, der für das German Institute for Defense and Strategic Studies (GIDS) tätig ist, "dass verschiedene Nationen, je nach politischer Kultur, die Frühwarnsignale teilweise ignoriert beziehungsweise sogar verleugnet haben." Haggemiller zufolge gebe es bereits ein "riesiges Netzwerk" zur epidemiologischen Früherkennung.
Mit einem Datenmangel allein lassen sich die verzögerten Reaktionen mancher Entscheidungsträger vermutlich kaum erklären. Eher schon mit mangelhafter Vorbereitung auf den Ernstfall und mit der Unfähigkeit, angesichts einer sich beschleunigenden Krisensituation rechtzeitig aus den Erfahrungen anderer zu lernen. Das Virus nutzte Eigenheiten der politischen Kultur des jeweiligen Systems, die sich ihm als Schwächen darboten, systematisch aus.
Als Problem der Umsetzung von Informationen in zeitnahes Handeln ist Pandemiebekämpfung auch ein Perzeptionsproblem. Staatliche wie überstaatliche Systeme waren in der Corona-Pandemie deutlich überfordert, da sie Warnsignale höchst unterschiedlich interpretiert haben.
Eine verbesserte Abstimmung dieser Systeme scheint deswegen angeraten. Pandemien sind per Definition internationale Ereignisse. Erfolgreiche Pandemieprävention kann deswegen im Grunde genommen nur international erfolgen.