Warschauer Geschichtsunterricht
Bei den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands kam der deutsche Außenminister Heiko Maas Polen bei seinem Besuch mit Gesten entgegen, in der Frage zu Reparationen bleibt Berlin bei seinem Standpunkt
"Ich schäme mich für das, was Ihrem Land von Deutschen und im deutschen Namen angetan wurde" erklärte Heiko Maas am Donnerstag im "Museum des Warschauer Aufstands" in der polnischen Hauptstadt.
Die polnische Untergrundorganisation "Heimatarmee" und weitere Partisanenverbände kämpften vom 1. August 1944 bis zu ihrer Kapitulation am 2. Oktober 1944 gegen die deutschen Besatzer und ihre ausländischen Hilfstruppen. Dabei kamen es nach Schätzungen zu 180 000 Todesopfern unter der polnischen Zivilbevölkerung. Nach der Kapitulation zerstörten deutsche Truppen viele der bestehenden Gebäude durch Sprengung. Westlich der Weichsel wurde die Stadt zu 85 Prozent zerstört.
Maas versprach sich für die Bekanntheit des Warschauer Aufstands westlich der Oder mehr einzusetzen. Oft wird der Kampf der Heimatarmee mit dem Aufstand im Ghetto der Stadt verwechselt, als sich die jüdische Bevölkerung 1943 gegen die Deportation nach Treblinka wehrte. Auch Christoph Burger, der Sprecher des Auswärtigen Amtes, hatte im Vorfeld versehentlich vom Ghetto-Aufstand gesprochen, so ein Bericht der Deutschen Welle auf Polnisch.
Als Hitler von dem Aufstand erfuhr, soll er Himmler mündlich den Befehl gegeben haben, die Aufständischen sowie auch Frauen und Kinder umbringen zu lassen. Dies behauptete später Erich von dem Bach-Zelewski, der vor dem Nürnberger Tribunal von dem polnischen Staatsanwalt Jerzy Sawicki verhört wurde und von Himmler mit der Niederschlagung beauftragt worden war.
Die Truppen von Bach-Zelewski, vornehmlich SS-Einheiten, erreichten Warschau am vierten August 1944. Die Aufständischen hatten bis dahin große Teile der Stadt erobern können, die deutschen Truppen hielten Schlüsselpositionen wie Bahnhof, Flughafen, Brücken.
Besonders grausam verhielten sich die "Angriffsgruppe SS Dirlewanger", eine Art Strafbataillon, sowie die "Kaminski Brigade", die aus übergelaufenen Sowjetbürgern bestand. Sie sind hauptsächlich für das Massaker im Stadtteil Wola verantwortlich. Nach Schätzungen wurden dort bis zum 12. August 1944 50.000 Bewohner ermordet. Bach-Zelewski ließ dann das Massaker stoppen, um Verhandlungen aufzunehmen, der Terror brach nicht den Widerstandswillen der Bevölkerung, sondern erreichte das Gegenteil. Es folgten weitere Kriegsverbrechen. Von beiden Seiten wurden die Kämpfe mit großer Härte geführt.
Das Verbrechen in der Wola bleibt auch heute als Wunde im kollektiven polnischen Gedächtnis - eine vom IPN unterstützte Historikerkonferenz in Warschau Ende August will das Massaker einer internationalen Öffentlichkeit bekannt machen. Zudem hat das Staatsfernsehen TVP aktuell einen Drehbuch-Wettbewerb über das Kriegsverbrechen ausgelobt, das von Staatspräsident Andrzej Duda am Donnerstag als "Völkermord" bezeichnet wurde.
Maas legte darum zusammen mit dem polnischen Czaputowicz an dem Wola-Denkmal einen Kranz nieder. Danach fuhr der deutsche Außenminister sowie der Pressebus mit Blaulicht unfreiwillig ein paar Runden durch den Stadtteil - der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki blockierte noch das "Museum des Warschauer Aufstands". Zu sehen waren auf den Straßen Kinder in Pfadfinderuniformen mit Sandsäcken und einer Haubitze.
Neben den Deutschen stehen auch die Sowjetunion und die USA unter Kritik
Vor 75 Jahren war dies für Andrzej Rajer als 14-Jähriger kein Spiel - er kämpfte in der heute legendären Gruppe "Chrobry II" unweit dieser Szene. Der jetzt 90-Jährige, der das Museum mit einer rotweißen Armbinde besucht, schrieb mir auf: "Wir hatten keine Chance, wir waren zu schwach bewaffnet." Der Rentner kann auch über die Vorteile verschiedener Maschinengewehre fachsimpeln. Er selbst wurde vom Splitter eines Panzergeschosses am Bein verletzt und bald von den deutschen Truppen gefasst. Darauf kam er in das Internierungslager Lamsdorf, später in das Kriegsgefangenenlager bei Mühlberg.
Dass Außenminister Maas anwesend ist, findet der pensionierte Bauingenieur gut; doch wichtig sei für ihn, dass Deutschland sich klarer gegen Russland positioniere. Putin sieht er in der Nachfolge Stalins, der den Aufstand verbluten lassen habe. Die Rote Armee kontrollierte ab Mitte September die gesamte östliche Weichselseite, doch für Stalin war die Zerschlagung einer bürgerlichen polnischen Elite durch die Deutschen wichtiger. Wobei Rajer betont, dass der Befehlshaber der sowjetischen Truppen, Marschall Konstantin Rokossowski, unbedingt hatte eingreifen wollen.
Rajer beschuldigt aber auch die Amerikaner, sich nicht genügend für den Aufstand eingesetzt zu haben. Die amerikanischen Luftstreitkräfte warfen am 18. September 1944 einmal Versorgungsgüter über Warschau ab. Erst als der Kommandant der Heimatarmee, Tadeusz Komorowski, nur noch das Stadtzentrum hielt, kapitulierte er schließlich mit über 9000 Kämpfern.
Ob der Aufstand wirklich sinnvoll war, gilt in Polen als quälende Frage. Auch Veteranen quält diese Frage, ob es dieses Opfer wert ist, wie mir einer der Überlebenden vor Jahren gestand. Der Aufstand, der sich militärisch gegen die Deutschen, politisch auch gegen die Sowjets richtete, gilt heute den Polen als der hohe Preis, der für das Streben nach Freiheit gezahlt wird. "Freiheit ist nicht für immer gegeben, man muss auf sie achtgeben", lautet die Zusammenfassung eines aktuellen Buches, in der die Gedanken der letzten Überlebenden gesammelt sind.
Das offizielle Erinnern an den Aufstand unterlag in der Volksrepublik Polen der Zensurbehörde, erst nach 1989 konnte frei darüber publiziert wurde. Heute hat es Kultstatus und wird auch von nationalistischen Gruppen genutzt, die am Donnerstag einen Marsch veranstalteten, wo es zu Gerangel mit liberalen Protestlern kam.
Dass sich nun ein deutscher Politiker, in diesem Falle Heiko Maas, vor den polnischen Toten verneigt und sich zur deutschen Schuld bekennt, ist für die polnischen Beobachter heute nichts Neues. Der damalige Staatspräsident Roman Herzog war 1994 zum 50. Jahrestag anwesend, Gerhard Schröder als Bundeskanzler 2004 zum 60. Jahrestag.
Doch der seit Herbst 2015 wirkenden nationalkonservativen Regierung, die eine sehr auf die Historie konzentrierte Politik betreibt, genügen Gesten nicht. Wenn sie auch gern gesehen werden. Wozu ein gerade angedachtes Denkmal für die polnischen Toten des Zweiten Weltkrieges in Berlin gehört.
Polnische Regierung dringt auf Reparationszahlungen
Außenminister Jacek Czaputowicz kam in seiner Rede auch auf die positiven Momente der deutsch-polnischen Geschichte zu sprechen, wie die Unterstützung des polnischen Freiheitskampfes auf dem Hambacher Fest 1830 und nannte die letzten 30 Jahre als die besten der deutsch-polnischen Beziehungen.
Doch sprach der polnische Außenpolitiker das Thema Reparationen gegenüber seinem Duz-Freund Heiko offen an: "Die Schäden, die Polen und seinen Einwohnern zugefügt wurden, sind durch die Täter nicht wiedergutgemacht worden. Diese Tatsache ist der deutliche Ausdruck eines tieferen Problems, welche es uns Polen nicht möglich macht, die Frage der Reparation als abgeschlossen zu betrachten."
Derzeit bereitet eine Parlamentariergruppe eine Resolution vor, die noch vor den Wahlen im Herbst (der Termin ist noch nicht festgelegt) publiziert werden soll und die gesamten Schäden des deutschen Angriffs, der deutschen Okkupation benennen soll.
Berlin bleibt auf seinem Standpunkt - von rechtlicher Seite sei das Thema abgeschlossen. Polen hat im Jahre 1953 in einer Erklärung auf Reparationsforderungen gegenüber beiden deutschen Staaten verzichtet, bekräftigt wurde dies durch den Zwei-Plus-Vier-Vertrag, der den deutschen Verzicht auf die ehemaligen Ostgebiete verbindlich machte.
Die rechte Presse beschwerte sich darum über die Unverbindlichkeit des Maas-Besuchs. Auch Arkadiusz Mularczyk, der Leiter des Reparations-Ausschusses des Sejms meinte: "Das sind nur Worte, die uns nichts geben, denn für uns ist es klar, wer während des Zweiten Weltkriegs gemordet hat."
Gut möglich ist es, dass die Resolution am 1. September, zum 80. Jahrestag des deutschen Angriffs auf das Munitionslagers Westerplatte in Danzig, veröffentlich wird. Die Regierung gedenkt dann des Beginns des Zweiten Weltkriegs zusammen mit dem US-Präsidenten. Dieser ist nicht unbedingt für differenzierte Aussagen bekannt.
Die regierende nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unter Jaroslaw Kaczynski muss nun abwägen, wie ernst sie es mit den Forderungen meint, die Zahl von über einer Billion Dollar wird derzeit in den Medien gehandelt.
Dabei gibt es Alternativen zur Konfrontationspolitik - so will die Regierung das Sächsische Palais, errichtet unter August dem Starken, und nach der Kapitulation von deutschen Truppen zerstört, im Stadtzentrum wieder aufbauen. Dies könnte mit deutscher Beteiligung entstehen.
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